II. Über meine Vorfahren und genealogische Daten

 

 

1. Vorwort und Ahnentafel der Familie Eilmes

2. Die Sippe Launhardt (meiner Mutter)

3. Familienbogen Dittmer (meiner Frau - väterl.)

4. Die Familie Maurer (meiner Frau - mütterl.)

5. Aus meinem Leben

6. Stichworte in Kürze

7. Meine Frau Elisabeth, geb. Dittmer

 

 

Über meine Vorfahren

 

In meinen vorausgegangenen Ausführungen über die Auswanderung meiner Vorfahren aus der Pfalz und ihrer Ansiedlung in Galizien unter Kaiser Josef II von Österreich um das Jahr 1780 habe ich mich insbesondere mit den geschichtlichen Begebenheiten befaßt. Nun will ich mich intensiver mit den persönlichen Belangen auseinandersetzen.

Einer genealogischen Aufstellung einer formalen Familienchronik mit genauen Angaben von Daten der einzelnen Personen stehen beachtliche Schwierigkeiten entgegen, da kaum Unterlagen wie Urkunden, Niederschriften u. ä. vorhanden sind. So habe ich versucht, mit Hilfe des Hilfskommitees der Galiziendeutschen, dem Familienforscher Herrn Ernst Hexel aus Bonn-Godesberg, sowie einem Bekannten aus meiner Dornfelder Zeit, dem Professor Julius Krämer aus Kaiserslautern aus dem Wenigen, was mir an Überlieferung zur Verfügung stand, das Bestmögliche zu machen, um einen einigermaßen anschaulichen Überblick über die familiäre Gestaltung unserer Sippe zu erstellen. Wenn aus den ober genannten Gründen nicht immer exakte Datenangaben erbracht werden, so bitte ich um Verständnis.

Als Ahnherr unserer Sippe, zumindest dem Zweig der im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts aus der Pfalz, der Stammheimat, nach Galizien auswanderte, konnte

 

1) Johann Adam Eilmes (mein Ur-Urgroßvater)

ermittelt werden. Es ist anzunehmen, daß er etwa um 1760

in Marienthal, Kreis Rockenhausen in der Pfalz geboren

wurde. Verheiratet war er mit der Maria Katharina M e t z.

Sie war die Tochter des Christoph Metz aus Marienthal, der am 12. August 1784 auf der Reise nach Galizien in Mährisch-Neustadt mit Frau und mit fünf Kindern und einem Knecht registriert wurde. Mit dem "Knecht" ist mit Sicherheit der J. A. Eilmes, der unmittelbar vor Antritt der Reise, bzw. auf dieser Reise, die Tochter des o. g. Metz heiratete, gemeint. Erhärtet wird diese Annahme durch viele ähnlich liegende Fälle, wie die seinerzeit bei der Registrierung gebräuchlich waren und Anwendung fanden. Hinzu kommt, daß in der Gesamtheit der Akten über die Registrierung der Name Eilmes nicht anzutreffen ist, obwohl ein J. A. Eilmes mit seiner Frau Maria Katharina, geb. Metz 1784 als Erstsiedler in Felsendorf im Bezirk Lemberg beurkundet ist. Somit kann es sich nur um die oben erwähnte Person handeln und somit kann nur er als Stammvater der Namensträger Eilmes, die in Galizien siedelten, auch derer, die später von dort in die Provinz Posen Ausgewanderten um 1900 herum, genannt werden.

Der Erstsiedler in Felsendorf siedelte bereits im Jahre 1786 in die neugegründete Kolonie Moosberg bei Lemberg über. Ob die Siedlerstelle in Felsendorf von einem anderen Mitglied seiner Familie, etwa von dem Schwager, übernommen wurde, konnte nicht festgestellt werden.

 

2) Johann Adam Eilmes (Sohn zu 1) - mein Urgroßvater)

wurde um 1786 noch in Felsendorf geboren. Er verstarb noch vor 1828 in Moosberg. Verheiratet war er mit der Friedericke Spieß, verstorben in Moosberg nach 1828. Eine genauere Datenangabe ist nicht möglich. Hier in Moosberg wurden dem Ehepaar mehrere Kinder geboren. Eines dieser Kinder war auch der

 

3) Johann Eilmes (Sohn zu 2) - mein Großvater).

Er wurde im Jahre 1815 in Moosberg geboren. Am 13.06.1863

heiratete er die Barbara Schick, verw. Neubrandt in Staresiolo, Kreis Bobrka bei Lemberg, geb. 1824. Am 19. Januar 1881 verunglückte er tödlich beim Holzfahren in Staresiolo. Seine Ehefrau verstarb zwei Jahre später am 01. Mai 1883, ebenfalls in Staresiolo. Aus dieser Ehe sind zwei Söhne hervorgegangen: Johann und Kasper. Der ältere Johann ist als Berufssoldat in jungen Jahren an Blutvergiftung gestorben. Er war unverheiratet. Der zweite Sohn,

 

4) Kaspar Eilmes (Sohn zu 3) - mein Vater

wurde am 15. August 1866 in Staresiolo (s.o.) geboren. Er wuchs in jungen Jahren als Vollwaise in verschiedenen Familien seiner Halbgeschwister Neubrandt und Seibert auf. Am 28. August 1894 verheiratete er sich mit der Katharina Launhardt in Zagorze (s. Ahnenreihe Launhardt). Die Trauung wurde in der ev. Kirche in Lemberg vollzogen. Gemeinsam erwarben sie in Hryniow, einem ukrainischen Dorf im Kreise Bobrka bei Lemberg eine Landwirtschaft. Im Frühjahr 1904 verkauften sie das Anwesen und siedelten in die Provinz Posen um, wo sie von der Preußischen Ansiedlungskommission in Posen einen Bauernhof in Königsrode, Kreis Schubin, erwarben. Ihnen wurden vier Kinder geboren:

 

a) Johann geb. 17. Juli 1896 in Hryniow, gefallen im 1. Weltkrieg am 26. September 1917 in Flandern bei Langemark,

 

b) Karl geb. am 04. Juli 1898 in Hryniow. Er war verheiratet mit Martha Volp aus Königsrode, geb. am 29. Juli 1898 in Nedlitz, Kreis Jericho I. Die Eheschließung erfolgte am 02. Juni 1923 in Königsrode. Inzwischen war unsere Heimat dem polnischen Staat einverleibt worden. Karl optierte für Deutschland und mußte, da er durch die Option die deutsche Staatsangehörigkeit behalten hatte, 1924 mit der Familie Polen verlassen. Er zog nach Berlin und war zuletzt im Gesundheitsamt angestellt. Nach seiner Pensionierung übersiedelte er nach Celle und später nach Müden im Kreis Celle. Dort verstarb er am 28.11.1987, nachdem ihm seine Frau am 09.10.1978 in Müden vorausgegangen ist. Die einzige Tochter Meta, verh. Duderstadt, ist auf der Flucht bei der Vertreibung auf der Insel Rügen an Typhus verstorben. Eine Enkelin lebt z. Zt. in Berlin.

 

c) Wilhelmine geb. 1900 in Hryniow. Sie ist im Alter von zwei Jahren 1902 in Hryniow verstorben.

 

d) Willy (Sohn zu 4) - meine Person)

Ich wurde am 20. Januar 1906 in Königsrode als viertes Kind meiner Eltern geboren. Am 09. September 1927 habe ich mich mit Elisabeth Dittmer, geb. am 19. September 1908 in Holobutow, Kreis Stryj, verheiratet, gestorben am 09. Mai 1990 im Krankenhaus in Salzgitter-Lebenstedt. Sie war die Tochter des Johann Dittmer und der Katharina, geb. Maurer aus Holobutow (s. Ahnentafel Dittmer). Die Trauung fand in der ev. Kirche in Zinsdorf statt.

 

Kinder:

1.) Wilhelm geb. 06.02.1929 in Königsrode, Kreis Schubin/Altburgund, geheiratet am 20.05.1953 in Eversen, Kreis Celle mit Erna, geb. Altmann aus Eversen, geb. am 09.03.1930 in Kerssel / Estland.

Kinder:

a) Wilfried, geb. am 25.04.1954 in Eversen, Kreis Celle, verheiratet seit dem 21.07.1978 mit Ulrike, geb. Gralher in Müden / Örtze, geb. 11.07.1956 in Celle.

Kinder:

Alexandra, geb. am 30.04.1980 in Soltau,

Kai, geb. am 21.12.1982 in Uelzen.

b) Roland, geb. am 18.08.1955 in Hermannsburg, Kreis Celle, verheiratet seit dem 24.08.1978 mit Martina geb. Kastern in Walsrode, geb. 27.12.1959 in Hermannsburg, Kreis Celle.

Kinder:

Kristina, geb. am 17.02.1987 in Celle,

Annika, geb. am 09.07.1988 in Celle.

Marcel, geb. am 20.03.1995 in Soltau

c) Burkhard, geb. am 11.01.1957 in Müden /Örtze, Kreis Celle, verheiratet seit dem 01.02.1980 mit Gudrun geb. Brückner in Faßberg, geb. 04.05.1958 in Belsen, Kreis Celle, (die Ehe wurde geschieden).

Kinder:

Björn, geb. am 05.11.1978 in Soltau,

Katja, geb. am 16.01.1982 in Soltau.

d) Ottmar, geb. am 28.12.1961 in Müden /Örtze, Kreis Celle, verheiratet seit dem 07.06.1989 mit Renate geb. Erler in Hermannsburg, geb. 12.06.1960 in Hermannsburg Kreis Celle,

Kinder:

Sarah, geb. am 20.05.1987 in Celle,

Sascha, geb. am 30.07.1989 in Celle,

Mark, geb. am 17.01.1997 in Celle

e) Ingo, geb. am 02.05.1963 in Müden/Örtze, gestorben am 25.12.1984 infolge eines Verkehrsunfalles in Müden/Örtze.

 

f) Claudia, geb. am 14.10.1966 in Müden/Örtze, Kreis Celle verheiratet seit dem August 1996 mit Hans-Peter Dageförde, geb. am 20.06.1963 in Müden/Örtze,

Kinder:

Toni-Marcel, geb. am 04.05.1990 in Celle.

Jan-Peter, geb. am 06.09.1996 in Celle

g) Elisabeth Marga, geb. am 13.10.1967 in Müden/Örtze, Kreis Celle, verheiratet seit dem 27.05.1994 mit Mario Fender, geb. am 12.09.1965 in Soltau.

Kinder:

Josephin Elisabeth, geb. am 30.04.1997 in Celle.

2) Arno, geb. am 30.08.1930 in Königsrode, Kreis Altburgund/Schubin, gestorben 1947 im polnischen Internierungslager Potulitz/Polen.

3) Lothar, geb. am 16.03.1935 in Königsrode, Kreis Altburgund / Schubin, gestorben am 20.06.1941 in Königsrode (beim Baden ertrunken).

4) Ingrid Sternitzke, geb. Eilmes, geb. am 02.03.1937 in Königsrode, Kreis Altburgund/Schubin (Provinz Posen), verheiratet seit dem 07.10.1963 in Müden/Örtze, Kreis Celle mit Manfred Sternitzke, geb. am 08.12.1937 in Liegnitz, Schlesien,

Kinder:

a) Markus, geb. am 03.11.1964 in Hameln, Niedersachsen, verheiratet seit dem 26.04.1991 in Lengede mit Bettina, geb. Gronebaum, geb. am 28.09.1963,

b) Carola, geb. am 17.06.1969 in Salzgitter-Lebenstedt, verheiratet seit dem 26.04.1991 in Lengede mit Christian Paul, geb. am 04.07.1969,

Kinder:

Donald, geb. am 26.10.1991 in Salzgitter-Bad.

c) Patricia, geb. am 23.08.1970 in Salzgitter-Lebenstedt.

5) Oswald, geb. am 02.04.1938 in Königsrode, Kreis Altburgund / Schubin (Provinz Posen ), verheiratet seit dem 06.08.1965 mit Erika, geb. Raulf aus Unterlüß, geb. am 04.07.1944 in Unterlüß, Kreis Celle,

Kinder:

a) Andreas, geb. am 27.01.1966 in Unterlüß, Kreis Celle,

b) Angelika, geb. am 05.05.1968 in Müden/Örtze, Kreis Celle,

c) Silke, geb. am 20.03.1970 in Müden/Örtze, Kreis Celle.

6) Adolf, geb. am 27.01.1940 in Königsrode, Kreis Altburgund / Schubin, verheiratet seit dem 02.02.1963 in Faßberg mit Adelheid, geb. Kantel aus Faßberg, geb. am 12.06.1944 in Waltersdorf, Kreis Heiligenbeil/Ostpreußen,

Kinder:

a) Sabine, geb. am 22.06.1963 in Faßberg, Kreis Celle, verheiratet seit dem 22.06.1979 in Lügde, Kreis Dettmold, Nordrhein-Westf. mit Peter Pichler, geb. am 20.09.1954 in Döllach/Kärnten (Österreich),

Kinder:

a) Cristoph, geb. am 13.09.1978 in Bad Pyrmont-Hameln,

b) Sabrina, geb. am 12.05.1980 in Bad Pyrmont-Hameln,

c) Benjamin, geb. am 31.03.1985 in Bad Pyrmont-Hameln,

d) Kessia, geb. am 18.02.1988 in Bad Pyrmont-Hameln,

b) Olaf, geb. am 12.07.1964 in Celle/Niedersachsen, geheiratet am 30.09.1983 mit Katrin, geb. Stephan aus Bielefeld, geb. am 14.04.1962 in Bielefeld, Nordrhein-Westf.

c) Torsten, geb. am 10.08.1966 in Celle, Niedersachsen, geheiratet am 08.08.1986 in Gütersloh mit Mirjam, geb. Flicker, geb. am 16.04.1965 in Gütersloh, Nordrhein-Westf.,

d) Sven, geb. am 10.10.1975 in Celle, Niedersachsen.

7) Hermann, geb. am 27.01.1940 in Königsrode, Kreis Altburgund / Schubin, geheiratet am 07.06.1963 mit Gertraude, geb. Steiner in Müden/Örtze, geb. am 24.06.1942 in München, verstorben am 18.01.2001 an Lungenembolie,

Kinder:

a) Christian, geb. am 19.08.1964 in Müden/Örtze, geheiratet am 26.051995 in Müden/Örtze mit Cornelia Maria, geb. Pupke, geb. am 04.11.1967 in Dresden.

b) Annette, geb. am 13.09.1965 in Müden/Örtze, verheirate mit Thomas Heide

Kinder:

Philip Heide

Rene Heide

8) Erika, geb. am 10.07.1941 in Königsrode, Kreis Altburgund/Schubin, (Polen), verheiratet mit Bernd Rehwinkel aus Müden/Örtze, (die Ehe wurde 1983 geschieden), zweite Hochzeit am 08.11.1984 in Faßberg mit Alfred Sommer geb. am 08.11.1936 in Olsberg/Sauerland.

Kinder:

Katharina, geb. am 26.09.1966 in Müden/Örtze,

9) Helga, geb. am 05.11.1943 in Königsrode, Kreis Altburgund / Schubin, geheiratet am 16.12.1966 Heinrich Brockmann aus Dohnsen, geb. am 19.05.1942 in Hünenburg, Bergen, Kreis Celle,

Kinder:

a) Tanja, geb. am 05.11.1968 in Dohnsen, Kreis Celle,

b) Michaela, geb. am 12.12.1972 in Dohnsen, Kreis Celle.

10) Horst, geb. am 05.11.1943 in Königsrode, Kreis Altburgund / Schubin, geheiratet am 28.02.1975 in Müden/Örtze mit Monika geb. Dulz aus Hamburg, geb. am 10.11.1946 in Bevensen, Niedersachsen,

Kinder:

Arno, geb. am 27.09.1977 in Salzgitter-Lebenstedt.

 

Die Sippe Launhardt

eine Mutter ist eine geborene Launhardt. Die Vorfahren dieser Sippe, die zwischen 1784 und 1786 in Galizien einwanderten, stammen aus Laubach, Kreis Usingen, Hessen.

Ein

1.) Nikolaus Launhardt, geb. 1736 in Laubach, Kreis Usingen wurde Erstsiedler in Majkowice. Im Laufe von einigen Jahren - Datum steht nicht fest -, übersiedelte er nach Dornfeld und kaufte von Joh. Ad. Huget (gest. am 08.01.1806 in Dornfeld ) die Hofstelle Nr. 28. Über die Ehefrau weisen die Urkunden nichts aus.

2.) Theobald Launhardt (Sohn zu 1 ), geb. 1781 in Laubach, Kreis Usingen, gest. am 07.08.1848 in Dornfeld, nähere Angaben fehlen.

3.) Gerhard Launhardt (Bruder zu 2 ), geb. 1783 in Laubach, Kreis Usingen, gest. Datum unbekannt, geheiratet 1801 Maria, Elisabeth Dorn aus Altenbamberg, Kreis Rockenhausen, gestorben 1783 in Altenbamberg, Kreis Rockenhausen.

4.) Theobald Launhardt ( Sohn zu 3 ), geboren am 13.05.1811 in Dornfeld 28, gestorben am 31.12.1858 in Dornfeld 28, Hofübernahme im Jahre 1832 in Dornfeld 28, 1. Heirat am 30.05.1832 mit Katharina Göttel aus Dornfeld 19, Katharina Göttel geboren am 17.08.1809 in Dornfeld 19, gestorben am 03.08.1837 in Dornfeld 28, 2. Heirat am 09.01.1838 mit Maria, Elisabeth Ohlinger aus Dornfeld 43, geboren am 09.08.1818 in Dornfeld 43, gestorben am 12.04.1864 in Dornfeld 28.

5.) Johann Launhardt (Sohn zu 4 ), geboren am 26.07.1835 in Dornfeld 28, gestorben am 05.09.1870 in Dornfeld 28, geheiratet am 08.05.1855 Maria, Katharina Bechtloff in Dornfeld 30, geboren am 20.09.1834 in Dornfeld 30, gestorben am 20.12.1904 in Dornfeld 28, Hofübernahme 1854.

5a) Theobald Launhardt ( Bruder zu 5 - mein Großvater ), geboren 1847 in Dornfeld 28, gestorben am 08.02.1891 im Krankenhaus in Lemberg, geheiratet am 07.02.1871 in Dornfeld Karolina Schmalenberger aus Tolszczow, Lemberg, geboren 1851 in Tolszczow, gestorben am 28.02.1924 in Königsrode, Kreis Schubin.

Kinder der Eheleute:

a) Peter

b) Johann

c) Katharina (meine Mutter, verh. mit Kaspar Eilmes, s. Ahnentafel Eilmes)

d) Christina

e) Wilhelmine

f) Elisabeth

alle Kinder wurden in Zagorze geboren.

6.) Philipp Launhardt (Sohn zu 5 ), geboren am 16.08.1869 in Dornfeld 28, gestorben im Januar 1945 auf der Flucht bei der Vertreibung im Warthegau, geheiratet am 25.02.1900 in Dornfeld Charlotte Ganz aus Neu-Chrusno 4, die Trauung wurde in der ev. Kirche in Dornfeld vollzogen, geboren am 01.10.1880 in Neu-Chrusno 4, gestorben mit dem Ehemann auf der Flucht bei der Vertreibung im Wartheland.
Die Ehe war kinderlos.

 

Familienbogen Dittmer

Dittmer, Elisabeth, geboren am 19.09.1908 in Holobutow/Galizien

Vater: Dittmer, Johann, geboren in Holobutow, gestorben 1916 in Stryj als österr. Soldat.

Mutter: Katharina, geb. Maurer, geboren ?, gestorben 1945 auf der Flucht, Beruf: Landwirt in Holobutow, Religion: evangelisch. Weitere Daten über Voreltern sind nicht bekannt.

 

 

Familienbogen Dittmer - Sippe meiner Frau

Über die aus der Pfalz stammende Familie Dittmer konnten leider nur spärliche Hinweise in Erfahrung gebracht werden. So ist nachweislich ein

Mateis Dittmer mit Ehefrau und zwei Söhnen

a) Jakob Dittmer, geb. 1774 und

b) Philipp Dittmer, geb. 1775

am 31. Mai 1783 in Mährisch-Neustadt bei der Einreise in Galizien bei der Umsiedlungskommission registriert worden. Daraufhin wurde er in der neugegründeten Siedlung Brigidau unter Nr. 64 angesiedelt. Über die Nachkommen dieser Familie sind weder Namen noch Daten bekanntgeworden. In Brigidau ist späterhin der Name nicht mehr aufgetaucht. Es war damals die Regel, daß nachfolgende Kinder in den allgemein fremdvölkerischen Nachbardörfern als Bauern oder Handwerker seßhaft geworden sind. So waren in dem Brigidau benachbarten ukrainischen Dorf Holobutow gegen 1890 zwei Brüder, Heinrich und Johann Dittmer als Bauern anzutreffen. Heinrich D. ist 1906 in die Provinz Posen, nach Zinsdorf ausgewandert, wo er eine Ansiedlungsstelle angenommen hat.

Johann Dittmer - das war der Vater meiner Frau - verblieb in Holobutow. Verheiratet war er mit der Katharina Maurer. Johann Dittmer ist im 1. Weltkrieg als österreichischer Soldat in einem Lazarett in Stryj, Galizien verstorben; seine Frau ist auf der Flucht bei der Vertreibung im Januar 1945 durch russische Fliegerbomben ums Leben gekommen.

Kinder der Eheleute Johann Dittmer:

1.) Karoline: geb. am 05.04.1890 in Holobutow, Kreis Stryj, gestorben am 17.05.1973 in Hollenstede, Kreis Bersenbrück, geheiratet am 18.02.1919 in Stryj, Galizien mit Johann Serfas aus Solic, Kreis Drohobicz, Galizien, geb. am 28.04.1894 in Solic, Kreis Drohobicz, gestorben am 27.06.1976 in Ankum, Kreis Bersenbrück.

2.) Heinrich: geb. am 10.11.1904 in Holobutow, Kreis Stryj, gestorben am 05.11.1961 in Eversen, Kreis Celle, geheiratet am 28.07.1928 in Königsrode, Kreis Schubin (Altburgund) mit Elisabeth Mayer aus Zawadow, Kreis Stryj, geb. am 18.10.1903 in Zawadow, Kreis Stryj, gestorben am 08.12.1988 in Eversen, Kreis Celle.

3.) Emilie: geb. am 10.11.1904 in Holobutow, Kreis Stryj, gestorben im Mai 1945 auf der Flucht durch russische Fliegerbombe, verheiratet mit Johann Thron aus Kolbitz, Kreis Drohobicz, geb. am 18.04.1903 in Kolbitz, Kreis Drohobicz, gestorben am 17.07.1971 in Brandenburg (Havel)

4.) Elisabeth: geb. am 19.09.1908 in Holobutow, Kreis Stryj, gestorben am 09.05.1990 im Krankenhaus Salzgitter-Lebenstedt, geheiratet am 09.09.1927 in Königsrode, Kreis Schubin Willy Eilmes aus Königsrode, Kreis Schubin, geb. am 20.01.1906 in Königsrode, Kreis Schubin.

5.) Ludwig: geb. 02.12.1910 in Holobutow, Kreis Stryj, gestorben am 04.11.1984 in Stahnsdorf, Kreis Beeskow, verheiratet mit Philippine Issel aus Gassendorf am 12.08.1934, geb. am 13.12.1916 in Gassendorf, Galizien.

6.) Josef: geb. am 06.11.1913 in Holobutow, Kreis Stryj, gestorben am 01.04.1986 in Wallenhorst, Kreis Osnabrück, geheiratet am 20.06.1936 Elisabeth ( ? ) in Stryj, geb. am 20.02.1915 in Stryj, gestorben am 08.04.1987 in Wallenhorst, Kreis Osnabrück.

 

Die Familie Maurer

 

Die Mutter meiner Frau entstammt der Familie Maurer. Über ihre Herkunft ist leider nichts zu erfahren. Lediglich eine Chronik der Siedlung Dornfeld bei Lemberg weist auf diese Sippe hin. Ob eine Verbindung zu dieser Sippe besteht, kann aber nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Im Folgenden will ich aber aus dieser Chronik die Daten zitieren. Die Chronik weist aus:

1.) Christoph Maurer: geb. am 08.04.1745 in Wallertheim, Bezirk Alzay, gestorben am 25.04.1789 in Dornfeld, geheiratet am 25.01.1768 Maria, Elisabeth Krämer aus Wallertheim, geb. am 05.04.1749 in Wallertheim, Bezirk Alzay, gestorben am 04.10.1820 in Dornfeld.

2.)Philipp Heinrich Maurer: geb. am 14.03.1772 in Wallertheim, gestorben am 20.04.1852 in Dornfeld, verheiratet mit Anna Katharina Krämer aus Böhl, Ludwigshafen, geb. 1774 in Böhl / Ludwigshafen, gestorben am 04.10.1846 in Dornfeld

3.) Philipp Heinrich Maurer: geb. 1805 in Dornfeld, gestorben am 01.07.1859 in Dornfeld, verheiratet mit Schankweiler, geb. Wolf aus Reichenbach, gestorben am 31.08.1879 in Dornfeld

4.) Philipp Georg Maurer: geb. am 06.02.1840 in Dornfeld, geheiratet am 17.02.1862 Sophie Rösler aus Dornfeld, geb. am 11.11.1844 in Dornfeld.

Der unter 4.) genannte Philipp Georg Maurer verkaufte sein Grundstück in Dornfeld 1872 an Jakob Harlfinger und verzog in die Provinz Posen. Hier verliert sich diese Spur.

 

Aus meinem Leben

 

Es sei mir gestattet, an dieser Stelle einiges aus meinem Lebensweg wiederzugeben. Meine Kindheit verbrachte ich im Kreise meiner Familie, mit den Eltern und meinen beiden um einige Jahre älteren Brüdern. An meinem Heimatort Königsrode besuchte ich auch die dortige zweiklassige Volksschule. Den darauf folgenden Besuch einer weiterführenden Schule in Bromberg mußte ich auf Verlangen meines Vaters abbrechen, da mein ältester Bruder im September 1917 im Weltkrieg gefallen war und der zweite ebenfalls zum Kriegsdienst einberufen wurde und die Eltern unter diesen Umständen nicht allein bleiben wollten.

Im Januar 1919 wurde meine Heimat dem polnischen Staat einverleibt. Mein Bruder Karl war nicht bereit, unter polnischer Herrschaft zu bleiben und optierte für Deutschland. Das hatte zur Folge, daß er 1924 Polen verlassen mußte. Er ging nach Berlin. Bedingt durch die schwere Erkrankung meines Vaters mußte ich kaum 18 jährig die Führung unseres Hofes übernehmen. Nach dem Tode meines Vaters übernahm ich als Erbe offiziell den Hof.

1927 heiratete ich die Elisabeth Dittmer; die Trauung fand in der ev. Kirche zu Zinsdorf statt. Kurz darauf mußte ich für zwei Jahre zur Ableistung meiner Wehrpflicht zum polnischen Militär einrücken. Bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges wurde ich erneut als Reservist einberufen. Nun sollte ich gegen Deutsche kämpfen. Aber bald erfolgte die Befreiung durch die deutschen Truppen und 1940 war ich bereits schon deutscher Soldat. Ich wurde aber bald zum Mitwirken bei dem Aufbau der erworbenen Ostgebiete beurlaubt und wurde beim Landratsamt Schubin als Verwaltungsangestellter eingesetzt. Der Ortsname Schubin wurde in "Altburgund" umbenannt. Ende 1944 erfolgte erneut mein Fronteinsatz. Im Mai 1945 bei der Kapitulation geriet ich in russische Gefangenschaft, aus der ich nach 2 ½ Jahren aus dem Lazarett entlassen wurde. Königsrode war inzwischen wieder polnisch geworden und die deutschen Einwohner, so auch meine Familie, wurden vertrieben. Ich gelangte aus der Gefangenschaft nach Sülze, Kreis Celle in Niedersachsen. Meine Familie war in der russisch besetzten Zone in Ruppin untergebracht worden, was mir aber nicht bekannt war. Erst im Mai 1948 erreichten wir unsere Vereinigung im Zuge der Familienzusammenführung. So kamen wir nach Müden/Örtze im Kreise Celle.

Neun Jahre lebten wir in mehr als mangelhaften Wohnverhältnissen, bis es uns gelang, ein eigenes Heim zu errichten, in welches wir 1957 einziehen konnten. Ich fand Betätigung auf dem Fliegerhorst in Faßberg und wurde nach der Übernahme desselben durch die deutsche Luftwaffe dort Verwaltungsangestellter. Hier verblieb ich bis zu meinem Ruhestand mit 66 Jahren, als ich aus dem Arbeitsverhältnis im Januar 1972 ausschied. Seitdem lebe ich als Rentner auf meinem Grundstück.

 

Einiges aus meinem Leben in Stichworten

Meine Vorfahren stammen aus der Pfalz. Sie kamen über Galizien (Josefinische Siedlung um 1780) 1904 nach Königsrode, Provinz Posen. Dort wurde ich am 20.01.1906 geboren, besuchte dort auch die dörfliche Volksschule. Mit 18 Jahren notgedrungen Übernahme der Leitung des väterlichen Hofes wegen langjähriger Krankheit meines Vaters. Nach dessen Tod endgültige Hofübernahme. 1924/25 Besuch der Heimvolkshochschule in Dornfeld (Winterhalbjahr bei Dr. Fr. Seelfeld). In Königsrode/Zinsdorf in Jugendarbeit; dann aktiv in Volksarbeit. Erbrachte mir Ungunst der polnischen Behörden (Haussuchung und Bespitzelung). 1927 Heirat mit Elisabeth Dittmer. Anschließend 2 Jahre Wehrdienstpflicht im poln. Heer. Zu Hause Mitglied in verschiedenen Genossenschaften; Ein- und Verkauf Exin, Molkerei - wie Brennerei-Genossenschaft Königsrode, Konsum, Spar- u. Darlehenskasse Königsrode. In beiden letzteren Mitglied des Aufsichtsrates. 1939, vor Ausbruch des Krieges Einberufung zum Wehrdienst in Polen. Teilnahme am Feldzug August-November 1939. Nach Rückkehr -bereits in deutsche Verwaltung- komm. Bürgermeister in Königsrode. April 1940 freiwillig zur deutschen Wehrmacht. Nach Beendigung des Frankreichfeldzuges zum Aufbau im Wartheland beurlaubt - Verw.-Angestellter im Landratsamt Schubin mit Sachgebiet: Wehrangelegenheit, Landwirtschaft, Statistik und Verleihungen. 1944 erneut Wehrdienst - Ostfront. Mai 1945 nach Verwundung russische Kriegsgefangenschaft. Nach 2 ½ Jahren aus Lazarett als arbeitsunfähig entlassen. Suche nach Familie. Arbeitsaufnahme bei englischer Besatzungsmacht in Bergen-Belsen. Mai 1948 Familienzusammenführung und Wohnsitz Müden/Örtze. Ab 1950 G.S.O. in Faßberg. 1956 nach Übernahme des Fliegerhorstes d. Luftwaffe Einstellung als Verw.-Angestellter bei der Truppenverwaltung. Dort tätig bis zum 66. Lebensjahr 1972. Erwerb eines Baugrundstückes und Errichtung unseres Wohnhauses 1957. Nebenbei tätig in Vertriebenenarbeit als Flüchtlingsbetreuer, Vorsitz im Bund der Vertriebenen. Ferner 2. Vors. im Heimatkreisverband und Schriftleiter der Zeitung "Heimatbote" bis zur Aufgabe aus Altersgründen bei weiterer Mitarbeit.

Am 09. Mai 1990 Tod meiner Frau. Die Kinder inzwischen alle verheiratet und in eigenen Häusern lebend. Insgesamt 8 Kinder mit Ehepartnern, 22 Enkel und 13 Urenkel.

 

 

 

Elisabeth Eilmes, geb. Dittmer

Sie wurde am 19. September 1908 in Holobutow, Kreis Stryj im Kronland Galizien geboren. Ihre Kindheit verlebte sie mit ihren weiteren fünf Geschwistern zum Teil in den wechselhaften Zeiten des 1. Weltkrieges zwischen den Kämpfen der russischen Angreifer und den deutsch-österreichischen Truppen. So lernte sie schon früh die Schrecken des Krieges und damit die Not und Entbehrungen kennen. Im Alter von sieben Jahren verlor sie ihren Vater, der als österreichischer Soldat in einem Lazarett verstarb.

Mit fünfzehn Jahren kam sie zu Verwandten in die Provinz Posen, wo sie auch im Jahre 1927 ihren Mann heiratete und Bäuerin wurde. Es folgten glücklichere Jahre; sie schenkte zehn Kindern das Leben. Aber auch hier wurde sie von Trauer und Leid nicht verschont, als sie einen Sohn im Alter von sechs Jahren durch einen Unglücksfall hergeben mußte. Dann kam der 2. Weltkrieg. Der Mann wurde Soldat und ihr blieben allein die Sorgen um die Familie. 1945 ging sie mit ihren kleinen Kindern auf die Flucht vor der roten Armee. Ohne männlichen Beistand hatte sie allein die Last zu tragen. Es war nicht ihre Schuld, wenn sie nicht den rettenden Westen erreichte und sie in Pommern von den Russen überrollt wurde. Hier ereilte sie erneutes Leid, als ihr zweitältester Sohn, der in das berüchtigte Lager Potulitz verschleppt wurde und dort umgekommen ist. Und wieder begann die Not und der Kampf ums Dasein mit Hunger und Drangsal, bis es ihr schließlich gelang, 1948 mit der ganzen Familie in den Westen zu entkommen, wo sie dann auch mit ihrem aus der Gefangenschaft entlassenen Mann wieder vereinigt werden konnte. Groß war aber die Wohnungsnot und besonders hart traf es die großen Familien. Für diese war es besonders schwer, einigermaßen erträglich unterzukommen. Erst neun Jahre später gelang es in gemeinsamer Anstrengung, sich hier in Müden ein eigenes Heim zu errichten. So war ihr Leben geprägt von Arbeit und Sorge um ihre Kinder, denen sie stets eine gute Mutter war.

Als sich schließlich das Leben von einer freundlicheren Seite zeigte, durfte sie erleben, daß sich ihre Kinder nacheinander verheirateten und selbständig wurden. Die Familientreffen waren für sie immer wieder Höhepunkte in ihrem Leben. So durfte sie auch 1977 ihre Goldene und zehn Jahre darauf auch noch die Diamantene Hochzeit im Kreise ihrer Lieben begehen. Aber es waren wieder nur wenige Jahre der Geruhsamkeit. 1989 erlitt sie einen Schlaganfall, der sie aus ihrem Lebensrhythmus warf. Gesundheitlich ging es von hier ab langsam bergab, bis sie am 09. Mai 1990 nach erneutem Schlaganfall von ihrem himmlischen Vater heimgerufen wurde. Um sie trauern mit ihrem Mann 8 Kindern mit ihrem Ehepartnern, 22 Enkel und 13 Urenkel. Ein arbeitsreiches und erfülltes Leben ist zu Ende gegangen.

 

 

 

III. Erinnerungen

a. Unser Bauernhof

b. Ein Sonntagmorgen im Mai

c. Ein Wintertag bei uns Daheim

d. Viermal verschiedene Weihnacht

e. Auf zum fröhlichen Jagen

f. Was die Schwalbe sang

g. Es ist so schön Soldat zu sein

h. Äpfel aus Nachbars Garten

i. Der Ziegenkauf

j. Die Kriegervereinsfeier

k. Die Brautschau

 

 

Unser Bauernhof

 

Im Mittelpunkt meiner Gedanken, die oft und gern zurückeilen in die Vergangenheit, steht unser Bauernhof. Die frühesten Erinnerungen meiner Kindheit gehen auf ihn zurück. Auf ihn bin ich hineingeboren und er ist mir mein Leben lang in meinen Gedanken gegenwärtig geblieben. Dort durfte ich ein glückliche Kindheit und Jugend verleben und er blieb mir in allen Lebenslagen der ruhende Pol. Dort war man mit allen Dingen so vertraut. Und was gab es nicht alles auf dem Hof? Eine Vielfalt sondergleichen. Mir kam es so vor, als wäre er eine Arche Noah in Kleinformat. Da gab es vor allem die Pferde, zwei Mutterstuten, die alljährlich Fohlen brachten. Die Jährlinge oder die Zweijährigen, soweit sie nicht als Absatzfohlen verkauft wurden, hatten freien Auslauf in der Koppel. Dazwischen konnte man oft ein Schaf finden. Die Schafe hatten keinen festen Standplatz. Sie suchten ihren Schlafplatz nach Lust und Laune bald zwischen den Kühen, bald im Fohlenstall.

Ich erinnere mich an eine innige Tierfreundschaft auf dem Hof. Ein junges Fohlen und ein gleichaltriges Kälbchen, die beide frei herumliefen, fanden scheinbar Sympathie füreinander. Die beiden waren unzertrennlich; wo das eine war, dort war auch das andere. War das Fohlen doch einmal mit den alten Pferden mitgelaufen, wenn diese bei der Feldarbeit eingesetzt waren, dann irrte das Kalb blökend auf dem Hof umher und suchte den Genossen.

 

Und dann die Hunde. Wir hatten einen Bernhardiner namens "Ringel". Er war mein Spielgefährte als kleiner Knirps und er sollte auf mich achtgeben. Er war ein sehr friedliches Tier. Doch einmal, ich hatte ihn in seiner Ruhe gestört, und ihm wohl auch in meinem kindlichen Unverstand wehgetan, wurde es ihm zuviel. Er knurrte mich an und riß sein großes Maul auf. Ich bekam einen Schrecken und schrie auf. In diesem Moment war auch mein Vater da und sah, was da geschah. Er brachte mich ins Haus, holte sein Jagdgewehr und erschoß kurzerhand den Hund. Ich weiß noch, daß ich dann um meinen vierbeinigen Freund sehr weinte. Meine Mutter versuchte, mich zu trösten und schenkte mir ein Portemonnaie aus grünem Leder mit einigen Münzen darin.

Ein anderer Hund hieß "Fidol", der sehr pfiffig und gelehrig war. Er hielt selbständig das Geflügel vom Saatacker fern. Kamen die bei uns häufig anzutreffenden Krähen auf das frisch eingesäte Flurstück, so scheuchte er sie fort. Einmal konnten wir beobachten, wie er Ärger mit drei kleinen Gänschen hatte. Wir waren auf dem Felde gleich hinter unserem Gehöft beschäftigt. Die Gänslein waren an uns gewöhnt und sehr vertraut. So wollten sie auch zu uns kommen. Das hintere Hoftor war offen, so daß sie den Hof verlassen konnten. Fidol gedachte seiner Pflicht und wollte es ihnen verwehren. Er kläffte sie an, aber die Güssel ignorierten ihn völlig. Nun wurde Fidol aktiv, schnappte mit seiner Schnauze recht vorsichtig das erste und trug es auf den Hof. Er kehrte zurück, befaßte sich mit dem zweiten in gleicher Art, aber bis er zum dritten kam, war das erste schon wieder da. So ging das eine ganze Weile, bis es ihm doch gelang, alle auf dem Hof zu haben. Dann legte er sich der Länge nach in die Toreinfahrt und ließ seine Plagegeister nicht mehr zum Zuge kommen. Selbstverständlich gab es auch Katzen auf dem Hof. Bekanntlich vertragen sich Katz und Hund nicht. Das muß aber nicht unbedingt so sein. Wir hatten einen großen und schönen Kater. Er hieß "Peter". Den frei herumlaufenden Hund ließ er in Frieden. Aber mit dem bösen Kettenhund legte er sich gerne an und dabei zeigte er seine ganze Raffinesse. Er kannte genau die Reichweite der Kette, die sie dem Hund ließ. Und so setzte er sich haarscharf an den Rand, so, daß der Hund nicht nach ihm fassen konnte. So saß er, den Rücken zum Hund und wartete, daß der Hund ihn hetzen sollte. Das tat der auch. Er tobte und geiferte, konnte dem Kater aber nichts anhaben. Der saß herausfordernd da und tat, als wäre der Hund gar nicht da. Schließlich gab der Hund auf und verzog sich ermattet in seine Hütte. Und nun kommt die Bosheit der Katze zum Vorschein. Sie verließ ihren Platz und schlich hintenherum, setzte sich auf die Hundebude zum Verdruß des Hundes. Der schoß aus seiner Hütte und wollte dem Kater ans Fell. Das bezweckte der Kater ja gerade. Mit einem Satz war er entwischt. Und nun, die Gemeinheit, setzte er sich auf seinen vorigen Platz wie gehabt. Dieses Spiel wiederholte sich einige Male, bis der Hund aufgab. So gehässig können Katzen sein.

Ferner gab es auch Hühner auf dem Hof. Es waren weiße und braune "Wyandotte". Unter ihnen der stolze Hahn in seinem prächtigen Gefieder. Fand er ein Körnchen oder sonst etwas Genießbares, so lockte er mit seinem "Tuck-tuck" die Hühner und fühlte sich als Herr und Gebieter. Triumphierend schlug er einige Male mit den Flügeln und ließ kräftig sein "Kikerikie" erschallen. Er hatte aber auch eine Konkurrenz; das war der kleine Zwerghahn, der nur zur Zierde auf dem Hofe war. Ungeachtet seiner geringen Größe plusterte er sich auf und krähte mit seinem großen Vetter um die Wette. Auch versuchte er, mit den Hühnern zu schäkern; diese sahen ihn aber nicht für voll an. Armer kleiner Gernegroß. Die Mentalität der Hühner zeigte sich bei folgender Beobachtung. Nach dem Dreschen von Getreide lag auf der Scheunentenne ein großer Haufen gereinigtes Korn. Ein Huhn kam in die Scheune, flog auf den Gipfel des Getreidehaufens und fing an zu futtern. Mühelos konnte es sich satt fressen. Aber ungeachtet dessen fing das Huhn an zu Scharren. Was sollte das denn? Niedlich waren auch die kleinen Hühnerküken, wenn sie ihrer Glucke folgend auf ihren kleinen Füßchen flink und behende sich tummelten.

Dann gab es noch an Federvieh die Puten, die Enten und vorübergehend auch Perlhühner. Die machten aber schon gewöhnlich am frühen Morgen mit ihrem Geschrei zuviel Spektakel. Da waren die Tauben in ihrem Verschlag unter dem Scheunendach weit angenehmer. Dann konnte man sie beobachten, wenn sie auf dem Dach einherstolzierten und sich schnäbelten. Erwähnen möchte ich auch die Kaninchen, die Lieblinge aller auf dem Hof. Aber schlimm wurde es, wenn sie geschlachtet werden sollten. Das wollte niemand übernehmen. Und essen mochten wir sie eigentlich auch nicht gern. Man hatte sie doch so lieb gewonnen. Also war es nichts mit der Nutzanwendung. Aber sie gehörten eben zum Bauernhof.

Dann wären nur noch die Schweine zu erwähnen. Aber von diesen ist nicht viel zu berichten. So viel ist mir noch erinnerlich. Wenn Futterzeit war und jemand klapperte nur mit einem Eimer, so ertönte aus dem Schweinestall ein ohrenbetäubendes Gequietsche.

Es waren aber nicht nur die Tiere, die den Bauernhof interessant machten. Das ganze Grundstück war von Garten umgeben. Vor dem Haus zur Straße hin war der Blumengarten. Und in diesem sollte es das ganze Jahr hindurch blühen. Das setzt aber voraus, daß eine Vielfalt von Sorten und Arten angepflanzt bzw. ausgesät werden. Die ersten Blüten, noch ehe der Lenz richtig Einzug hielt, brachten die Schneeglöckchen. Die blauen, gelben und weißen Krokusse ließen dann nicht mehr lange auf sich warten; und da waren auch schon die frühen Tulpen erwacht, die dann bis zum Juni mit ihren verschiedenen Sorten den Garten farbig belebten.

Unter den Fliedersträuchern wucherten die Maiglöckchen. Es schlossen sich dann bald die vielseitigen Sommerblumen an. Unter ihnen auch einige, die man heutzutage nur noch selten antrifft, beispielsweise Reseda. Die umfangreichen Arten der Nelken, auch Flox und der Rittersporn oder die Kesselrosen, die Lilienarten und noch viele andere durften nicht fehlen. Eine besondere Ecke war den Georginen vorbehalten. Dieser Name ist heute nicht mehr geläufig. Man spricht jetzt von Dahlien. Die Herbstzeit beherrschten die Astern. Die Rosen brauche ich nicht extra zu nennen. Die verstehen sich von selbst. Hier alle anderen Blumen aufzuführen würde zu weit führen und wäre ein unmögliches Unterfangen.

Der Garten war die Domäne meiner Mutter als Hausfrau. Ich zeigte schon frühzeitig als Kind großes Interesse am Garten. Als kleiner Junge ließ ich mir ein kleines Beet zuweisen, welches ich selber gärtnerisch betreute; versteht sich, unter Anleitung meiner Mutter. Diese Vorliebe für das Gärtnern ist mir bis auf den heutigen Tag geblieben. Selbst heute noch, ich darf sagen, in vorgeschrittenem Alter und alleinstehend, betreue ich noch meinen Garten, den ich nicht missen möchte. Freilich blieb es nicht nur bei den Blumen, sondern weitete sich auch auf den Obstgarten aus. In einen solchen war unser Hof fast eingehüllt. Das war eine Pracht, wenn im Frühjahr die Obstbaumblüte begann. Mir klingt heute noch das Summen der Bienen im Ohr, die emsig Blüte um Blüte besuchten, um den Nektar einzusammeln.

Auf dem Felde reifte das Korn. Es wurde geerntet und Fuhre um Fuhre in die Scheune eingebracht. Es war so, daß der Raum hier nicht ausreichte, um alles zu bergen und es wurden in Hofnähe die Schober besetzt. Das in der Scheune lagernde Getreide wurde dann im Winter mit der Dreschmaschine durch Göpelantrieb mittels Pferdekraft ausgedroschen. Nicht so beim Schober. Hier wurde ein großer Dreschsatz mit einer Dampfmaschine eingesetzt, der nach Beendigung der Arbeit zum nächsten Nachbarn umgerückt wurde und so ging es die ganze Straße entlang weiter. Bei diesem Großeinsatz wurden natürlich mehr Arbeitskräfte benötigt. Man behalf sich so, daß man sich in Form von Nachbarschaftshilfe gegenseitig aushalf. Die Nachbarn stellten die fehlenden Leute, wie ihnen selbst umgekehrt wieder geholfen wurde. Das war eine schöne Gemeinschaft, die allen Beteiligten gleichermaßen zu Gute kam. Das Dreschen mit der Dampfmaschine war natürlich für die Kinder hoch interessant. Da gab es so viel zu sehen und man konnte dabei gar manches Gaudium erleben.

Große Urlaubsfahrten und überhaupt größere Reisen waren nicht üblich. Mußte man dienstlich oder geschäftlich irgendwo hin, so erledigte man diese Fahrten mit der Eisenbahn. Aber Besuche bei Verwandten oder Freunden leistete man sich schon.

Heutzutage setzt man sich in diesem Fall ins Auto und fährt an jeden beliebigen Ort. In meiner Jugendzeit hatte ein Bauer noch kein Auto. Er hatte aber Pferde und einen Kutschwagen. Damit konnte man auch gut Besuche arrangieren. Und das nicht einmal übel. Man brauchte nicht mit hundertzwanzig oder mehr Sachen, Kohlenstoffoxydgas hinter sich lassend, durch die Gegend sausen, kaum etwas von der Schönheit der Natur sehend, sondern setzte sich gelassen und gemütlich mit der Familie auf den Kutschwagen und ließ die Rosse traben. Man atmete gesunde Luft, erfreute sich an der Natur und konnte am Ziel wohlbehalten seine Freunde begrüßen. Auch ist mir kein Fall bekannt geworden, daß so eine Fahrt wegen überhöhter Geschwindigkeit verunglückt wäre, an einem Baum zerschellte oder bei einem Zusammenstoß zu Schaden gekommen wäre. Von dieser Seite betrachtet lobe ich mir die gute alte Zeit. Aber auch aus anderer Sicht finde ich so eine Kutschfahrt recht romantisch. Warum sonst wohl organisieren Urlauber, Sommergäste und Erholungssuchende so gern Wagenfahrten mit Pferdegespannen? Diesen Luxus konnte man auf dem Bauernhof fast gratis haben. Was zur warmen Jahreszeit die Kutschfahrt war, brachte der Winter mit der Schneelandschaft die Schlittenfahrten. Wer setzt sich nicht gern warm angezogen auf den Schlitten und geniest auf der Fahrt bei Schellengeläut frische Luft und Natur.

So denke ich oft traumversunken zurück an die Vergangenheit, an unseren Bauernhof, an die Arbeit, die er uns abverlangte, aber auch an all das Gemütliche, das Geruhsame und Schöne. Die Zeiten haben sich gewandelt; man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen und wer will das auch?

Aber Vergleiche ziehen, Rückschauen, - vielleicht auch ein wenig träumen - das darf und kann man doch wohl.

 

In den nachfolgenden Kapiteln will ich versuchen, einige Stimmungsbilder aus Königsrode wiederzugeben.

 

Ein Sonntagmorgen im Mai

in Blick auf die Uhr. Drei Uhr ist es vom Zifferblatt abzulesen. Noch immer beherrscht das Halbdunkel der Maiennacht den Raum. Heute ist Sonntag. Da kann man mal gründlich ausschlafen, bis in den hellen Morgen hinein. - Aber nein; wir hatten doch verabredet, in aller Frühe hinauszuziehen in Gottes freie Natur. Also nichts wie raus aus den Federn. Schön leise, daß man die Ruhe der anderen im Haus nicht stört. Das frische Wasser beim Waschen vertreibt völlig den Schlaf aus den Augen. Bald bin ich angezogen und klopfe bei meinem Nachbarn ans Fenster. Es vergeht noch keine viertel Stunde und wir sind schon unterwegs. Zunächst schlendern wir durch das Dorf. Verschlafen liegen die Gehöfte rechts und links an der Straße. Weiter geht es in Richtung Maifeld - ja, damals hieß es noch Chraplewo. Aber noch ehe wir das Gut erreichen, an der Gemarkungsgrenze, biegen wir von der Straße ab und folgen dem Ackerrain und streben dem nahen Walde zu. Inzwischen ist es heller geworden. Die Nacht weicht dem jungen Licht des Tages. In der Dämmerung sieht man schemenhaft Rehwild beim Äsen auf der jungen Saat. Eine Lerche unterbricht die frühmorgendliche Stille und trillert ihr Morgenlied hoch über uns. Sie bleibt nicht lange allein. Ringsum erwacht die Natur. Aus dem Walde, den wir bald erreichen, ertönt uns schon ein vielstimmiges Konzert entgegen. Das zwitschert und pfeift in allen Tonarten. Auf dem weichen Moosteppich wandert es sich wunderbar. Unser Gespräch ist verebbt; wir sind eingefangen in dem Zauber des erwachenden Tages. So gehen wir durch den Maienwald, eine viertel Stunde, oder war es schon eine halbe Stunde? Wir waren inzwischen in den Turziner Wald übergewechselt und überqueren jetzt den Exiner Landweg. Im Grenztal, welches die Gemarkungen Königsrode und Rzemieniewice scheidet, liegt noch der Nebel. Mit dem Aufgang der Sonne wird auch er verschwinden. Wir steigen aber auf die Hügel - Berge wurden sie bei uns genannt -, die uns der Baltische Höhenzug in so reichlichem Maße zugedacht hat. Die Kuppen und steilen Hänge waren angeschont. Sie setzten der landwirtschaftlichen Nutzung zu große Schwierigkeiten entgegen. Hier war das ideale Revier für Wildkaninchen. Gar lustig ist es anzusehen, wenn sie, aufgeschreckt durch das Eindringen eines Fremden, in drolligen Zickzacksprüngen das Weite suchen oder im nächsten Bau verschwinden. Aber nicht nur Kaninchen gibt es hier. Da ist der stolze Fasan in seinem prächtigen Gefieder, der hier unter Strauchwerk und Gebüsch Schutz sucht und auch findet. Sein Tisch ist hier sowohl in den kleinen Waldsprengeln wie auch auf den sich ringsum ausbreitenden Ackerfeldern reichlich gedeckt. Ebenso geht es den Rebhühnern, die gleichfalls zahlreich vertreten sind. Aber unser Weg führt uns weiter. Wir kommen bis zu unserem Gemeindefriedhof. Hoch auf einem Hügel gelegen ist er mit seinen Kiefern ein weithin sichtbares Wahrzeichen unseres Heimatdorfes. Gleich nebenan ist der höchste Punkt in dem Gelände. Hier lassen wir uns zur Rast nieder. Inzwischen ist es vollends Tag geworden. Im Osten erhebt sich der rotglühende Ball der aufgehenden Sonne aus dem Horizont und verspricht einen klaren Sonnentag. Der in den tieferen Lagen wallende Dunst und Nebel weicht allmählich den sieghaften Strahlen der aufsteigenden Sonne. Ein erhebender Anblick, von einer sonnenbeschienenen Höhe herab zu beobachten, wie sich ganz langsam dieser milchige Brodem in Nichts auflöst. Jetzt ist uns der Blick freigegeben worden auf das Panorama, das sich uns hier oben zur Schau bietet. Von Südost zieht sich ein Ausläufer eines Urstromtales bis zum Fuße unserer Höhe und noch ein Stück weiter. Ein weites, grünes Wiesental. Von Nordosten grüßt aus dem Tal herüber unsere Bahnstation Salesche. Links davon liegt das Gut gleichen Namens und im Hintergrund wieder ansteigend Wald und immer wieder Wald. Zur linken Hand winken über Hügel und Baumwipfel die Türme von Exin - die Stadt auf dem Berge. Wir wenden uns nach rechts. Fast wie ein riesiges Schachbrett zeigt sich uns hier die Landschaft jenseits des Tales. Unregelmäßige Karos, Ackerflächen und dazwischen Wald. Und da erspäht man auch Schubin, unser Kreisstädtchen. Immer weiter gleitet der Blick in Rechtswendung. Drüben im Tal, ganz im Busch versteckt ist Slupy. Aber von unserer Höhe aus ist der Horizont noch viel weiter gespannt. Wonsosch, - die Hartwigsche Mühle ist ganz deutlich auszumachen. Überall, mitunter nur ganz verschwommen, Dörfer und Einzelgehöfte, bis hinüber zum noch gerade erkennbaren Turm der Kirche von Hallkirch. Und nach Südwesten gewandt liegt vor uns weit auseinandergezogen unser geliebtes Heimatdorf Königsrode. Von links nach rechts die Schwedenschanze, die Slupyer Straße und halb von Hügeln verdeckt das eigentliche Dorf. Die Schule, die Brennerei mit ihrem hohen Schornstein, der Molkereischornstein wirkt dagegen nur zwergenhaft. Und am Ortsausgang ein weiteres Wahrzeichen des Ortes, die tausendjährige Eiche mit ihrer knorrigen Krone. In der gleichen Richtung im Hintergrund erkennt man teilweise auch das Nachbardorf Zinsdorf, vor allem den auf einer Anhöhe gelegenen Friedhof mit seinen Birken; in unmittelbarer Nachbarschaft die Windmühle von Wesche und als drittes im Bunde der massive Turm der Kirche. Nach Nordwesten setzt Wald dem schweifenden Blick Grenzen, der gleiche Wald, den wir heute in der Morgenfrühe durchstreift haben. Jetzt zeigt er sich uns im vollen Sonnenlicht. Die dunklen Kiefern und Fichten und dazwischen immer wieder die schwellenden Bogen der Birkenkronen mit ihrem lichten Frühlingsgrün. Gerade dieser Kontrast ist es, der einen ganz bezaubernden Reiz hervorruft. Ganz anders der angrenzende Wald von Chraplewo. Hier herrschen Eichen vor und nur selten wird das Grün des jungen Eichenlaubes von anderen Baumarten unterbrochen. Und dennoch wirkt es nicht eintönig. Die Bodenwellen, auf denen der Wald gewachsen ist, bringen Abwechslung in das ganze Bild.

Es ist herrlich hier oben im warmen Sonnenschein zu liegen und diesen Rundblick zu genießen.

Gegen Mittag machen wir uns dann auf den Heimweg. Schließlich fordert auch der Magen sein Recht und heute ist er wirklich zu kurz gekommen, denn beim Aufbruch in der Frühe haben wir uns keine Zeit zum Frühstück genommen. Auf Feldwegen wandern wir heimwärts. Es war ein schöner Sonntagmorgen im Mai, der mir bis heute noch lebhaft vor Augen steht und an den ich gerne zurückdenke.

 

 

Ein Wintertag bei uns Daheim

 

as Weihnachtsfest liegt hinter uns und der Januar ist ins Land gezogen. Mit ihm kam klares Forstwetter, wie es uns Jahr für Jahr um diese Zeit, bedingt durch das hier wirksam werdende Binnenklima, beschert wird. Die Felder sind in der Kälte erstarrt und Teiche und Bachläufe zugefroren. Der Schnee rieselt in großen Watteflocken herab und hüllt die ganze Landschaft in eine weiße Daunendecke ein. Die Dächer tragen ebenfalls dicke Verkleidungen, als wollten sie Menschen und Vieh in ihren Unterkünften damit vor dem strengen Frost schützen.

Auch die Bäume haben an Stelle ihres sommerlichen Blätterkleides weißen Schmuck angelegt und jeder Zaunpfahl hat eine weiße Pelzmütze aufgesetzt.

Es hat aufgehört zu schneien und die Wintersonne strahlt auf die weiße Pracht hernieder. Aus den Schornsteinen der Häuser steigt kräuselnd der Rauch in die klare Winterluft empor, denn die Kachelöfen müssen fleißig geheizt werden, wenn sie ihre wohlige Wärme in den Wohnungen spenden sollen. Der Bauer hat jetzt seine ruhige Zeit. Wenn er im Sommer in der Hitze im Schweiße seines Angesichts seine Arbeit verrichtete und im Herbst mit gekrümmten Rücken die Früchte des Feldes erntete, so kann er sich jetzt ein wenig Ruhe gönnen. Aber bei einem Wetter wie heute hält es ihn nicht lange in der mollig-warmen Stube. Er sucht sich draußen Beschäftigung, pflegt sein Vieh im Stall, bastelt auch an diesem und jenem im Schuppen herum. Aber der Sonnenschein lockt ihn hinaus ins Freie. So spannt er die Pferde vor den Schlitten und rüstet zur Ausfahrt. Nicht, daß er einen wichtigen Weg zu machen hätte, nein, nur so eine Spazierfahrt durch die Winterlandschaft will er machen. Die Bäuerin holt, gleich ihm, den warmen Mantel hervor oder schlüpft in den weiten, zottigen Fahrpelz. Vorsorglich wird ein heißer Ziegelstein in den Fußsack getan und zum Schlitten gebracht. Die Kinder sind schon längst aufmerksam geworden und halten ihre Rodelschlitten bereit. Sie werden, einer hinter dem anderen, an den Pferdeschlitten gekoppelt und dann kann es losgehen. Die Pferde sind vom langen Stehen im Stall übermütig geworden und sind ebenfalls froh über die Bewegung im Freien. Sie vollführen so manche Kapriolen und der Bauer muß die Zügel sicher in den Händen halten, um die Mutwilligkeiten der Tiere parieren zu können. So gleitet das leichte Gefährt in forschem Tempo dahin. Der Frost wirkt in der reinen Luft durchaus nicht störend. Die verschneite Winterlandschaft, der helle Sonnenschein, der die Schneekristalle wie Diamanten aufblitzen läßt, das Jauchzen der Kinder auf ihren Rodelschlitten und das silberhelle Geläut der Glocken an den Geschirren der Pferde vereint sich zu einer Symphonie der Fröhlichkeit. Weiter geht es Straße auf, Straße ab; ein Abstecher in das Nachbardorf wird gemacht. Die Kette der Rodelschlitten hat sich inzwischen verlängert, denn unterwegs haben sich noch weitere Kinder angeschlossen. Freilich geht es nicht ganz ohne Panne ab, denn nicht jede Leine an den Schlitten ist erster Qualität und es kommt schon vor, daß so ein Strick der Belastung nicht standhält und abreißt. Das gibt jedesmal ein Gejohle. Aber der Schaden ist bald repariert und weiter geht die Fahrt. Schon bald begegnet man weiteren ähnlichen Gespannen und oft vereinigen sich dieselben zu einem Geleit von fünf und mehr Schlittenzügen. Je länger der Zug, um so größer natürlich auch der Spaß.

Wie schnell vergeht doch so ein Winternachmittag. Mit der sinkenden Sonne wird es auch Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. Zu Hause wartet schon das Abendbrot auf uns und heute, nach dem Aufenthalt in der frischen Luft schmeckt es allen ganz besonders gut.

Das war mal ein herrlicher Wintertag für die Kinder. Und wir Erwachsene? Hat es uns nicht auch gut getan?

 

Weihnachten

as Jahr neigt sich dem Ende zu. Die Tage werden kürzer. Spät geht die Sonne am Vormittag auf. Ihr Weg beschreibt nur einen kleinen Bogen am Himmelszelt und bald versinkt sie, um einer langen Nacht das Feld zu räumen. Schon früh am Nachmittag beginnt es zu dämmern. Die Natur ist schlafen gegangen und eine Schneedecke hüllt die müde Erde ein. Es ist Weihnachtszeit. Eine besinnliche Zeit trotz aller Hektik ringsum im Haus, auf dem Markt, in den Geschäften. Und eine Zeit der Erwartung. Weihnachten ist einmal das deutscheste Fest genannt worden. Es ist das Fest der Liebe, das Fest der Familie. Beim Dämmerschein der Adventskerzen tauchen Erinnerungen auf, Erinnerungen an Weihnachten in der ostdeutschen Heimat. Da tönt noch das Glockengeläut vom Kirchturm an unser Ohr. Zu Fuß oder auch im schnellen Schlitten folgen die Gläubigen diesem Ruf. Die Kirche erstrahlt im hellen Lichterglanz. Dann setzt die Orgel ein und durch den Raum schwingen die Melodien der alten und doch immer neuen Weihnachtslieder.

Wir hören die Weihnachtsgeschichte, das Ganze umrahmt von den Klängen der Hörner des Posaunenchores. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden". Auf dem Heimweg sieht man bald hier, bald dort, wie sich die Fenster erhellen. Die Weihnachtstannen werden angezündet. Die Kinder stehen vor dem Lichterbaum mit blanken Augen. „Selige Weihnachtszeit! Uns ist heute der Heiland geboren!" -

Die Gedanken eilen zurück in die Vergangenheit. Da ist die erste Weihnacht, die ich nicht im Kreise meiner Familie verlebte. Ich bin in der Volkshochschule in Dornfeld bei Lemberg, fast tausend Kilometer von zu Hause entfernt. Wir haben vereinbart, das Fest im Heim zu verbringen. Hier gehören wir ja auch zu einer großen Familie, und trotzdem konnte man eine gewisse Wehmut nicht verwinden, wenn man an Weihnachten zu Hause dachte. Seit etwa vierzehn Tagen keine Post, kein Lebenszeichen von zu Hause. Weihnachten stand vor der Tür. Wir hatten uns für unser Zimmer - vier Mann, Landsleute aus der Heimat - ein kleines Bäumchen besorgt, um auch in dieser kleinen Gemeinschaft Weihnacht zu haben. Am Heiligen Abend fand sich alles im großen Saal zusammen. Jeder hatte seinen festlich geschmückten Platz mit seiner Weihnachtsbescherung. Ein bunter Teller, eine kleine Gabe der Schule und siehe da, ein Stapel Briefe und Karten, die so vermißte Post von Eltern und Freunden, die vom Leiter für diese Stunde aufgespart worden war. Dazu ein gewaltiges Paket von zu Hause mit allerhand Gaben zum Fest. Der Leiter, Dr. Seefeld, sprach über den Sinn von Weihnachten; unsere schönen Weihnachtslieder erklangen und es wurde ein recht harmonisches Fest unter Gleichgesinnten. Und trotzdem fehlte im äußersten Winkel des Herzens ein ganz klein wenig das "Zu Hause" in der Gemeinschaft mit der eigenen Familie. -

Jahre waren seitdem vergangen. Weihnachten 1944. Es war Krieg. Ich trug die feldgraue Uniform. Mit meiner Gruppe lag ich in einer alten Wassermühle. Es war ruhig geworden in unserem Abschnitt. Wir hatten eine kleine Tanne geschmückt mit selbstgefertigtem Zierat aus Stanniolpapier aus der Verpackung in den Frontpäckchen. Ein Kamerad war kurz davor aus seinem Heimaturlaub zurückgekommen und hatte von seiner Jagd Rehkeulen mitgebracht. Das gab einen herrlichen Festbraten. Auch zu trinken gab es reichlich, hatten wir doch gerade Marketenderwaren empfangen. Aber die Sorge um die Unseren zu Hause ließ keine rechte Feststimmung aufkommen, denn die Rote Armee drang unaufhaltsam auf die Reichsgrenze zu. Was soll dann aus unseren Familien werden? Traurige Weihnachten. -

Der Krieg war zu Ende. Wir saßen im Gefangenenlager hinter Stacheldraht. Wie soll die "Frohe Botschaft" bis zu uns vordringen? "Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen". Hat das noch Gültigkeit? Wie sieht die Wirklichkeit aus? Einem von uns war es gelungen, von einer Arbeitsfahrt einen Kiefernstrauch ins Lager zu schmuggeln. Das war unser Weihnachtsbaum, kärglich, ohne Schmuck; für uns aber ein Juwel. Still saßen wir um das Bäumchen. Es wurde kein Weihnachtslied gesungen und alle hingen ihren Gedanken nach, Gedanken an die Angehörigen, an zu Hause. Ja, wo war das Zuhause! Wir aus Ostdeutschland wußten es nicht. Leben unsere Angehörigen noch, oder sind sie auch ein Opfer des grausamen Krieges geworden? - Da kommt ein Kontrollgang der Wache mit dem „Nacialnik", dem russischen Lagerkommandanten. Beim Anblick unserer Kiefer bekommt er einen Tobsuchtsanfall, schreit wie von Sinnen, trampelt voller Wut auf dem bißchen Grün herum und jagt uns aus unserem Bunker hinaus in Schnee und Kälte auf den Appellplatz. Nach etwa einer halben Stunde durften wir wieder in unseren Erdbunker einziehen. Weihnachten in Kriegsgefangenschaft.

Die zweiten Weihnachten in russischer Gefangenschaft. Der strenge Frost hatte plötzlich nachgelassen. Matsch und Regen hatten den Lehmboden total aufgeweicht. Es ist wieder Heiliger Abend. Die Dämmerung beginnt sich auszubreiten. Da kommt der Befehl: Sachen mitnehmen, raustreten. Eine Stunde vergeht und wir stehen immer noch auf dem Appellplatz im Regen. Abendessen gibt es nicht. Da fallen Kommandoworte und der Zug setzt sich in Bewegung. Eine gute halbe Stunde und wir werden in ein anderes Lager, Erdbunker wie gehabt, eingewiesen. Durch die große Sterblichkeit im ersten Lager, infolge der äußerst mangelhaften Verpflegung in Verbindung mit abträglicher Behandlung ist unsere Lagerbelegschaft auf etwa 40% der ursprünglichen Stärke zusammengeschmolzen. Daher wird das Lager aufgelöst und wir einem anderen Lager zugeteilt. Bei unserem Eintreffen war gerade Essenempfang: Pellkartoffeln und „Gulasch". Gewiß nur wenig Kartoffeln und eine dünne Brühe darüber. Für uns wäre es eine Delikatesse gewesen, aber wir bekamen nichts. Im alten Lager waren wir abgemeldet und hier noch nicht einproviantiert. Also mit leerem Magen Weihnachten feiern. Aber dann eine andere Überraschung. Die Lagerleitung ging durch das ganze Lager um sich zu überzeugen, daß auch in jedem Bunker ein Weihnachtsbaum aufgestellt sei. Wie war das noch im vergangenen Jahr? --

Das war viermal Weihnachten fern von der eigenen Familie, viermal verschiedene Weihnachten. Wollen wir doch dankbar sein, wenn es uns vergönnt ist, Weihnachten im Kreise unserer Angehörigen zu feiern. Aber bedenken wir auch dabei, daß Äußerlichkeiten allein noch keine echten Feiertage bedeuten; bedenken wir, daß Weihnachten das Fest der Liebe ist, daß Weihnachten uns den Frieden in die Welt bringen will. Wann wird die Weihnachtsbotschaft sich in der Welt erfüllen? Wann die Liebe unter den Menschen das Regiment führen und wann der Frieden Einzug halten und damit den Menschen ein Wohlgefallen?

 

 

Auf zum fröhlichen Jagen

er Tag neigt sich dem Ende zu und da erscheint mir wieder die so anheimelnde Schummerstunde, die ich so liebe. Die Gegenwart verschwindet und verdämmert am blauen Waldessaum und vertraute Vergangenheit drängt sich einschmeichelnd in meine Gedanken. Bilder aus längst vergangenen Zeiten tauchen rings um mich auf. Traumgestalten? Du wirst unsicher; wo ist die Wirklichkeit und wo sind es nur Gaukelbilder? Und doch, es sind Realitäten. Du hast sie selbst erlebt. Vor vielen, vielen Jahren. Sie sind nur verdrängt worden in der Härte des Schicksals. Sie sind in den Hintergrund gedrängt worden, verschoben mit der Vertreibung aus der Vertrautheit eines Stückchens Erde, welches wir Heimat nennen. Aber sie sind vorhanden und sie sind bereit, in unser Bewußtsein zurückzukehren in Stunden der Besinnlichkeit. In Stunden, wenn unsere Gedanken heimwärts eilen in den fernen Osten, in die Gefilde unserer Jugend, in die Zeit unseres frohen Schaffens.

Heute hatten wir wieder einen klaren, sonnigen Wintertag mit trockenem Frost, wie wir ihn noch aus unserer Heimat kennen. Nur fehlt der Schnee, der mit seiner strahlend weißen Decke die Landschaft zu verzaubern vermag. Das erinnert an einst, an damals. In dieser Stimmung habe ich wieder einmal meine Kiste der Erinnerung aufgetan und in alten Zeiten gekramt. Winterzeit, Schneelandschaft, Jagdzeit! Und dann stehen uns längst verschwundene Bilder vor Augen.

Wenn auch die Jahre enteilen,

bleibt die Erinnerung doch.

Selige Träume verweilen

immer im Herzen uns noch.

So hat uns ein Sänger gesungen, und er wußte, was er da sagte. So ein Wintertag daheim. Die Nacht hat uns eine „Neue" gebracht. Was eine Neue ist? Das Wort stammt aus dem Schatz der Jägersprache und bedeutet eine frische Schneedecke. Aus den deutlichen Fährten in dem frisch gefallenen Schnee liest der Weidmann wie in einem Buch, was sich so alles in der Nacht da draußen zugetragen hat. Da ist das Zeichen des Marders, der sich am Hühnerstall zu schaffen gemacht hatte. Drüben am frischen Stallmiststapel schnürte Reineke Fuchs. So gibt es eine Vielfalt, die zu Lesen und zu Deuten dem Jäger zu eigen sein muß.

Heute geht es aber nicht auf die Pirsch. Heute geht’s zur Treibjagd bei einem Jagdfreund. Waldi, sein getreuer vierbeiniger Jagdhelfer, ist schon unruhig geworden. Er merkt, es liegt etwas in der Luft. Aber heute darf er zu seinem Leidwesen seinen Gebieter nicht begleiten. Bei einer Treibjagd sind gleich ihm die „Bellos, die Hassos, die Foxis" und wie sie sonst noch alle heißen mögen, nicht gefragt. Es geht ja nicht auf Pirschgänge, bei denen sie wohl unentbehrlich sind. Treibjagden, Feldjagden haben ihren eigenen Charakter. Da hilft unseren Freunden kein Winseln und Betteln. Basta.

Verschiedene Jagdgenossen aus näherer und fernerer Umgebung sind schon bei dem Jagdherrn eingetroffen. Ein allseitiges „Weidmannsheil" und ein stärkender Schluck aus der Flasche zur Begrüßung. Der Jagdherr gibt, wie es die gewohnte Ordnung gebietet, die Richtlinien des Treibens bekannt, was zum Abschuß freigegeben ist und was sonst noch zu beachten sei. Die Schützen werden in zwei Parteien eingeteilt. Nicht etwa um politische Anschauungen, lediglich um organisatorische Maßnahmen. Rote oder blaue, gelbe oder grüne Markierungen kennzeichnen die beiden Gruppen. Die Treiber werden den entsprechenden Gruppen zugeteilt und orientieren sich ebenfalls an den gegebenen Farben. Die Wagen zum Transport der Schützen zu dem Punkt des Treibens führen gleichfalls diese Farben. Zwei Wagen mit entsprechenden Gerüsten stehen nach jedem Treiben zur Aufnahme der Strecke, das ist die Beute des Treibens, zur Verfügung. Das gesamte zu bejagende Revier wurde bereits in feste Treiben - Kessel - eingeteilt und wird nacheinander abgetrieben. Nach jedem Treiben wird die Strecke gelegt und zwar nach einer bestimmten Rangordnung; Hasen, Flugwild (wenn freigegeben), Raubzeug und Füchse. Letztere haben durch ihre Anwesenheit im Kessel schon manches Treiben in Unordnung gebracht, denn ein „Roter" im Kessel machte Schützen und Treiber nervös, denn alles achtet über Gebühr gespannt auf dieses Objekt. Manch ein Krummer (Hase) verdankte diesem Umstand sein Leben, denn diese Unachtsamkeit ermöglichte ihm den Ausbruch aus dem Kessel. In der Mittagszeit wurde eine Pause eingelegt. Die Treiber packten ihre mitgebrachten Wurststullen aus und verzehrten sie zu dem vom Jagdherrn spendierten Schluck. Auch die Schützen griffen in ihrem Aser (Jagdtasche) um sich zu stärken. Zwischendurch nahm man wohl auch einen aufwärmenden Schluck „Zielwasser" zu sich.

Mitunter hatte der Jagdherr auch an ein warmes Essen gedacht und einen Kessel Erbseneintopf herausbringen lassen. Frisch und gestärkt ging es ins nächste Treiben.

Auch so ein Tag geht einmal zu Ende. Die Treiber werden entlohnt und entlassen. Aber die Jagdgenossen legten jetzt nochmals richtig los. Es ging nach dem Kesseltreiben nun an das Schüsseltreiben im Hause des Hausherrn. Die Zuständigkeit hierfür lag bei der Hausfrau, die unter Mithilfe benachbarter Freundinnen ein kräftiges und schmackhaftes Mal zubereitet hatte. Zuvor wurde aber das Erlebnis des verflossenen Tages unter die Lupe genommen. Als Erstes kam die Bekanntgabe der gesamten Strecke mit Namen der beteiligten Schützen. Wer die höchste Zahl der erlegten Beute aufweisen konnte, wurde zum Schützen- oder Jagdkönig nominiert. Der Erfolgloseste wurde „Krautkönig". Ihm wurde als Anerkennung bei Tisch ein Krautstrunk serviert. Als schönster Teil bei Tafel war aber der Bericht des insgeheim ernannten Berichterstatters. Während des Ablaufs des Tages hat er heimlich alle Schnitzer der Schützen registriert. An Kritik hat er nicht gespart und sein mit Humor vorgetragener Bericht brachte gar manchen Verstoß gegen Sitte und Brauchtum im Rahmen der Jagdgesellschaft zu Tage. Sein Bericht wurde mit viel Heiterkeit aufgenommen. Den Sündern wurden mancherlei Bußen aufgebrummt. Aber krumm genommen wurde nichts. Es blieb alles bei der alten Kameradschaft und man war bereit den Übeltätern mit einem Zutrunk und einem „Weidmanns Heil" Absolution zu erteilen. In geselliger Runde verweilte man gern in diesem Kreise. Dabei wurde auch so manches lustige Jagderlebnis zum Besten gegeben. Spät trennte man sich, um die wohlverdiente Ruhe zu genießen. Entfernter wohnende Genossen blieben mitunter auch als Schlafgast im Hause des Jagdherrn. Es war nämlich so, daß man am kommenden Morgen oft schon wieder zum nächsten Treiben aufbrechen mußte. Zur Winterzeit, um Weihnachten und Neujahr, also kurz vor der „Schonzeit „ für das Wild, folgte sehr oft eine Treibjagd gedrängt von der anderen. Und die Jäger waren großenteils immer die gleichen. Für die Jäger gab es aber nicht nur die Treibjagden. Auch andere Arten der Jagdausübungen waren interessant. Da war bei uns zu Hause ein wenig abseits des Dorfes ein kegelförmiger, mit Bäumen und Strauchzeug bestandener Hügel. Aus gutem Grunde nannten wir ihn „Malepartus". Das war der Hausberg des pfiffigen Fuchses Reineke, wie er in der Tierfabel genannt wird. Hier schien er sich wohl zu fühlen, um nach dem massenhaften Baue und allseitigen Ausgängen zu urteilen. Seine Sippe hatte diese Stelle für sich gepachtet und der ganze Berg war in seinem Innern eine große Fuchskolonie. Wurde er hier mit Dackel oder Frettchen angegriffen, so ertönte gar bald ein Dröhnen und Rumoren unter der Erde. Bei Gefahr hatte der Fuchs viele Möglichkeiten durch verschiedene Ausgänge sich davon zu schleichen. Es war ja schlecht möglich, alle Fluchtwege zu besetzen. Mit einem oder zwei Schützen war ihm nicht beizukommen. So gingen wir ihm eines Abends mit vier Flinten zu Leibe. Und richtig hat ihn auch einer von uns erwischt und beim Fluchtversuch erlegt. Alle Viere von sich gestreckt blieb Reineke mausetot liegen. Auf der gegenüberliegenden Seite wurde es in diesem Moment lebhaft und der erfolgreiche Schütze diesseits eilte hinüber, um keine Sensation zu verpassen. Doch drüben hatte es sich bald beruhigt. Der Rote, der flüchtig werden wollte, zog sich geschmeidig in seinen schützenden Bau zurück. Aber der erste Schütze sollte trotzdem seine Sensation haben. Bei der Rückkehr zu seinem Stand fand er wohl die Stelle, wo seine Beute liegen geblieben war. - Er traute seinen Augen nicht. Der Fuchs, den er doch tot zurückgelassen hat, war einfach verschwunden. Der Totgeglaubte hatte es vorgezogen, das Weite zu suchen. Da soll man nicht am Wunder glauben? Die Anerkennung wurde dem erstaunten Schützen zuteil, aber in der Form der Hänseleien seiner Freunde. Gar viele Versuche wurden hier noch unternommen, aber nur selten war ein Erfolg zu verzeichnen. Wir mußten eines Tages unsere Heimat verlassen. Der Fuchsbau Malepartus ist geblieben und ich bin überzeugt, daß er heute noch Bestand hat. Heute bin ich froh darüber, denn die Erde gehört nicht uns Menschen allein und jedes Lebewesen auf unserem Globus bereichert die Natur. Im übrigen ist es aber ja nicht so, daß der Weidmann der schießwütige Geselle ist, wie er so oft von seinen Gegnern verschrien ist, der alles, was ihm vor den Lauf kommt, auslöscht. Im Gegenteil zeigt es sich oft, daß er der bessere und verständnisvollere Naturschützer ist wie manch einer, der ihn des Jagens wegen anfeindet. Nicht das Schießen macht den rechten Jäger aus, denn der steht mehr auf Hege.

 

Das ist des Jägers Ehrenschild,

daß er beschützt und hegt sein Wild;

weidmännisch Jagd wie sichs gehört,

den Schöpfer im Geschöpfe ehrt !

Und wenn er bei schwindendem Büchsenlicht durch sein Revier streift und beobachtet, wie es in der Natur lebendig wird, dann ist er recht in seinem Element. Wenn die Hasen treiben, erst ein einzelner, dann kommen mehrere, bis es auf den Feldern von ihnen zu wimmeln scheint. Die Krähen in der Luft suchen ihren Schlafbaum auf. In der Nähe tönt der Lockruf eines Rebhahnes. Ein weiterer, ein dritter Ruf. Und dann folgt am gegenüberliegenden Heckendreieck die Antwort. Dort hatte ein Volk Rebhühner seinen Einstand. Von irgendwoher im Revier erklingt das Schlagen einer Wachtel mit ihrem eigenartigen Ruf. Aus dem Haselbusch nebenan ein schmatzendes Geräusch. Da verspeist ein Igel seine Beute, einen Käfer, eine Schnecke oder einen Regenwurm. Er läßt sich seine Mahlzeit gut schmecken. Er wird auf leisen Sohlen noch weiter sein Gebiet durchstreifen, denn er muß sich im Laufe des Sommers vorsorglich ein Fettpolster schaffen, von dem er in der Zeit seines Winterschlafes unter einem alten Holzstapel oder einer dicken Laubdecke im dichten Gebüsch, einem Reisighaufen oder wo ihm sonst gegen die Unbilden der kalten Jahreszeit Schutz geboten wird, zehren kann.

Das Dämmerlicht des Tages beginnt zu schwinden, um in das Dunkel der Nacht überzugehen. Im schwachen Schein des fahlen Mondlichtes, das verstohlen zwischen ziehenden Wolken hervorbricht, ist auf dem Ackerstreifen ein Rudel Rehe auszumachen. Nach allen Seiten sichernd war es aus dem Forst getreten, folgte dem Leittier zur jungen Saat, um sich daran gut zu tun.

Der Weidmann benötigt auf dieser Streife nicht seine Büchse, und selbst wenn er sie bei sich gehabt hätte, würde er zu sich sagen: „Hahn in Ruh". Auch das ist Pirsch und ich meine, nicht die schlechteste.

Viele Jahre - auch recht bewegte und schicksalsschwere - sind vergangen. Ich habe keinen Jagdschein mehr und es ist schon gut so. Aber die Erinnerung ist mein und die ist mir geblieben. Viele meiner damaligen Jagdfreunde sind nicht mehr.

Sie sind in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Sollte einer oder der andere noch unter uns sein und diese Zeilen zu Gesicht bekommen, so möchte ich ihm, wie einst ein Weidmannsheil zurufen.

Willy Eilmes

 

 

Was die Schwalbe sang

ch sitze in meiner Kammer am Fenster und blicke hinaus auf den Garten. Es blühen die letzten Rosen. Sie sind nicht mehr so frisch wie im Sommer, als sie im warmen Sonnenstrahl ihren Duft ausströmten und ihre Blütenpracht dem Betrachter zuwandten. Es ist Herbst geworden in der Natur. Die Schwalben sind gen Süden gezogen und nachts hört man schon des öfteren das Geschrei der Kraniche, wenn sie in großer Formation ihren Zug in mildere Gefilde vollführen. Dieses Bild läßt mich ins Sinnieren kommen und verdeutlicht mir die Gewißheit, daß auch in meinem Leben Herbst geworden ist. Einsamer ist es um mich geworden. Wo ist der Frohsinn der Jugend geblieben? Wo ist das pulsierende Leben von einst? Es ist dahin und uns bleibt nur die Erinnerung. Und von ihr zehren wir. Da erscheinen vor dem geistigen Auge die frohen Zeiten aus frühester Jugend. Und je länger wir diesen Gedanken nachhängen, desto deutlicher werden die Bilder. Da schauen wir wieder die vertrauten Bilder des Heimatortes, in dem man froh und glücklich war. Man schaut sein Elternhaus, man geht die vertrauten Wege, die man einst gegangen ist. Da ist der Dorfteich, der Park mit seinen mächtigen Bäumen, den Fliederbüschen, den blühenden Sträuchern. Und mitten drin die immer sprudelnde Quelle, aus der unaufhaltsam das klare und frische Wasser fließt, welches sich in den Dorfteich ergießt. Wie oft hat man sich in Sommers Tagen an diesem köstlichen Naß erfrischt. In den Baumwipfeln tiriliert und musiziert es in allen Tonarten, als wollten sich die kleinen gefiederten Sänger gegenseitig überbieten.

Als Kinder haben wir im Schatten dieser Bäume unsere Spiele ausgeführt. Morgen um Morgen eilten wir durch das alte Parktor zur Schule, die mitten in diesem Idyll gestanden hat. Lernen gehört nun einmal zum Leben und in der Jugend muß damit schon begonnen werden. Das Ergebnis, der Erfolg, wird sich in späteren Jahren mehr oder minder herausstellen. Aber diese Weisheit hat uns damals nicht all zu sehr belastet. Wir forderten unsere Spiele und wollten unseren Frohsinn haben. Und, Hand aufs Herz; waren uns die Schulaufgaben immer und zu allen Zeiten wirklich wichtiger als Fußball, Drittabschlag oder Völkerball. Wer erinnert sich nicht gern daran?

Die Zeit blieb nicht stehen. Auch Kinder wachsen heran und jede Zeit hat ihre Domänen. Man hatte das Verlangen, auch die weitere Umgebung zu durchforschen. Gruppen fanden sich zusammen. Versorgt mit dem nötigen Mundvorrat ging man auf eine Tagesreise, natürlich auf Schusters Rappen. Ja, ja, Fahrräder hatten noch Seltenheitswert und bedeuteten ein Statussymbol. Um die Natur zu schauen und zu erleben ist eine Fußwanderung auch bestimmt vorteilhafter und erfolgreicher. In diesem Lebensabschnitt taucht auch das Verlangen nach dem Messen der Kräfte und des Könnens mit Gleichaltrigen auf. Was gab es da nicht alles an Wettkämpfen, sei es Wett- oder Hindernislauf, Schwimmen und Tauchen und, und......... Wer will das alles aufzählen?

Aus den Knaben werden Jünglinge und die Lebensart ändert sich gleichlaufend. Der Sport gewann festere und exaktere Formen. So erinnere ich mich an die Gründung unseres dörflichen Fußballclubs mit dem hochtrabenden Namen „Olympia". In Schubin gab es einen solchen Club „Astoria", später auch in Salzdorf, dessen Namen mir aber nicht mehr in Erinnerung ist. Schubin war natürlich Favorit mit seinen weit besseren Voraussetzungen wie beispielsweise Platz, Trainingsmöglichkeiten und vor allem an besserer und größerer Auswahl an fähigen Spielern.

Wir in Königsrode waren ein ganz junger Verein, auch mit noch wenig Erfahrung gegenüber den Schubinern. Trotzdem riskierten wir mit ihnen ein Freundschaftsspiel. Was zu erwarten war, geschah. Wir verloren mit Trommeln und Trompeten mit dem Ergebnis: 0 zu 9.

Was machte das schon? Wir hatten doch unser Auswärtsspiel. Im kommenden Jahr hatten wir schon etwas aufgeholt und spielten gegen Salzdorf. Der Vorteil war jetzt auf unserer Seite und wir gewannen mit 4 : 1.

Der sportliche Mittelpunkt verlagerte sich jetzt aus völkischen Gründen immer mehr nach Zinsdorf zum dortigen Jugendzentrum. War doch unsere Vereinstätigkeit in dem damals polnischen Staat immer begrenzter geworden. Lediglich im kirchlichen Bereich sahen wir noch Möglichkeiten zur Entfaltung, da hier störende Eingriffe von polnischer Seite geringer waren. So wurde der „EVJM" = Evangelischer Verein junger Männer der Mittelpunkt der Königsroder und Zinsdorfer Jugend. Vor allem war es nun der Faustball neben Geräte- und Bodenturnen, Schlagball u. a ; so auch Volkstanz. Faustball-Wettkämpfe führten uns bis in Südposener Gegenden. Ich erinnere mich noch an ein Spiel unter Beteiligung verschiedener Gruppen im Süden der Provinz, bei dem wir als Sieger hervorgingen und ein Diplom nach Hause brachten, welches einen Ehrenplatz in unserem Jugendheim erhielt.

In allen größeren Städten, vor allem in der Studentenschaft kam das Gruppenwandern auf: Der Wandervogel. Das weckte auch unser Interesse. Auch wir wollten richtiggehend wandern. Dieser Neuerung fehlte natürlich besonders auf dem Lande die Popularität. Hat man schon so etwas gehört? Tagelang sich in der Fremde herumtreiben? Solche Redensarten konnten wir im Dorf wiederholt hören. Allgemein stieß es bei den Dorfbewohnern auf Unverständnis. Trotzdem, wir machten uns für zwei Wochen, zwischen der Heu- und Getreideernte, der arbeitsgünstigeren Zeit in der Landwirtschaft, frei. Frei vom Rhythmus des Alltags, frei vom monotonen Geschehen auf Hof und Feld. Das war etwas ganz Neues und was Wunder, wenn es von der konservativen Dorfbewohnerschaft nicht akzeptiert wurde. Für uns gab es noch nicht die moderne Ausrüstung der heutigen Tage für ein solches Unternehmen. Das war uns alles noch fremd. Wir sind aber auch ohne diesen Komfort zurechtgekommen. So rüstete jeder für sich seinen Rucksack mit allem, was er für sich bei einer solchen Wanderung für erforderlich hielt. Gemeinsam hatten wir einen Spirituskocher und das dazu nötige Geschirr mitgenommen. Am Vorabend noch eine kurze Besprechung und dann war es soweit.

Am nächsten Morgen trafen wir uns verabredungsgemäß am Dorfgasthof. Zunächst ging es nach Salesche, zu unserer Bahnstation. Wir wollten keine Zeit verlieren, sondern uns mit der Bahn gleich ein Stück absetzen. So kamen wir nach Kolmar, um von dort unsere Wanderung zu beginnen. Wohlgemut marschierten wir zum Städtchen hinaus in Richtung Usch. Da hatten wir die erst Überraschung. Natürlich sind wir in unserem Aufzug gleich aufgefallen. Auch bei der Polizei erweckten wir Mißtrauen und so wurden wir von einer Streife an der Abzweigung der Straße Richtung Scharnikau gestellt. Kontrolle unserer Personalpapiere, ein Verhör über woher und wohin, welchen Zweck und so fort. Nach vielem hin und her konnten wir die Polizei von unserer Harmlosigkeit überzeugen, zumal wir ja gerade die Abzweigung nach Scharnikau eingeschlagen hatten und nicht Usch, unmittelbare deutsche Grenznähe anzusteuern gedachten. Noch eine Mahnung der Obrigkeit mit dem Hinweis auf die Grenze (wir hätten ja eventuell Polen an Deutschland verkaufen können!) und wir konnten unseren Weg fortsetzen. Gegen Mittag gelangten wir nach Fitzerie, einem deutschen Bauernhof. An dem idyllisch gelegenen Dorfteich gedachten wir zu rasten und unsere erste Wandermahlzeit zu bereiten. Kartoffeln wurden geschält und auf das Feuer gesetzt. Gemüse aus einer Dose aus Mutters Speisekammer bereitgestellt und, wozu hatten wir eine Bratpfanne mitgenommen? Natürlich, um darin unsere Bratwürste zu braten. Es währte nicht lange und wir waren von der Dorfjugend umringt. Es waren wohl so ziemlich alle Jugendjahrgänge vertreten, um dieses Ereignis anzusehen. So etwas hatte man hier noch nicht erlebt! Unvorstellbar. Kamen da vier Burschen herbei, entfachten am Teich ein Feuerchen und bereiteten sich hier ein Mittagsmahl! Das interessierte sogar die Erwachsenen. Und, siehe da, kommt eine Bäuerin daher, in den Händen eine Schüssel, wollte uns eine Kartoffelmahlzeit bringen. Oh, vielen, vielen Dank! Und dann machten wir ihr klar, daß es uns Freude macht, uns auf unserer Wanderung selber zu beköstigen. Ob wir verstanden wurden, ist nicht gewiß.

Gestärkt und im Bewußtsein, die erste Probe auf unserer Fahrt bestanden zu haben, setzten wir unsere Wanderung fort. In den Abendstunden gelangten wir nach Romanshof, einem, wie man uns sagte, neun Kilometer langen Dorf. Rechts der Straße ein grünes Wiesental, durchflossen von dem silberschimmernden Netzefluß, der die Grenze zwischen Polen und Deutschland bildete. Das Deutsche Reich so nahe, daß man es mit der Hand erreichen könnte. Ein sehnsüchtiger Blick hinüber, aber für uns leider tabu. Am nächsten Tag, es war ein Sonntag, waren wir in Czarnikau. Ein kurzer Aufenthalt mit Kaffeetrinken und weiter ging es in Richtung Süden. Übernachtet wurde in einer Gutsfeldscheune, nachdem wir mit dem Verwalter Rücksprache genommen hatten. Das Wetter war schön und die Landschaft nicht minder. Wald, Feld, Wiesen und dann waren wir in einer schmalen und üppig grünen Senke. Mitten in diesem bezaubernden Fleckchen Erde ein silberglänzender Bach, der eine Wassermühle betrieb. Richtiger gesagt, betrieben hat, denn das Rad stand still, der Mühlenbetrieb augenscheinlich schon seit langem eingestellt. Romantik in Vollkommenheit. Unwillkürlich griffen wir zu unseren Instrumenten. Wir hatten zwei Flügelhörner bei uns. Und was soll man beim Anblick dieses Idylls spielen? Das war selbstverständlich: „Dort unten in der Mühle", im Anblick dieser schönen Natur verweilten wir hier ein wenig. Und da, es war wie Zauberei, erschien in diesem Paradies eine Fee, weiß beschürzt und brachte uns einen Willkommensgruß von ihrer Herrin mit der Bitte, ihr auf das Schloß in einer Entfernung von etwa hundert Metern auf einer Anhöhe gelegen, zu folgen. Nun, das ließen wir uns nicht zweimal sagen, denn einen Schloßbesuch bietet man uns nicht alle Tage. Oben wurden wir von der Freifrau, der Besitzerin, freundlich begrüßt und an den gedeckten Kaffeetisch gebeten. Unser Lied von der Mühle war ihr Lieblingslied und hatte sie zu Tränen gerührt und veranlaßte sie, die Musiker zu sich einzuladen. In angeregter Unterhaltung verweilten wir einige Zeit im Schloßgarten. Dann verabschiedeten wir uns, nachdem wir noch einige Volkslieder auf unseren Instrumenten gespielt hatten. Ich griff in meine Tasche, und was war das? In meiner Hand knisterte ein 10-Zloty-Schein. Ich war nicht wenig erstaunt woher dieser kam. „Zur Aufbesserung der Wanderkasse" meinte die Gastgeberin lächelnd.

Ein anderes Erlebnis auf diese Wanderung. Fröhlich zogen wir durch den grünen Wald. Da braute sich ein Unwetter zusammen. Schon verdunkelte sich am frühen Nachmittag der Himmel. Das ging alles so schnell. Blitz auf Blitz zuckte, gefolgt von langgrollendem Donner. Und dazu ein sintflutartiger Regenguß. In kurzer Zeit waren wir bis auf die Haut durchnäßt und weit und breit keine Unterkunft! Schließlich kamen wir vor Nässe triefend, am Waldesrand zu einem Gehöft. Es war die Försterei. Die Förstersfrau erblickte uns. Sie hatte Mitleid mit uns pudelnassen Gesellen und bat uns in das Haus. Was gibt es doch auf der Welt noch gute Menschen. Man hat uns hier umsorgt, als man feststellte, daß wir keine Strolche, nur naßtriefende Wandersleute waren, behandelte man uns als Gäste des Hauses. Wir konnten hier unsere Sachen trocknen und dann wurden wir an den Tisch gebeten. Vor uns dampfte eine große Schüssel mit Rührei, dazu Butter und Brot. Auch etwas Heißes zum Trinken. Natürlich durften wir an diesem Tage nicht weiterziehen. In einem Nebengebäude richteten wir uns ein Strohlager und mit Decken versorgt schliefen wir wunderbar.

Wir erlebten auf dieser Wanderung noch verschiedene schöne Begebenheiten und wie kurz erschienen uns die vierzehn Tage, als wir in Posen den Zug bestiegen, um wieder heimwärts zu fahren.

Der Sommer, wie auch der Herbst, läßt in der Landwirtschaft keine Langeweile aufkommen. Da ist man mit Arbeit zur Genüge eingedeckt und man ist froh, wenn mal eine kleine Arbeitspause eintritt, in der man manch Liegengelassenes aufholen kann. Aber wenn die Tage kürzer waren und die Abende länger, gewinnt man auch wieder einmal Zeit für die Geselligkeit. Man trifft sich öfter mit seinen Freunden und manch fröhliche Runde erfreut Körper und Geist. Man kommt zu Spiel und Allotria zusammen. So hatten wir unter anderem auch einen Zirkel, in dem Volkslied und Instrumentalmusik gepflegt wurde. Auch traf man sich zum Lesen von Theaterstücken, insbesondere Schauspiel und Dramen, mitunter auch mit verteilten Rollen. Aus diesem Kreis kam auch der Gedanke, selbst einmal Theater zu spielen. Das war uns ja noch aus unserer Schülerzeit bekannt. Man wurde sich einig, es einmal zu versuchen. Wir fingen mit einfacheren Sachen an aber später wagten wir uns auch an größere Sachen heran. Bald kristallisierte sich eine Gruppe heraus und man merkte, wer für welche Rollen die beste Eignung hatte. Gleichzeitig vergrößerte sich auch der Bestand von Utensilien, die immer wieder zur Dekoration und Ausrüstung der Spieler benötigt wurden.

Ein besonderes Ereignis war es, als wir es wagten, „Die Räuber" zu spielen. Schillers Räuber auf der Dorfbühne, das wurde zum Schlagwort. Die Sache wurde zum Thema in der ganzen Gegend und zur Aufführung gab es sogar hohen Besuch. Eine Vertretung der „Deutschen Bühne Bromberg" war gekommen, um zu sehen, wie die Angelegenheit ausgehen würde. Nun, wir hatten einen vollen Erfolg und die Leistung wurde sogar in unserer Tageszeitung gewürdigt. Wir mußten die Aufführung sogar wiederholen. Die Jahre gingen dahin und nach den Jugendjahren wurden wir auch mit dem Ernst des Lebens konfrontiert. Schwere Zeiten waren hereingebrochen, wir als Deutsche bekamen es zu spüren, daß wir ein unerwünschtes Element im polnischen Staate waren. Man ließ keine sich bietende Gelegenheit aus, uns das Leben zu erschweren. Der Haß gegen alles was deutsch war, wurde geschürt, von der Kanzel wie auch von allen staatlichen Dienststellen. So brach das Jahr 1939 an, welches uns den unseligen zweiten Weltkrieg brachte mit dem Ausgang, wie wir ihn alle kennen. Uns Ostdeutschen brachte er die Vertreibung aus der Heimat. Als ich Ende 1947 aus russischer Gefangenschaft entlassen wurde, führte mich der Weg des Heimattransportes in unmittelbare Nähe meiner engsten Heimat vorbei. Verlorene Heimat! Es wollte mir fast das Herz brechen; dieser trostlose Anblick. Ein seelischer Schmerz, schlimmer als ein körperlicher, hatte mich erfaßt. Ich nahm Abschied von meiner Heimat. Ich habe sie nie wiedergesehen, wollte es auch nicht.

Zu groß war die Erschütterung.

Inzwischen sind von hier viele Busfahrten in die alte Heimat gestartet worden. Ich konnte und kann mich auch heute noch nicht entschließen, mich nochmals dieser Seelenbelastung auszusetzen. Ich habe hier eine Ersatzheimat gefunden. Obwohl ich nun hier schon länger seßhaft bin als ich es drüben war, kann ich mich hier nicht ganz heimisch fühlen. Meine Heimat ist und bleibt Königsrode im Kreis Schubin, fern im Osten. Oft, so auch heute, eilen die Gedanken zurück, halten Rückschau und dann sind all die Bilder der Heimat lebendig. Man versetzt sich zurück in jene vergangene Zeiten. Man stellt sich vor, wie es wohl jetzt dort aussieht. Da fällt mir das Lied ein, daß wir so oft gesungen haben, ohne damals den tiefsten Sinn erfaßt zu haben: Aus der Jugendzeit - was die Schwalbe sang, - ob das Dorf entlang das jetzt noch klingt? -

 

Es ist so schön Soldat zu sein

o soll es jedenfalls nach einem alten Liedchen sein. Aber entspricht das auch der Wirklichkeit? Ich möchte dieses nicht gern blanko unterschreiben. Und ich möchte gleich anmerken, daß ich in dieser Angelegenheit einige Erfahrungen sammeln konnte, zumal ich doch schon einige Male das Soldatenleben auskosten konnte.

Eines der besonderen Merkmale des Soldatenseins dürfte die Uniformierung sein im Gegensatz zur zivilen Bekleidung. Schon rein äußerlich und augenfällig hebt sich sie vom zivilen Bereich ab. Hier möchte ich einige Betrachtungen zum Thema „Uniform" der Militäre und auch im Allgemeinen einfügen. Die Art, sich uniform zu bekleiden führt weit in die Vergangenheit zurück. Schon der Ritter war an seiner äußeren Aufmachung erkenntlich. Er trug ein Kettenhemd, auch einen Eisenpanzer, ehernen Gelenk, Arm- und Beinschutz und auf dem Kopf einen stählernen Hauptschutz mit einem herablaßbaren Visier, das auch dem Gesicht einigen Schutz gewährte. Schwer war eine solche Rüstung und der Ritter bediente sich beim Anlegen derselben der Hilfe seines Knappen.

Auch die Landsknechte, die schon in kleinen Formationen, der „Haufen" kämpften, waren schon gewissermaßen uniformiert. Sie trugen großenteils ein zweifarbiges Wams und dazu die unumgängliche, geschlitzte Pluderhose. Auf dem Kopf eine kecke Hutmütze mit wallender Straußenfeder. Seine Bewaffnung war die Hellebarde.

Moderner waren aber die Uniformen bei den feststehenden geschlossenen nationalen militärischen Einheiten. Bunt und auffällig mußten sie unbedingt sein. Wie farbenfreudig waren doch die Uniformen der Soldaten vor dem ersten Weltkrieg. Besonders vielfältig waren sie bei den berittenen Einheiten, der Kavallerie. Erinnern wir uns; da waren die Husaren, die schwarzen und die roten; beide mit dem Schulterüberwurf, den weißen Verschnürungen auf der Brustseite der Jacken und bei Paraden die Fellmütze mit dem Totenkopf.

Die Ulanen standen in der Farbenvielfalt nicht nach. Sie unterschieden sich in der blauen, der gelben Ulanka, wie der Waffenrock bezeichnet wurde, aber auch noch in anderen Farben. Auffallend auch ihre Kopfbedeckung. An Stelle des üblichen Helmes trugen sie einen Tschako, statt der gebräuchlichen Helmspitze eine flache viereckige Platte mit Haarbusch. Diese viereckige Besonderheit ist beim polnischen Militär allgemein gebräuchlich und angeblich soll diese Truppengattung aus dem Polnischen übernommen worden sein. Ferner gab es die schmucken Jägerregimenter, die zu Fuß und die zu Pferde in grüner Leibfarbe.

Bei der schweren Kavallerie waren es die Kürassiere im cremeweißen Waffenrock, der noch entfernt einen Küras andeutete. Dazu die hohen Schaftstiefel, deren Vorderschaft hoch über das Knie hinausragte. Abgerundet wurde die Rüstung durch den schweren Pallasch, der die Wucht der ganzen Figur noch unterstrich.

Nach dem ersten Weltkrieg und schon während desselben hat sich allerdings vieles verändert. Man kam zu der Erkenntnis, daß die bunten Farben bei der Kriegsführung zu auffällig seien und man stellte sich im Prinzip auf ein tarnendes Feldgrau um, zumindest bei den Bodentruppen. Die Luftwaffe übernahm das Fliegerblaugrau. Bei der Marine spielte die Tarnfarbe keine Rolle. Man verblieb bei dem traditionellen Marineblau. Bei der auf dem Boden kämpfenden Truppe begnügte man sich bei dem allgemeinen Grau mit dem zur Kenntlichmachung unterschiedlichen Aufschlägen am Kragen und den sogenannten Spiegeln. Lediglich die Panzertruppe trug statt der üblichen Feldbluse eine kurze Jacke, die auch beim Dienst am Panzer praktisch war; die Panzerbesatzung in schwarz, die Panzerschützen in gleicher Form, aber in feldgrau.

Andeuten will ich in diesem Rahmen noch die mehr zum Parteilichen zielenden militärischen Verbände der SS und eine Einheit der SA, erstere in Schwarz, die letztgenannte in Braun und auch braunem Lederzeug einschließlich der braunen Stiefel. So viel, wenn auch nicht erschöpfend, über militärische Uniformen. Es gab aber auch viele, sagen wir amtliche, und weiterhin auch private Uniformgruppen. Dem militärischen Bereich am nächsten steht die Polizei, die ja auch teilweise kaserniert war. Sie ist jedermann bekannt, so daß sie hier keinerlei Erläuterung bedarf. Auch die Uniformierung der derzeitigen Postbediensteten, so weit sie nicht Zivil tragen, ist allgemein bekannt. So war es aber nicht immer und gerade bei der Post waren die Uniformen auch farblich recht vielseitig. Die Blütezeit der Postuniformen war wohl die Zeit, als noch der Postillon mit der Postkutsche hornblasend durch die deutschen Lande trabte. Nicht nur, daß die einzelnen Funktionäre der Post, wie Posthalter, Postgehilfe oder der Postillon auf dem Bock des gelben Wagens gesonderte Uniformen trugen. Jeder Souverän - und zur Zeit der Kleinstaaterei gab es dieser sehr viele - hat in seinem Bereich eigene Uniformen eingeführt. Man kann sich diese Vielfalt leicht vorstellen.

Und dann die Eisenbahn. Selbstverständlich mußte auch hier eine eigene Uniform her. Vergessen wir auch nicht die Forstleute. Warum sollten sie zurückstehen? Ob im Staatsdienst oder als Forstmann beim Großgrundbesitzer in privaten Waldgebieten; allen gebührte das grüne Uniformgewandt. Aber auch die Parteien waren beteiligt. Ich sage nur: SS und SA; sie gehören nun schon der Vergangenheit an. Auch sie waren betont uniformiert.

Und die Berufsgruppen und Interessengemeinschaften? Sie mischten alle fröhlich mit; das „Rote Kreuz", die Knappschaften und viele andere Verbände. Hier alle aufzuzählen dürfte den Rahmen sprengen. Aber nicht unerwähnt lassen möchte ich Wissenschaft und Kirche. Auch sie waren beteiligt. Größen der Fakultäten und Universitäten kleiden sich in Talare und setzen sich den Doktorhut auf, genauso wie der Richter, der protestantische Pastor und nicht minder der katholische Klerus in seiner Soutane. Hierbei fällt mir eine Anekdote ein, die ich irgendwo gelesen habe und die ich hier wiedergeben möchte. Zwei Kommilitonen, die an der gleichen Universität studierten, waren sich noch nie grün. Beide haben es im Leben zu etwas gebracht. Der eine wurde hoher katholischer Würdenträger, der andere trug die Generalsuniform. Der alte Groll war geblieben. Nach vielen Jahren begegneten sich die beiden auf einem Bahnhof in Berlin. Der Prälat konnte es sich nicht verbeißen und redete den General an : Herr „Schaffner", wann fährt der nächste Zug nach Stettin ab?" Der Militarist bezog Kampfstellung und entgegnete prompt: „Gnädige Frau, drüben der Fahrdienstleiter wird Ihnen gern Auskunft geben." Ich sage mir, was Uniformen doch bewirken können! Das Thema Berufe ließe sich noch beliebig fortsetzen. Aber hiermit soll es genug sein.

Ich habe in meinem Leben schon viele Uniformen getragen und will gern aus diesen Zeiten berichten. Meine erste Uniform, wenn ich vom Sportdreß des Fußballklubs absehe, war wohl die der Freiwilligen Feuerwehr. Diese war unbedeutend. Die folgende war für mich schon viel einschneidender. Ich durfte, oder genauer gesagt, mußte den Soldatenrock der polnischen Armee anziehen und damit bin ich nun am Ausgangspunkt meines Berichtes, aus meiner Soldatenzeit angekommen. Gestiefelt und gespornt, mit Reithosen, Rock mit Aufschlägen am Kragen in Form von weißgrünen Fähnchen (Bedeutung: Schützenjägerregiment zu Pferde), so wurde ich polnischer Kavallerist. Das war nichts besonderes. Viel bedeutender für mich war der Umstand, daß ich kein Wort polnisch verstand. Wird das gutgehen? Mein Freund Ohlinger aus Königsrode, der seine polnische Dienstpflicht schon hinter sich hatte, erzählte mir, wie es ihm und einem seiner Kameraden in gleicher Lage erging. Als sie nicht verstanden, was man von ihnen wollte, sagte der polnische Gruppenführer im Bewußtsein seiner Würde: „O, irr Dämmlichen" (ch sprich wie im deutschen auch). Einige Zeit später, Ohlinger hatte ein Paket erhalten; - Schätze aus Mutters Speisekammer. Beim Auspacken kam zufällig besagter Gruppenführer vorbei und sagte: „Nu, Ollinger, Pakunek von Matka?" Ohlinger sah sich verpflichtet ihm eine Kostprobe anzubieten. Sie schien diesem zu munden, denn er sagte in seinem gebrochenen Deutsch: „Nach, Ollinger, mit Ihnen gett noch". - Wenn das keine Auszeichnung war! Das „Dämmlichen" war damit aufgehoben. Übrigens, Ohlinger sprach nach seiner Entlassung einwandfrei polnisch. Bei mir war dieser Erfolg leider nicht zu verzeichnen. Das hatte aber auch seine Gründe. In meiner Schwadron waren ca. 2/3 der Soldaten Oberschlesier. Der Rest außer uns drei Deutschen waren Ukrainer. Meine deutschen Kameraden waren genau wie ich der polnischen Sprache nicht mächtig. Die Ukrainer sprachen ihr ukrainisch, die Oberschlesier ein Gemisch von polnischem Oberschlesisch und verwaschenem Deutsch. Wir drei Deutschen hielten uns verständlicherweise mehr an die Oberschlesier; ja ich freundete mich mit einigen direkt an. Die Eigenart dieser Leute war nun, zum großen Teil auch deutsche Vokabeln anzuwenden. So habe ich kaum erlebt, daß einer von ihnen beim Zählen polnische Zahlen benannte; niemand nannte die Monate beim polnischen Namen. Zahlen, Monate u. a. wurden nur deutsch geäußert. Ein echtes Polnisch habe ich bei Unterhaltungen nie vernommen, auch wenn sie ganz unter sich waren.

Mit uns Deutschen sprachen sie grundsätzlich nur in deutscher Sprache. Als ich versuchte, mit ihnen das Polnisch zu üben, gingen sie darauf nicht ein. Das war ihnen zu langweilig. So war es bald soweit, daß ich fast eher ukrainisch verstand als polnisch; die Ukrainer sprachen nämlich ganz unbefangen ihre Sprache. Wie sollte ich unter diesen Umständen polnisch lernen? Die Kommandosprache hatte ich natürlich bald begriffen; das war aber auch alles. Bei Meldungen traten allerdings Schwierigkeiten auf. So war ich einmal auf Stallwache, als ein Hauptwachtmeister aus einer anderen Schwadron auf Inspektionsgang war. Ich hatte laut Vorschrift Meldung zu machen. Ich stotterte diese so gut ich konnte heraus, da sagte er in einwandfreiem Deutsch: „Du bist ein Deutscher? Aus welcher Gegend kommst du?" Als ich darauf sagte, daß ich bei Bromberg zu Hause bin, sagte er, er sei aus Konitz und daß wir also Landsleute wären. Er setzte sich mit mir auf eine Bank und wir unterhielten uns ganz unvorschriftsmäßig in deutscher Sprache. So erfuhr ich, daß gerade die alten Dienstgrade in unserer Einheit aus dem Posenschen stammten. Und der Grund war, daß viele von ihnen im ersten Weltkrieg in französische Gefangenschaft gerieten und als nach der von den Deutschen ein polnischer Staat proklamiert wurde, stellte man in Frankreich aus Freiwilligen eine eigene Armee, die „Hallerarmee" auf. Viele in Gefangenschaft geratene Polen, die als Posener ja im deutschen Heer gedient hatten, meldeten sich freiwillig. Als nun nach Kriegsende die polnische Wehrmacht aufgestellt wurde, verblieben viele von ihnen als aktive Soldaten bei der Truppe. So wurde auch das Regiment, in dem ich nun Soldat war, aufgestellt und als Kader kamen ausgerechnet viele Posener zu dieser Einheit und waren jetzt hier die ältesten Unteroffiziere.

Meine polnische Dienstzeit fiel in die Jahre 1927/29, somit in die als „Tauwetterperiode" zwischen Deutschland und Polen bekannte Zeit unter Pilsudzki. Wir Deutschen im polnischen Heere profitierten davon. So durften wir weder als „Schwaby", noch sonst wie aufgrund unserer Volkszugehörigkeit beschimpft oder belästigt werden. Bei der Manöverparade konnten wir auch Pilsudzki in Person sehen.

Gefährlicher, ja ausgesprochen kritisch wurde meine polnische Militärzeit dagegen, als ich 1939 als Reservist zum Kriegsdienst einberufen wurde. Da hieß es, als Deutscher gegen Deutschland die Waffe zu führen. Noch vor Ausbruch des Krieges wurden wir von unserer Bromberger Garnison nach Sandomir am San verlegt. Hier hörten wir auch von den ersten Kriegshandlungen und den Schüssen auf die Westerplatte bei Danzig. Bei uns blieb es damals noch ruhig. So lagen wir in der Nähe einer kleinen Ortschaft. Eines Tages wurden die Katholiken zu einer religiösen Zusammenkunft etwa zwei Kilometer von unserem Lager entfernt beordert. Wir Evangelischen konnten zurückbleiben. Und da geschah es. Der erste Pulk deutscher Stu-Kas brauste heran. Die versammelte Gruppe wurde angegriffen. Im Sturzflug mit großem Getöse griffen die Flieger an, aber ohne ernstliche Kampfhandlung. Es fielen keine Bomben und es blieb bei dem Schreck, der die Polen durcheinanderwirbelte. Einer von ihnen wollte sich durch die Flucht retten. Japsend, kaum der Sprache mächtig, kreideweiß im Gesicht kam er bei uns an und stammelte nur „Lotniki!", das heißt: Flieger!, und er verschwand in der nächsten Buschlandschaft, um seine Hose zu reinigen. Dieses demoralisierende Getöse beim Niederstürzen der Maschinen - wir haben es später ja selbst erlebt - kostet Nerven. So begann auch bei uns der Krieg. Wir waren in unserer Einheit allgemein als Deutsche bekannt und wurde dementsprechend mißtrauisch beobachtet und man mußte schon bei jeder Bewegung vorsichtig sein. So ereignete sich später folgender Fall: Wir mußten in Stellung gehen, um einen deutschen Angriff abzuwehren. Es wurde gar nicht ernst, denn die Deutschen kümmerten sich nicht im Geringsten um uns und ließen uns links liegen. Am rechten Flügel unseres Abschnittes begingen aber drei Deutsche die Torheit, weiße Taschentücher an ihre Karabiner zu heften. Die deutschen Panzer rollten ohne von uns Notiz zu nehmen weiter. Die drei Unbesonnenen wurden aber unter Bewachung abgeführt. Wahrscheinlich war ihnen das Standgericht sicher.

Mit mir zusammen war in meinem Zug auch der Landsmann Johann Schweitzer aus Königsrode. Er fühlte sich seit einigen Tagen gesundheitlich nicht wohl und als wir wieder einmal in Stellung gehen mußten, blieb er zurück. Als wir uns wieder sammelten, suchte ich überall nach ihm, leider vergebens. Er war nirgends zu finden und er ist bis heute verschollen.

Wie gesagt hatten uns die deutschen Panzer schon längst überrollt. Damit war aber unsere Gefahr durchaus nicht gebannt. Die deutsche Infanterie konnte mit dem schnellen Vormarsch der motorisierten Einheiten in diesem Tempo nicht folgen und Orte, die gestern schon in deutscher Hand waren, blieben nicht besetzt und polnische Einheiten nisteten sich wieder ein. Zwar konnten sie keinen ernsthaften Widerstand leisten, für uns aber, die wir dazwischen lagen, war die Gefahr bei dem Durcheinander recht groß. Sicher konnten wir uns nur fühlen, abgesehen davon, daß wir durch deutsche Bomben getroffen werden, nur während der Fliegerangriffe, da sich dann niemand um uns kümmerte.

Wieder einmal hatten wir so einen Angriff. Wir befanden uns in einer ziemlich unübersichtlichen, mit Gestrüpp bewachsenen Landschaft. Die wie vom Himmel auf uns herabstürzenden Maschinen mit ihrem nervenzerreißenden Getöse zwang alle, die Nase möglichst tief in den Dreck zu halten und volle Deckung zu nehmen. Darin sahen wir unsere Chance. Eine kleine Gruppe Deutscher hatte sich schon inzwischen unauffällig zusammengetan. Hier schien die Gelegenheit gegeben, uns von der Einheit zu trennen. Und als die erste Staffel abbrauste und die folgende sich näherte, diese wenigen Sekunden nutzten wir. Als ringsum noch alles in Deckung lag, riskierten wir den Sprung im Schutz des Geländes, uns abzusetzen. Die herannahende Welle der Flugzeuge gab uns ohne es zu wissen Schutz, denn bei den Polen achtete in diesem Gefahrenmoment niemand auf das, was in der Nachbarschaft geschah.

Als man sich aus der Deckung aufraffte und den Schaden besah, waren wir schon untergetaucht. Im Eifer des Geschehens hatte sich versehentlich auch ein Ukrainer uns angeschlossen, der aber bald darauf verschwunden war. Wir aber versuchten, so schnell und so viel wie möglich Gelände zwischen uns und unsere Einheit zu bringen. Wir in unserem kleinen Grüppchen waren in der glücklichen Lage, einen deutschen Leutnant der Reserve bei uns zu haben. Es war der mir persönlich bekannte Verbandsrevisor unserer Zentralgenossenschaft in Posen namens Maurer. So konnten wir uns als polnische Gruppe unter Führung eines Offiziers ausgeben. Und nur so konnten wir uns unauffällig in dem Durcheinander einigermaßen frei bewegen. Wir warteten und erhofften eine Gelegenheit, uns einer deutschen Einheit, die doch eines Tages auftauchen mußte, anzuschließen. Leider wurde nichts daraus. Unser Häuflein bröckelte ab und eines Tages waren wir noch drei Mann; außer mir Landsmann Georg Fritz aus Königsrode und ein Bromberger namens Fialkowski. Wir drei blieben nun bis zum Schluß zusammen. So kamen wir eines Morgens bis vor ein kleines Städtchen. Nach vorsichtiger Auskundschaftung stellten wir fest, daß der Ort unbesetzt war. Hier hofften wir, etwas Genießbares zu finden, denn der Magen knurrte vor Hunger. Unsere Verzögerung machte sich bezahlt und bewahrte uns vor einer bösen Überraschung, denn als wir im Begriff waren, in das Städtchen einzumarschieren, setzte ein deutscher Artilleriebeschuß ein, der den Ort vollkommen eindeckte, und der uns unseren Hunger vergessen ließ. Dann wurde die Zufahrtsstraße, auf der wir uns befanden, unter Feuer genommen. Uns blieb gerade noch Zeit, uns in das offene Gelände abzusetzen. Bald fanden wir auch ein Kohlfeld. Jetzt schnell Wasser holen, ein Feuerchen entfachen - es war ja um uns inzwischen ruhig geworden, so daß wir ein solches wagen konnten. Bald brodelte der Kohl in unseren Kochgeschirren. Ohne Fett, nicht einmal Salz hatten wir. Aber mit Hunger gewürzt schmeckte es uns doch. Auf dem Weitermarsch hatten wir Glück. Wir gelangten an ein bäuerliches Dorf. Ein wenig abseits entdeckten wir einen Hof, der einen recht soliden Eindruck machte. Wir versuchten unser Heil, gingen hinein, gaben uns als Polen aus. Die Leute waren zwar eingeschüchtert, waren aber bereit, uns ein Essen zuzubereiten. Im Haus konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Leute keine Polen waren. Im Garten begann ich ein Gespräch mit der kleinen Tochter und fühlte vorsichtig vor. Bald konnte ich sicher sein, daß wir bei deutschen Menschen waren. Wir befanden uns bei einem wolhynischen Bauern und zwar bei einem Deutschen. Die Leute waren zuversichtlich durch das Gefühl, daß die Deutschen in unmittelbarer Nähe sein mußten. Der Bauer wies uns auf dem Heuboden eine Unterkunft an und versprach uns über alles, was außerhalb geschah, zu informieren. Auch wurden wir gut verpflegt. Am übernächsten Morgen holte uns der Bauer herunter in die Wohnung und eröffnete uns, daß die Deutschen im nahen Lublin schon eine Kommandantur eingerichtet hätten. Er selber war schon am frühen Morgen dort gewesen, um sich von dort ein Pferd als Ersatz für die ihm abgenommenen Pferde zu holen. Jetzt hielt uns nichts mehr. Wir bedankten uns bei unseren Gastgebern recht herzlich mit Umarmung und marschierten frohen Mutes darauf los - in die „deutsche" Gefangenschaft. Dort lieferten wir unsere Waffen ab, die wir bislang zu unserem eigenen Schutz nicht fortgeworfen hatten. Wir Deutschen und die, die sich als solche ausgaben, wurden in einer gesonderten Gruppe untergebracht. Allerdings noch unter Bewachung, wenn auch recht locker. Immerhin zählten wir noch als Kriegsgefangene. Die Masse der polnischen Gefangenen wuchs und wuchs. Am kommenden Morgen wurde eine Marschkolonne zusammengestellt, ich schätze, weit über tausend Mann. Und unter Bewachung setzte sich der Zug in Bewegung in Richtung Sammellager. Es waren drei Marschtage vorgesehen. Wir Deutschen bekamen Fahrräder zugeteilt, die hier von polnischen Flüchtlingen eingesammelt worden waren. Wieviele davon stammten wohl aus deutschem Besitz? Mit einem Wachmann an der Spitze fuhren wir dem Groß voraus. Am zur Übernachtung vorgesehenen Ort mußten wir das Eintreffen des Hauptzuges abwarten, wurden aber in gesonderter Schlafstelle untergebracht. Das Sammellager, welches wir nach drei Tagen erreichten, befand sich in einem großen Brauereigrundstück. Das Ganze war von einer hohen Mauer umgeben. Dem Lager in einer Entfernung von etwa 100 Metern gegenüber stand ein altes Wasserschloß oder richtiger gesagt eine Wasserburg. Diese diente der bayrischen Wachmannschaft als Unterkunft. Wir Deutschen und die sich als solche glaubhaft machen konnten, wurden ebenfalls hier untergebracht, so daß wir nicht in der Masse der Polen zu kampieren brauchten - Bauern aus der Umgebung mußten Stroh herbei schaffen. So waren wir gut versorgt. Wir fühlten uns frei und das in zweifacher Form; frei vom polnischen Joch und sonderbarer Weise auch frei in deutscher Gefangenschaft.

Der Polenfeldzug war so gut wie zu Ende und Transportzüge mit nicht mehr benötigtem Kriegsmaterial rollte westwärts Richtung Heimat. Nach Überprüfung unserer Personalien, wobei weit mehr als die Hälfte als nur angebliche Deutsche als Polen erkannt wurden, erhielten wir unsere Entlassungsscheine und wurden in kleinen Trupps mit den Transportzügen in die Heimat entlassen. Das geschah aber auf Umwegen, da noch viele Bahnstrecken und Brücken nicht befahrbar waren. So kamen wir endlich nach Bromberg. Hier trennten wir drei uns. Kamerad Fialkowski war ja als Bromberger hier zu Hause. Auf dem Bahnhof in Bromberg traf ich auch Oswald Rätz aus Zinsdorf, der hier schon wieder zu Schule ging. Soweit hatte sich hier das Leben schon normalisiert. Von ihm erfuhr ich, daß bei mir in der Familie alles in Ordnung sei und daß nichts Böses passiert war. Das war für mich eine große Beruhigung, denn es waren doch Berichte über verschiedene Greueltaten bis zu uns durchgesickert, wie sie ja auch teilweise geschehen waren. Auf einem Pferdewagen hatte ich Gelegenheit, bis nach Schubin zu gelangen. Die Bahnverbindung war noch nicht hergestellt. Mein Kamerad Georg Fritz, der dritte in unserem Bunde, suchte in Bromberg seinen Bruder auf, der hier in einer Fleischerei tätig war. Von ihm ließ er sich dessen Fahrrad ausleihen und machte sich noch am späten Nachmittag auf den Weg nach Hause nach Königsrode. Durch ihn ließ ich bestellen, daß mich am nächsten Tag unser Gespann von Schubin abholen sollte. Wir wollten uns beim Landratsamt treffen. Es hat auch alles wie geplant geklappt. Auf dem Amt in Schubin traf ich auch schon altvertraute Gesichter aus Königsrode und Zinsdorf. Mich trieb aber die Ungeduld weiter und ich machte mich auf den Weg nach Hause. Auf diesem Weg würde mir ja mein Gespann entgegenkommen. Ich war auch noch gar nicht weit gekommen, da sah ich auch schon unseren Wagen. Meine Frau sprang vom Wagen und eilte auf mich zu. Dieses Wiedersehen zwischen so viel Hoffen und Bangen zu schildern, ist nicht möglich. Das ist ein Erlebnis, daß nicht in Worte gefaßt werden kann.

Das war das Ende meiner Militärdienstzeit im polnischen Heere, das war im Oktober 1939. Im Mai 1940 trug ich schon den deutschen Soldatenrock. Aber davon vielleicht ein anderes Mal.

 

Erinnerungen

enn man sich nach vollbrachtem Tagewerk eine besinnliche, ruhige Stunde gönnt, so eilen die Gedanken doch sehr oft zurück in die verlorengegangene Heimat.

Geschichten und Episoden aus Kindheit und Jugendzeit werden wieder gegenwärtig und die Erinnerung an manch eine heitere Begebenheit lockt ein Schmunzeln auf die Gesichtszüge. So auch die hier folgende Geschichte.

 

Äpfel aus Nachbars Garten

eder von uns zu Hause hatte einen größeren Obstgarten und damit Obst zur Genüge zur Verfügung. Und doch lockten mitunter die Früchte in fremden Gärten zu einem Einstieg über den Gartenzaun. Nur so aus Übermut oder Spaß am Verbotenen. So geschah es auch im vorliegenden Fall. Der sonnige Herbst hatte den Äpfeln prächtig leuchtende Bäckchen verliehen, direkt aufreizend zu einer Kostprobe. Wir saßen im Grase des Straßengrabens gegenüber von Nachbars Garten. Mein Vetter, der immer gern etwas ausheckte, meinte zu uns: „Paßt auf, wir machen uns einen Jux. Ich steige in den Garten und hole uns Äpfel zum Abendbrot und dann alarmieren wir die Nachbarjungens." Gesagt, getan. Die Äpfel wanderten zu uns über den Zaun und dann begann im Garten ein Schütteln und Rumoren, welches im nahegelegenen Hause nicht überhört werden konnte. Und schon eilten die beiden Nachbarjungen auf den Garten zu, einer von rechts, der andere von links, um den Apfeldieb in die Zange zu nehmen. Schon hat der erste den Eindringling entdeckt und, was hast du, was kannst du, hinter ihm her. „Ich hab ihn, ich hab ihn" rief er seinem Bruder zu. Er hatte ihn aber nicht, denn er hatte nicht mit der Pfiffigkeit und Geschicklichkeit meines Vetters gerechnet. Der lag nämlich bereits in einer Kartoffelreihe in voller Deckung. Nun kam der Herbeigerufene mit einem handfesten Knüppel auf den Ersten zugestürmt und nun geschah das Kuriose. Mondlicht ist trügerisch und Bangigkeit macht unsicher. Jedenfalls vermutete der Ältere in dem auf ihn Zustürmenden den Apfeldieb. Er fühlte sich angegriffen und bedroht und suchte in der Flucht seine Rettung. Das bestärkte natürlich den anderen in der Annahme, den Dieb vor sich zu haben. Ein turbulentes Haschespiel begann. Kreuz und Quer durch den geräumigen Garten ging die Jagd, der Verfolger dem Flüchtenden immer dicht auf den Fersen. Einen günstigen Moment abpassend sprang mein Vetter über den Zaun und gesellte sich zu uns. Im Garten ging die Jagd nun zu Ende. Der Fliehende wurde endlich gestellt. Fast hätte es Schläge gegeben, da erkannte man sich und wir vernahmen ein höchst verwundertes „Ach, das bist du?"

Die nachfolgende gründliche Nachsuche blieb ohne Erfolg. Kein Apfeldieb war zu finden. Wie soll er auch? Er war ja schon längst entwischt. Übrigens, die Äpfel mundeten uns ausgezeichnet.

 

Während ich die vorhergehende Geschichte aus eigenem Erlebnis wahrheitsgetreu wiedergegeben habe, will ich mich für die Echtheit der hier folgenden Schilderung nicht verbürgen, da ich persönlich nicht zugegen war.

 

 

Der Ziegenkauf

a kam aus Eichenhain ein Arbeiter zu unserem Gemeindevorsteher in Königsrode, um von ihm eine Ziege zu kaufen. Bald war man handelseinig und der gute Mann zog, die gekaufte Ziege an der Leine, in Richtung Eichenhain davon. Da liegt an seinem Heimweg der Königsroder Dorfkrug. Nun, dachte der Mann, nennen wir ihn X: "Auf diesen günstigen Kauf hin kann ich mir doch einen genehmigen." So kehrte er im Wirtshaus ein. Er war nicht der einzige Gast und es ergab sich, daß es nicht bei einem Glase blieb. Schnaps macht mitteilsam und X rühmte seine Neuerwerbung, die Ziege, mit besonderer Milchleistung. Diese hatte er vor der Gastwirtschaft an einen Pfahl gebunden. Der Wirt war ein Spaßvogel und während seine Gäste fröhlich becherten, wechselte er die Ziege vor seinem Lokal gegen einen gleichfarbigen Ziegenbock aus. Nach reichlichem Umtrunk zog X mit seinem Neuerwerb der heimatlichen Behausung zu. Dort angekommen, wollte sich die Frau, den Milcheimer in der Hand, von der gerühmten Milchleistung der Ziege überzeugen. Was daraufhin der Mann von seinem Weib zu hören bekam, waren alles andere als Kosenamen. Und er zog es vor, so schnell wie möglich, den Ziegenbock im Schlepptau, erneut den Weg nach Königsrode anzutreten. Sich aber auch so reinlegen zu lassen. Das wurmte ihn. Und dann noch die Gardinenpredigt von seiner Frau. Das war zuviel; den Ärger mußte er sich runterspülen. So kehrte er zu vorgerückter Stunde nochmals in der Kneipe ein und fand dort noch seine Zechgenossen von vorhin, die hier irgend ein heiteres Ereignis zu feiern schienen. Diesmal hielt sich unser Freund aber nicht lange an der Theke auf, mußte er doch noch den Irrtum beim Ziegenkauf aufklären. Immerhin reichte die Zeit für den Wirt, um den Bock gegen die Ziege zurückzutauschen. Mit Genosse Alkohol im Bunde schritt X mit der Geiß dem Anwesen des Bürgermeisters zu, unterwegs sich schon eine geharnischte Standpauke zurechtlegend. Es war schon nach Feierabend als er dort eintraf. Der Vorsteher war nicht wenig erstaunt. Seine Ziege sollte ein Bock sein? - Aber die Fahne die beim lauten Wortschwall des erbosten Käufers der Nase des Gegenübers entgegenflatterte, schien jenem Erklärung genug für die Sinnestrübung des Anderen zu sein. In diesem Zustand war es nicht leicht, dem Mann klar zu machen, daß die gekaufte Ziege, dieser Bock, doch eine Ziege sei. Trotzdem, den Kauf mache er rückgängig: „Nein," sagte er „das Biest will ich nicht. Das ist ein Satansvieh. Hier ist es eine Ziege, komme ich nach Hause, so ist es ein Ziegenbock und nach hier zurückgekehrt ist es wieder eine Ziege. Nein, ich will das Vieh nicht mehr!"

 

 

Die Kriegervereinsfeier

n einer Nachbargemeinde wurde das Sommerfest des Kriegervereins gefeiert. Gewissermaßen der Höhepunkt im geselligen Leben des Dorfes. Dementsprechend ging es auch hoch her. Man sagt, der Appetit kommt beim Essen. In Ableitung dieses Sprichwortes könnte man auch sagen, der Durst kommt beim Trinken. Und nach der Häufung der leeren Bierfässer und Schnapsflaschen zu urteilen, dürfte der Durst der letzten vierundzwanzig Stunden ganz beachtlich gewesen sein. Na, und so etwas hebt doch die Stimmung, fördert den Unternehmungsgeist. Ja, mitunter hat es die ausgefallensten Einfälle zur Folge. Ein kleiner Kreis, ein Fähnlein der Unentwegten, war, obwohl die Sonne am Montagmorgen schon hoch am Himmel stand, immer noch nicht zu bewegen, die Feier zu beenden. Sie vergnügten sich mit allerlei Allotria auf dem Hofe der Gastwirtschaft. Dem Dorfkrug gegenüber lag auch die Dorfschmiede und soeben kehrte dort ein Bauer ein, um seine Pferde beschlagen zu lassen. Der Schmied war aber einer der lustigsten Zecher und war nur schwer zu bewegen, zu dieser Stunde seines Amtes als Hufschmied zu walten. Aber Dienst ist Dienst und so mußte er dem Rufe folgen. Aber bei seiner Arbeit warf er immer wieder verstohlene Blicke hinüber zum Gasthof und heimlich hoffte er, nach getaner Arbeit die unterbrochene kriegervereinliche Nachfeier fortsetzen zu können. Drüben hatte sich inzwischen etwas Neues ergeben, welches aber unserem braven Schmied verborgen geblieben war. Gravitätisch und als wäre sie sich ihrer Würde bewußt, erschien auf ihrem allmorgendlichen Rundgang die alte Muttersau eines in der Nähe wohnenden Häuslers auf dem Wirtshof. Und hier hatte einer der Frohgesinnten von den schon Eingangs erwähnten originellen Einfällen einen.

Zur Festlichkeit hatte der Wirt sein Lokal und sein ganzes Anwesen renovieren lassen. So standen noch im Schuppen die Malerutensilien mit diversen Büchsen und Farben einschließlich der erforderlichen Pinsel. In kurzer Zeit verwandelte sich die biedere Sau unter den beflissenen Händen der laienhaften Montagsmaler in ein in allen Farben des Regenbogens schillerndes Monstrum ungeahnten Ursprungs. Absichtlich leitete man nun dieses Prachtexemplar über die Dorfstraße in Richtung der offenstehenden Schmiede. Als letzten Schliff versah noch einer der Künstler des Tier mit einem brennenden Zigarrenstummel, den er unterhalb des Ringelschwänzchens (in der Jugendzeit der Sau war es wirklich noch ein solches) kunstgerecht anbrachte. Bei jedem Grunzton, den das Tier von sich gab, stieg ein blaues Wölkchen aus der Zigarre empor. Die Sau war auf ihren täglichen Rundgängen gar manches gewöhnt und so ließ sie sich auch durch diese Prozedur nicht erschüttern. Mit stoischem Gleichmut schritt sie auf das offene Schmiedetor zu. Der Schmied, der das Hufeisen auf dem Amboß in die vollendete Form gebracht hatte, wollte gerade hinauseilen, da stand plötzlich ein noch nie erspähtes Ungeheuer vor ihm. Seine durch eine durchzechte Nacht angeregte Phantasie ließ ihm in diesem einen bösen Geist erkennen. Alle Sünden fielen ihm ein, auch die Prophezeiung seiner Frau, daß ihn eines Tages der Leibhaftige lebendigen Leibes abholen werde. Das warf ihn um und er fiel auf die Knie, um Besserung zu geloben. Die in diesem Augenblick am Orte des Geschehens erschienene Frau des Meisters war allerdings von dem Dämon weniger beeindruckt und mit einem Schürhaken ging sie der unschuldigen Sau zu Leibe und beendete so die Galavorstellung. Sie zeigte überhaupt wenig Verständnis für diese Art zu scherzen und auf ihre Veranlassung hin sollte diese Begebenheit noch ein gerichtliches Nachspiel haben. Aber was bedeutete das schon. Gewiß durfte der Richter diesen sogenannten Unfug nicht ungestraft zu den Akten legen aber bei der Urteilsverkündung konnte er ein ganz kleines Schmunzeln nicht unterdrücken und eine Lappalie wie eine Ordnungsstrafe von zwanzig Mark konnte den Sündern den „Spaß an der Freud" bestimmt nicht verderben.

Die Brautschau

ine Gepflogenheit, die man heutzutage nur noch dem Namen nach kennt, war in früheren Jahren die Brautschau. Sollten zwei junge Leute verheiratet werden, so trat gewöhnlich ein Freiwerber in Aktion. Dieser setzte sich mit den Eltern des auserkorenen Mädchens in Verbindung und besprach mit diesen alles Geschäftliche über eine eventuelle Heirat. So konnte es mitunter vorkommen, daß sich die jungen Leute, die doch die Hauptakteure in dieser Angelegenheit darstellen sollten, erst auf der Brautschau begegneten. Es wurde ein Termin ausgemacht, an dem der Mittelsmann mit dem auserkorenen Bräutigam bei der Familie der zukünftigen Braut zu einem Besuch erschien. Nach dem feierlichen Mittagessen ging man dann zu dem „Geschäftlichen" über. So wurden Haus und Hof, auch gegebenenfalls die Ländereien vorgeführt und besichtigt. Auch die Leistungen der Mitgift, die rechtliche Stellung in der Familie bei ihm oder bei ihr wurden geklärt und wenn man sich geeinigt hatte, konnte der Termin der Hochzeit angesetzt werden. Von diesem Zeitpunkt an galten die jungen Leute als verlobt. Wurde man nicht einig oder traten Hinderungsgründe auf, so verabschiedete man sich unverrichteter Sache. Von so einer Brautschau soll hier berichtet werden. Da war ein Mädchen mit ganz beachtlichem Vermögen, aber leider auch mit einem erheblichen Sehfehler, der einer Verehelichung wiederholt im Wege stand. Da erschien ein Freiwerber aus einer entfernteren Gegend, dem die näheren Umstände nicht bekannt waren. Es wurde ein Termin für den Besuch des Werbers mit dem jungen Mann vereinbart.

So war auch dieser Tag herangekommen. - Wie üblich schritt man nach dem Essen zur obligatorischen Besichtigung des ganzen Anwesens. Alles war für diese Schau bestens vorbereitet. Mit einem Trick wollte die Mutter des Mädchens den Sehfehler ihrer Tochter verschleiern. Sie führte die Tochter vor Eintreffen des Besuches zum Scheunentor und steckte eine Nadel in das Tor. Im Vorbeigehen sollte die Tochter ganz zufällig die Nadel entdecken und damit ihre guten Augen kundtun. Endlich war es soweit. Die Gäste erschienen. Alles verlief planmäßig. Nach dem Mittagessen brach man zur üblichen Besichtigung von Hof und Garten auf. Zunächst nahm man die Wirtschaftsgebäude in Augenschein. So schritt man über den Hof der Scheune zu. Das Mädchen, eingedenk der Weisungen der Mutter und voller Aufregung, rief schon auf halbem Wege: „Mutter, sieh mal, dort im Tor steckt eine Nähnadel!" Na, Mädchen, sagte die Mutter. „Lauf mal und hol sie her." Eifrig lief das Mädchen nach dem Geheiß der Mutter um die Nadel, die eigentlich ganz zufällig im Vorbeigehen entdeckt werden sollte, zu holen, und - oh weh - das Schicksal nahm seinen Lauf, in der Aufregung stolperte die Maid über ein Kalb, welches sich ganz unprogrammgemäß dort zur Mittagsrast niedergelassen hatte. Das war fatal. Es kam, wie es nicht anders sein konnte. Der junge Mann merkte auf; das war doch sonderbar. Auf diese Entfernung entdeckte sie die Nadel im Scheunentor und das Kalb in voller Größe sah sie nicht? Da konnte doch etwas nicht stimmen. Das Fazit: - Die geplante Hochzeit fand nicht statt.

 

IV. Aus der Heimatgeschichte

 

I. Die engere Heimat

 

 

a. Vorgeschichtliche Funde

b. Feste, Spiele und Brauchtum

c. Sprichwörter und Bauernregeln im Volksmund

d. Die Ansiedlerdörfer im Kreise Schubin

e. Pfälzer im Kreise Schubin

f. Fahrendes Volk im Posener Land

g. Als es noch Wölfe in Polen gab

 

 

Posener Geschichte

 

 

a. Die deutsche Besiedlung von Posen und Westpreußen

b. Die geschichtliche Stellung des Warthe- und Weichsellan des

c. Geschichtliches über das Deutschtum in Polen

 

 

I. Die engere Heimat

 

Vorgeschichtliche Funde in Königsrode

lles auf unserer Erde ist dem Wandel unterworfen. Es ist ein stetes Werden und Vergehen, im Kleinen, wie im Großen. Menschen, Geschlechter und ganze Völkerstämme stehen unter diesem Gesetz. Als im Jahre 1904 unser Ansiedlerdorf Königsrode gegründet wurde, war diese Begebenheit nur ein Glied in der Entwicklung, eine neue Form; denn schon zu einer Zeit, da weder Polen noch Preußen als Staatengebilde existierten, war dieses Land schon bewohnt. Hiervon zeugen verschiedene Funde von Steinwerkzeugen aus der Stein- und Bronzezeit. Desgleichen die Urnenfelder, von denen ich hier berichten will.

Beim Pflügen des Ackers stieß mein Nachbar Schmalenberger auf massierte Steinfelder, die die Bearbeitung des Bodens erschwerten. Beim Versuch, die Steine fortzuräumen, kam ein sonderbares Gefäß zum Vorschein. Ich war gerade in der Nähe auf unserem Acker beschäftigt, als mein Nachbar mich hinüberrief. Gemeinsam versuchten wir das Vorgefundene zu ergründen. Als wir am Nachmittag mit Spaten ausgerüstet weitergruben, legten wir ein vorzeitliches Gräberfeld frei. Jedes dieser Gräber war von einer Steineinfassung im Viereck begrenzt. Fast immer war in der Mitte, wahrscheinlich als Haupturne, ein großes Tongefäß zu finden. Um dasselbe gruppierten sich verschiedene andere Urnen in allen Größenordnungen und unterschiedlichen Formen. Da waren etliche kleine Schalen wie Aschenbecher, aber mit einem kleinen Henkel versehen, vermutlich Essenschalen, in denen den Toten Speisen mitgegeben wurden. Dann waren noch einige mittlere Urnen vorhanden. In einigen Gräbern enthielten diese, ebenso wie die große Urne, noch Aschenreste. Man könnte annehmen, daß in diesen Angehörige im gleichen Grab beigesetzt waren. Die Urnen selbst wiesen die verschiedensten Formen und Verzierungen auf. Die Haupturne war, soweit sie noch erhalten geblieben war, immer mit einem Deckel versehen, was bei den kleineren nur zum Teil der Fall war. Der Deckel, in Form einer flachen Schüssel, war über die Urne gestülpt, so, daß der Deckelrand ein wenig über die Urne vorstand. Während einige Gefäße schlicht ohne jegliche Verzierung waren, hatten andere z. T. reiche Gravierungen aufzuweisen. Am häufigsten bestanden diese aus einfachen Rillen um den oberen Rand gezogen. Einfach oder auch zwei bis drei untereinander parallel laufend. Manchmal befand sich zwischen diesen Ringen eine Zickzack- oder Schlangenlinie. Mitunter waren statt dessen große kommaförmige Vertiefungen eingeritzt. Es gab auch solche, die mittfelds Kreisförmige Zeichnungen aufwiesen. Die Deckel waren dagegen durchweg ohne Zeichnungen. Als Inhalt konnte man in den Urnen vielfach Asche von verkohlten Knochen und Knochenreste ausmachen. Vereinzelt fand man in ihnen auch Beigaben von Bronzegegenständen. Wahrscheinlich waren es Schmuckgegenstände. So enthielt eine kleine Urne eine Bronzenadel, am oberen Ende breit abgeflacht, darunter eine Verstärkung und dann nach unten hin nadelspitz auslaufend. Ferner gab es kleine, undefinierbare Gebilde, aus Bronzedraht gefertigt. Die in der hellen, sandigen Erde angelegten Steinquadrate hatten gewöhnlich einen Durchmesser von etwa 100 bis 120 cm. Sonderbarerweise waren sie mit schwarzer Erde angefüllt. Derartig dunkle Erde war aber nur in beträchtlicher Entfernung von diesen Grabstellen in der Ebene zu finden. Durch die Hanglage, an welcher die Gräber angelegt waren, hatte herabfließendes Regenwasser die Deckerde teilweise hinweggespült und bei der Bearbeitung des Ackers wurde durch die Gespanne und die Ackergeräte leider vieles zerstört, so daß vielfach nur Scherben übriggeblieben waren. Etwa drei Kilometer von dieser Fundstelle entfernt erhebt sich ein bemerkenswerter, kreisrunder Hügel, eine Fliehburg. Im Volksmund wurde er die Schwedenschanze genannt. Weit und breit ringsum ist flaches Wiesen- und Ackerland. Es handelt sich hier offensichtlich um eine, von Menschenhand geschaffene, heute noch haushohe Erdaufschüttung. Umgeben ist diese von einem ca. zehn Meter breiten Wassergraben. Dieser muß ursprünglich eine beträchtliche Tiefe gehabt haben, da er heute noch, obwohl er in den Zeitläufen stark zugewachsen ist, noch immer eine gewisse Tiefe hat. Der Aushub lieferte bestimmt einen großen Teil des Materials für die Aufschüttung. Oben, auf dem abgestumpften Kegel, befindet sich eine Vertiefung, von Rand zu Rand gemessen etwa zwanzig Meter. Heute ist der Wall von uralten Bäumen bestanden und teilweise durch Abrutschen der Hänge beim Niederbrechen der Bäume verflacht. Zur Zeit der Errichtung hat er erheblich höhere Ausmaße gehabt. In meiner Jugend war dieser Ort ein wunderbarer Tummelplatz für uns Knaben und wie geschaffen für unsere Indianerspiele. Aber er hatte immer etwas Geheimnisumwittertes und ohne Begleitung hatte man auch als Junge immer ein unheimliches Gefühl. Beim Schanzen hat hier einmal ein Junge auch eine Kupferbronze-Streitaxt gefunden. Nach der gefälligen und sauberen Arbeit zu schließen dürfte diese aber einer späteren Zeit zuzurechnen ein. Die dortige Umgebung lieferte viele Funde an Steinwerkzeugen. Ich hatte hier ein Stück Ackerland und fand bei der Bearbeitung verschiedene Steinäxte, Schabe- und Schneidemesser aus Stein. Ausgangsmaterial war zum überwiegenden Teil der Feuerstein. Die Schabemesser hatten eine schlanke Form mit schmaler Schneide und auf der flachen Seite eine ausgearbeitete Vertiefung, die dem Daumen bei der Arbeit einen festen Halt bot. Ein anderer Fund war eine schwere Steinaxt oder auch Hammer mit einer Lochbohrung zum Aufsetzen auf einen Holzstiel. Andere wiesen seitlich flache Einkerbungen auf. Ich kann mit vorstellen, daß diese der Befestigung und Bindung an einen gegabelten Stiel dienten. Viele Stücke waren im Laufe der Zeit zu Bruch gegangen. So konnte man vielfach gespaltenes und gebrochenes Werkzeug finden. Desweiteren traf man hier auf örtlich begrenzte Stellen mit größeren und kleineren Urnenscherben oder Trümmer von Hausratgegenständen, die hier wie gesät herumlagen. Das Material glich genau dem der Urnen, die eingangs schon Erwähnung gefunden haben. Trotz verschiedentlicher Grabungen konnten hier aber keine Urnen oder sonstige ganze Gefäße gefunden werden. Ob bei den Scherben und den Urnen in den Gräberfeldern ein Zusammenhang besteht, ließ sich nicht feststellen. Die Funde waren zum Teil bei uns in der Volksschule gesammelt oder auch an einen mir nicht mehr bekannten Ort in Posen weitergeleitet worden. Die in unserer Schule befindliche Sammlung ist bei dem Übergang in polnische Verwaltung verlorengegangen. Die gefundenen Steinwerkzeuge dürften aus der jüngeren Steinzeit stammen, also um die Zeit von etwa 4.000 vor der christlichen Zeitrechnung. Jedenfalls haben die in Königsrode und auch in der benachbarten Gegend gefundenen Skelett- und Brandgräber, die verschiedenen Steinwerkzeuge, Waffen und später auch Schmuckstücke aus Bronze den Erweis erbracht, daß diese Landschaft schon uraltes Siedlungsgebiet war. Interessant dürfte auch sein, daß in benachbarten Gemeinden unter anderem auch Glasperlen gefunden wurden, die wahrscheinlich von römischen und anderen Handelsleuten hierher gebracht wurden. Das bestätigt die Annahme, daß ein Handelsweg aus dem Süden hin zur Ostsee, dem Bernsteinland, durch unsere Gegend geführt haben muß.

 

Feste, Spiele und Brauchtum

 

itten und Brauchtum, ja, der ganze Lebensstil eines Dorfes wachsen und gedeihen immer auf dem Boden der Gemeinschaft. Junge Gemeinden, wie Königsrode eine war, sind daher relativ arm an überlieferten Formen. Die Herkunftsgebiete der Bewohner waren denkbar verschieden. Vieles, was die Einzelnen aus ihrer Heimat mitgebracht hatten, ging in der fremden Umgebung verloren oder geriet in Vergessenheit. Es fehlte eben der Resonanzboden, der alles zum Klingen bringt. Und doch hat sich das eine oder das andere, besonders bei den größeren Gruppen der Siedler erhalten, fand Nachahmung, verschmolz auch oft mit anderen Bräuchen und wuchs so zu neuen Formen. So entstanden neue Arten, die schon ein typisches und eigenes Gepräge hatten. In den Jahren der Jugendbewegung im vorgerückten ersten Drittel des 20. Jahrhunderts waren es vielfach die jungen Leute, die ein Interesse an altem Brauchtum zeigten und manch Vergessenes und Verschüttetes ausgruben und neu belebten.

Vornehmlich sind es die Festtage und Feiern, die mit bestimmten Bräuchen verbunden sind.

Das Weihnachtsfest war allgemein ein Fest der Familie. Schon das Essen zu diesem Fest wurde häufig nach einer alten Familientradition zubereitet und es gab manch ganz spezielles Gericht, das eben nur zu Weihnachten auf den Tisch kam. So kannten die Pfälzer aus Galizien eine Besonderheit und zwar wurde weichgekochter geschälter Weizen mit gemahlenem Mohn und Zucker oder besser mit Honig vermischt und serviert. Bei manchen Familien durfte die Weihnachtsgans auf dem Festtisch nicht fehlen, bei anderen war es der Karpfen, der in besonderer Art zubereitet wurde. Der Karpfen gehörte allerdings in vielen Familien auch zum Sylvesterschmaus. Natürlich gehörte zum Weihnachtsfest der Christstollen, ebenso wie Pfeffernüsse und Honigkuchengebäck, alles von der Hausfrau selber zubereitet. Wenn man vom Christfestgottesdienst nach Hause kam, wurden die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet. Die ganze Familie war hier versammelt. Es wurden gemeinsam unsere schönen Weihnachtslieder gesungen und dann folgte die Bescherung. Die Gaben waren schön verpackt unter dem Weihnachtsbaum verstaut. Gewöhnlich waren es Gebrauchsgegenstände, die geschenkt wurden, aber auch Schmucksachen. Oft ging hier auch ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Für die Kinder gab es in erster Linie Spielsachen. Natürlich bekam jedes Familienmitglied seinen Weihnachtsteller mit Nüssen, Äpfeln und Naschwerk. Die Dienstboten bekamen zudem in der Regel Sachen zum Anziehen wie Arbeitskleider usw. In vielen Fällen überbrachte die Geschenke für die Kinder der „Weihnachtsmann", ein mit Maske, langem Bart und Pelz verkleideter Verwandter oder guter Nachbar.

Kleine Gruppen von jungen Leuten, etwa drei bis fünf, verkleideten und maskierten sich, traten als Knecht Ruprecht, als Christkind, auch mitunter als die drei Weisen aus dem Morgenland auf. Immer war auch Luzifer, der Satan, mit dabei. Waren erstere immer nett zu jedermann, besonders zu den Kleinen, beschenkte diese auch, wenn sie brav ihr Sprüchlein aufsagten, so kam der Teufel aber mit Kettengerassel und Getöse herein, wenn sich die größeren Jungen oder gar die schon Erwachsenen ungebührlich aufführten.

Andere Gruppen zogen von Haus zu Haus als die heilige Familie. Sie trugen einen leuchtenden Stern voraus und führten kleine Krippenspiele auf. In ihrem Gefolge befanden sich auch die heiligen Drei Könige.

Am Silvesterabend ging es heiter zu. Man traf sich zur Geselligkeit im Kreise guter Freunde. Oft auch in Mummenschanz und Maskerade. Mit Scherz und Tanz beging man die letzten Stunden des alten Jahres. In selteneren Fällen kannte man auch noch das Bleigießen. Hierbei wurde flüssiges Blei in ein mit Wasser gefülltes Gefäß gegossen. Das erkaltete Material zeigte oft bizarre Formen. Aus diesen Formen versuchte man Symbole zu erkennen. So deutete man ein kranzähnliches Gebilde als Vorbote eine Hochzeit mit dem Bleigießer. Der Phantasie wurde hier viel Spielraum gelassen.

Wenn mit dem zwölften Glockenschlag das alte Jahr zu Ende ging, wurde das Neue Jahr mit Böllerschüssen begrüßt. Die Stimmung erreichte dann ihren Höhepunkt. Dann zog man in aufgekratzter Stimmung gemeinsam zu weiteren Freunden und Bekannten, um dort das Neujahr anzuschießen und für das neu angebrochene Jahr Glück zu wünschen. Das ganze Dorf schien auf den Beinen zu sein. Wenn dann der neue Tag anbrach, waren die Kleinen unterwegs, um bei Paten und Nachbarn mit einem Sprüchlein ihre Neujahrswünsche zu überbringen. Sie wurden dafür mit Geldmünzen belohnt.

Auch die Fastnacht wurde früher privat gefeiert. Erst viel später wurde diese Feier zum Teil durch öffentliche Tanzveranstaltungen verdrängt. Viel schöner war es doch, als man sich noch irgendwo in einer großen Stube traf, um zu feiern. Getränke und die unvermeidlichen Fastnachtspfannkuchen wurden mitgebracht. In froher Runde in geselligem Kreise wurde gegessen, getrunken und nach den Klängen der Ziehharmonika getanzt. Üblicherweise trafen sich die verschiedenen Altersgruppen an getrennten Orten. Es war auch schöner, wenn man auf diese Art unter Seinesgleichen blieb.

 

Nur in geringem Ausmaß waren die Osterbräuche erhalten geblieben. So war noch das Stiepern in Erinnerung. Die jungen Burschen zogen am Ostermorgen in aller Frühe mit ihren Stieperruten, das waren Birkenruten und Zweige der Kätzchenweide gebündelt, aus, um die Mädchen aus den Federn zu stiepern. Die zukünftigen Hausfrauen sollten doch keine Langschläfer werden. Da half kein Verriegeln der Haustür, wenn der Vater oder die Mutter die Stieperer heimlich ins Haus ließ. Die jungen Burschen wurden dann mit einem Kornus bewirtet.

Vereinzelt konnte man aber auch noch Osterwasserholer beobachten, obwohl hier alles in größter Heimlichkeit von statten ging; denn sollte das Osterwasser seine Wirkung nicht verlieren, so mußten einige Bedingungen beachtet und befolgt werden. Man mußte vor Sonnenaufgang, ohne noch ein Wort gesprochen zu haben, zu einer Quelle oder zu einem Bach gehen und bei Sonnenaufgang Wasser schöpfen. Dieses Wasser sollte den jungen Männern Erfolg garantieren, besonders aber den Mädchen durch das Waschen mit diesem Wasser Lieblichkeit und Schönheit verleihen. Vergeblich war allerdings die Mühe, wenn es einem Burschen, der sich versteckt hielt, gelang, das Mädchen zum Sprechen oder zum Lachen zu bringen. Ob aber in einem solchen Falle, in dem sich ein Bursche so lebhaft um seine Maid bemüht, das zusätzliche Schönheitswässerchen noch vonnöten ist?

Der Himmelfahrtstag war allgemein ein Ausflugstag. Da konnte man Allerorts fröhlich singendem Volk mit Pferdegespannen begegnen, die ins Grüne fuhren; mit Kutschen oder auch auf mit Grün geschmückten Leiterwagen. Für die Jugend aus Königsrode und Zinsdorf war es schon Tradition geworden, am Nachmittag dieses Tages mit der Jugend aus Birkenfelde, aus Lindenbrück, Gurkingen und Sartschin - alles unsere Nachbardörfer - im Lindenbrücker Wald zu Spiel und Volkstanz zusammenzukommen.

Am Nachmittag des Pfingstsamstags wurde das Maiengrün eingeholt. Mit Birkenbäumchen und - Ästen wurde Haus und Hof geschmückt. Am Abend wurde mancher Streich und Schabernack gespielt und das sollte niemand krumm nehmen. Da konnte es schon vorkommen, daß am Pfingstmorgen Türen und Tore verbarrikadiert waren oder Baumstämme die Straße sperrten. Ja, der Kirchgänger am Pfingstmorgen wunderte sich wohl auch über den mit Stalldung beladenen Ackerwagen auf dem Scheunendach eines Bauernhofes.

Erst in späteren Jahren wurden auch wieder alte Bräuche der Johannisnacht lebendig. Da brannten bald die Holzstöße des Johannisfeuers in der Gegend, umkreist von Jung und Alt, umjubelt in Spiel und Reigen. Dann folgte der Sprung durch die lodernden Flammen, einzeln und auch paarweise. Jeder Sprung wurde von einem Spruch oder auch von einem Wunsch begleitet.

Erntedankfest war bei uns eine ausgesprochen kirchliche Feier. Zu dem Festgottesdienst war der Altarraum mit Blumen und allen Arten der Früchte aus Feld und Garten geschmückt. Über dem Ganzen war eine aus verschiedenen Arten von Getreideähren geflochtene und mit Bändern geschmückte Erntekrone aufgehängt.

Die Hochzeitsfeiern wurden in der Regel auf dem Bauernhof, dem die Braut entstammte, gefeiert. Nur selten, wenn es bestimmte Voraussetzungen erforderten, fand sie auf dem Anwesen des Bräutigams statt. Am Polterabend, dem Abend vor der Hochzeit, wurden von der Jugend im Hochzeitshaus die Kränze für die Girlanden am Eingang und für den Brautwagen gewunden. Die jungen Männer leisteten dabei den Mädchen Handreichungen. Dabei ging es recht lustig zu und anschließend, wenn alles fortgeräumt war, wurde wohl auch ein Tänzchen als Generalprobe für den morgigen Hochzeitstanz gedreht. Während des Abends wurde draußen vor dem Haus mit alten Tontöpfen und anderem tüchtig gepoltert. Mit diesem Getöse sollten die bösen Geister vertrieben werden. Das war jedenfalls der ursprüngliche Sinn des Polterns. Bräutigam und Braut zeigten sich mit Schnaps und Kuchen hierfür erkenntlich. Am darauffolgenden Tag fuhr das Brautpaar mit den Trauzeugen zum Standesamt, wo die amtliche Trauung von statten ging. Kurz nach dem Mittagessen begann dann das richtige Fest. Kutschwagen um Kutschwagen, fuhren beim Hochzeitshaus vor, jeder mit einem flotten Marsch der Blaskapelle empfangen. Waren die Gäste alle versammelt und mit einem Willkommensschnaps begrüßt worden, dann bildete die Jugend ein Spalier und bei einem gemeinsamen Gesang des Liedes „So nimm denn meine Hände" wurde die Braut im Brautschleier am Arm des glücklichen Bräutigams zur Hochzeitskutsche geleitet. Hatte das Paar Platz genommen, so setzte sich der Wagenzug zur Trauungsfeier in der Kirche in Bewegung. Im letzten Wagen fuhr das Brautpaar. Oft waren es bis zu dreißig Wagen, die in diesem Festzug mitfuhren. Vor der Kirche angekommen, schritt das Brautpaar wieder durch das Spalier der Hochzeitsgäste und wurde vor der Kirchentür vom Pastor empfangen. Auf der Rückfahrt nach der Trauung war es das Vorrecht der Braut, mit ihrem Wagen den Zug anzuführen. Unterwegs wurde der Wagen oftmals gestoppt. Kinder hatten die Straße mit einem Seil gesperrt und nur durch Zahlung eines Lösegeldes wurde der Weg wieder freigegeben. Zu Hause angekommen, ging es dann an die Festtafel. Anschließend spielte die Kapelle zum Tanz auf. Am Abend sagten Kinder, aber auch Erwachsene, Hochzeitsgedichte auf, in welchen den Brautleuten oft in humorvoller Weise Ratschläge und Rezepte für die Eheführung mitgegeben wurden.

Um Mitternacht wurde der Braut der Schleier abgenommen. Das ging unter einem bestimmten Ritus vor sich. Die Mädchen bildeten um das Brautpaar, das in der Mitte des Raumes Platz genommen hatte, einen Kreis. Unter Absingen eines hierzu passenden Liedes, dessen Text in den Worten gipfelte „Bin ich kein Mädchen mehr, bin ich ein Weibchen; trag ich kein Kränzchen mehr, trag ich ein Häubchen," wurde der Braut von zwei älteren Frauen Kranz und Schleier abgenommen und dafür eine Haube aufgesetzt. Das war für die junge Frau der Abschied von der Mädchenzeit und der Eintritt in den Kreis der verheirateten Frauen. Die Hochzeitsfeiern dehnten sich bis in den Morgen des nächsten Tages aus und oft gingen die letzten Gäste erst kurz vor der Mittagszeit nach Hause. Der Hochzeitstag war gewöhnlich ein Freitag. Am Sonntag darauf gab es noch eine Nachfeier, wie es hieß, „um die Reste nicht verderben zu lassen".

Mit dem Winter, der kalten Jahreszeit, war auch die Zeit des Einschlachtens gekommen. Wer jetzt Vorräte in Form von Dauerware aus der Schweineschlachtung schaffte, konnte das beruhigende Gefühl haben, im Sommer versorgt zu sein. Darum hatten die Hausschlachter um diese Zeit viel zu tun. Aber das Schlachten war nicht nur eine Versorgungsmaßnahme, es wurde gleichzeitig zum Anlaß für eine kleine Feier genommen. Freunde, Nachbarn und Bekannte wurden für den Schlachteabend zur „Wurstsuppe" eingeladen. Es tat der Gemütlichkeit dabei durchaus keinen Abbruch, wenn die Suppe an diesem Abend nicht in Erscheinung trat; es genügte, daß sie den Namen hergeben mußte.

Allerdings wurden alle Wurstsorten probiert und der saftige Schweinebraten fand allgemeinen Beifall. Die Hauptsache aber war das gemütliche Beisammensein. Während sich nach der Tafel die Frauen zu einem vertrauten Erzählchen zusammensetzten, droschen die Männer, oft in zwei und drei Partien, einen zünftigen Skat. Für die Verdauung des kräftigen Abendbrotes sorgten dann die „Czysta"-Flaschen, das beliebte alkoholische Getränk, das immer wieder die Runde machte. Die Schlachtefeste mit der Wurstsuppe, oder der „Metzelsuppe", wie sie bei den Pfälzern genannt wurde, waren immer recht vergnügte und gesellige Abende.

 

 

 

Sprichwörter und Bauernregeln im Volksmund

 

rfahrungen und Weisheiten der Alten haben vielfach in Sprichwörtern und Bauernregeln - häufig das Wetter betreffend - ihren Niederschlag gefunden. Was macht es schon aus, wenn man in denselben oft Widersprüchen auf die Spur kommt? Ist das Leben selbst in seiner Vielgestaltigkeit nicht auch von Widersprüchen durchdrungen? Aber im Ganzen gesehen enthalten diese Sprüche doch viel Wahrheit. Es ist doch ganz interessant zu verfolgen, wie der Jahresablauf und verschiedene Begebenheiten im Leben von Sprichwörtern und Bauernregeln begleitet werden.

Da heißt es beispielsweise:

Wenn’s zu Lichtmeß (02. 02.) stürmt und schneit,

ist der Sommer nicht mehr weit.

Man soll nicht genau den Tag zu Grunde legen; vielmehr ist die Zeit um Anfang Februar gemeint und es soll etwa bedeuten:

Wenn um diese Zeit der Winter noch sein strenges Regiment führt, kann man mit einem zeitigen Frühjahr rechnen, wie man in einem umgekehrten Fall bei einem warmen Januar / Februar noch starke Nachwehen des Winters befürchten muß. Dasselbe soll auch der Spruch zum Ausdruck bringen:

Weihnachten im Klee,

Ostern im Schnee.

Doch bleiben wir gleich bei Lichtmeß. Dieser Tag soll der zeitliche Wertmesser für die noch benötigten Futtervorräte für das Vieh sein. Obwohl es nunmehr stark auf das Frühjahr zugeht, ist doch erst die Hälfte der Zeit der Winterfütterung vorüber.Es sollten folglich noch die Hälfte der Vorräte verfügbar sein. Andererseits wird bereits durch die zunehmende Länge der Tage das Sommerhalbjahr eingeleitet. So sagt ein bei den Pfälzern bekanntes Sprichwort:

Das heißt:

Lichtmeß - spinne vergeß ) Lichtmeß- spinnen vergessen

halb Hai, halb Stroh gefreß ) halb Heu, halb Stroh gefressen

bei Tag zu Nacht gegeß ) bei Tage zu Nacht gegessen

bei Tag ufgestan ) bei Tage aufgestanden

bei Tag schlowe gegan. ) bei Tage schlafen gegangen.

Das Spinnen, eine typische Arbeit an den langen Wintertagen und Abenden, soll nun beendet werden.

Zum Spinnen selbst sagt der Volksmund:

Spinnen am Morgen - Kummer und Sorgen

Spinnen am Mittag - Freude (erst) am dritt. Tag

Spinnen am Abend - wohltuend und labend.

Hier sind nicht, wie vielfach angenommen wird, die nicht gern gesehenen Gliedertierchen gemeint, sondern das Spinnen des Flachses. Die Bedeutung dieses Reimes dürfte wohl folgende sein:

Wer schon am frühen Morgen spinnen muß und daher diese Tätigkeit als kärglichen Broterwerb auszuüben gezwungen ist, der ist bestimmt nicht auf Rosen gebettet. Wird aber mit dem Spinnen erst am Mittag begonnen, so dürfte das nur eine zusätzliche Einnahmequelle bedeuten und die Lebenslage ist mindestens erträglich. Dagegen ist das Spinnen am Abend, zum Beispiel in den Spinnstuben, recht vergnüglich, wenn die jungen Mädchen mit ihren Spinnrädern sich irgendwo treffen und die Burschen für Unterhaltung und Heiterkeit sorgen. Man muß hier bedenken, daß die Sprichwörter zum großen Teil aus vergangenen Zeiten stammen.

Rückschläge des Winters im März sind bei den Bauern nicht beliebt, da sie leicht den jungen Saaten Schaden zufügen können.

Sie sagen daher

Märzenschnee tut den Saaten weh.

Dagegen wünschen sie sich den Mai nicht zu warm, dafür aber mit genügend Feuchtigkeit, denn:

Ist der Mai kühl und naß,

gibt’s viel Korn und noch mehr Gras.

Oder auch:

Ist der Mai kühl und naß,

füllt er dem Bauern Scheuer und Faß.

Regen fördert das Wachstum des Getreides, aber zur Reifezeit und gar in der Ernte selbst ist Sonnenschein erwünscht, denn :

Vor Johanni (24. 06.) bitt um Regen;

nachher kommt er ungelegen.

Mit Ende Juni tritt das Getreide in den Reifeprozeß. Der Bauer sagt:

Peter und Paul (29. 06.) macht dem Korn die Wurzel faul.

In der Ernte muß sich jede Hand fleißig regen, damit das Getreide trocken eingebracht werden kann, denn:

Wer im Sommer nicht arbeitet, muß im Winter notleiden.

und: Ohne Fleiß, kein Preis.

Wichtig ist bei der Erntearbeit stets das Wetter. Regen ist in dieser Zeit unerwünscht. Sollte es doch einmal an einem solchen Morgen regnen, so besteht immer noch die Hoffnung, daß es bald wieder aufklärt, denn es heißt:

Morgenregen und ein Alt-Weibertanz dauern nicht lange.

Aber auch bei schönen Wetter soll man die Zeit nützen, denn man weiß nicht, wie der Tag endet.

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.

Die Wetterprognose hat zu allen Zeiten schon eine große Bedeutung gehabt. So hat man herausgefunden:

Freitagswetter ist Sonntagswetter

oder: Freitag am Abend, Sonntag den ganzen Tag.

Eine Wetterregel, die immer das Richtige trifft, ist die folgende:

Wenn der Hahn kräht auf dem Mist,

ändert sich das Wetter, oder es bleibt wie’s ist.

Mit dem Wetter Unzufriedene hat es immer schon gegeben und zu allen Zeiten. Dem Wettergott geht es hier nicht besser als den Menschen, denn

Jedermann recht getan

ist eine Kunst, die niemand kann.

Darum ein Rat, der wahrlich sich zu beherzigen lohnt:

Tue Recht und scheue niemand.

Es ist stets gut, wenn man sich nicht auf andere Leute verläßt. Man könnte leicht bittere Enttäuschungen erleben. Merke dir:

Freude in der Not

gehen Hundert auf ein Lot.

Hier noch ein Rat an junge Leute auf der Brautschau. Da sagt der Vater oder der väterliche Freund:

Junge, mach die Augen auf,

Heirat ist kein Pferdekauf.

Im übrigen gilt aber immer noch:

Jung gefreit, hat noch niemand gereut.

In einer Gastwirtschaft fand ich diesen netten Spruch:

Die Rose blüht, ihr Dorn der sticht.

Wer gleich bezahlt, vergießt es nicht.

Ebenfalls vor einer Gastwirtschaft war eine simple Wetterstation installiert. Sie bestand aus einem an einer Querstange angebrachtem Strick. Dazu folgende Gebrauchsanweisung zum Ablesen des Wetters:

1. Ist der Strick trocken = Schönes Wetter

2. Ist er aber naß = Regenwetter

Schlingert er hin und her = Windig.

 

 

Die Ansiedlungsdörfer im Kreise Schubin

ie deutsche Besiedlung der Provinz Posen und Westpreußen hat verschiedene Formen aufzuweisen. Die erste Besiedlung begann schon im 12. Jahrhundert. Die Mönche deutscher Klöster, solche sind schon zu damaliger Zeit in Polen gegründet worden - in unserer engeren Heimat waren es beispielsweise die Zisterzienser in Lekno bei Wongrowitz - holten für ihre weiten Ländereien Bauern aus ihrem Heimatland Deutschland ins Land und siedelten diese auf den Klosterländereien zu deutschem Recht an. Diesem Beispiel folgten auch bald die polnischen Grundherren, denn durch die angesetzten Zinsbauern sahen sie die Möglichkeit, ihre Einnahmen aus den Besitztümern zu steigern. Nach und nach schränkten die Grundherren die den Bauern anfänglich gewährten Privilegien immer mehr ein, was zu Folge hatte, daß diese ersten Siedler allmählich auf das Niveau der alteingesessenen leibeigenen Bauern herabsanken. So dauerte es auch nicht lange, bis diese ganz allmählich im Polentum aufgingen.

Eine zweite deutsche Einwanderungswelle folgte dann im 16. Jahrhundert. Wieder war es der polnische Adel, der deutsche Bauern ins Land rief. Bei dieser Besiedlung sind zwei Formen zu unterscheiden: die „Schulzendörfer" und die „Hauländereien". Den ersteren stand ein vom Grundherrn eingesetzter „Schulze" vor, der mit Privilegien ausgestattet und dem Grundherrn verantwortlich war. Das Amt war häufig erblich (Erbschulze). Bei der zweiten Form, den Hauländereien, wählten die Siedler ihr Oberhaupt und die Gemeindevertreter selber.

Im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts folgte eine weitere Siedlungsart. Das waren die sogenannten Kolonien. Polnische Grundbesitzer setzten vornehmlich auf unkultivierten Ländereien, beziehungsweise auf solchen, die vom Grundbesitz weit entfernt lagen, bäuerliche Familien an, in der Mehrzahl Deutsche. Das Entgelt für diese Wirtschaften erfolgte teils in Barzahlung, teils in jährlichen Zinsleistungen. Derartige Kolonien sind recht zahlreich nördlich Exin an der Netze anzutreffen. Ein neuer Abschnitt der Besiedlung wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit der Gründung der „Kgl. Preußischen Ansiedlungskommission für Posen und Westpreußen" mit Sitz in Posen eingeleitet. Diese kaufte im Grundstücksverkehr angebotene Güter auf und parzellierte dieselben. Die darauf angesetzten Bauern hatten an die Kommission eine jährliche Rente zu zahlen. Im Kreis Schubin entstanden insgesamt siebzehn Ansiedlerdörfer, zusätzlich eine Kleinsiedlung mit fünf Siedlerstellen, die zur Stadt Exin gehörten. Vier dieser parzellierten Güter stammten aus polnischem Besitz. Die restlichen vierzehn hatten deutsche Vorbesitzer. Alle Erwerbungen vollzogen sich auf freiwilliger Basis. Zwangsenteignungen sind dabei nicht vorgekommen. Wenn in der polnischen Propaganda der Kommission lautstark vorgeworfen wird, ein Instrument zur Zerschlagung polnischen Besitzes zu sein, so kann hier diese Behauptung glatt widerlegt werden.

Im Folgenden will ich eine Aufstellung der Ansiedlerdörfer in unserem Heimatkreis mit einigen näheren Angaben erstellen.

 

1.) Bartschin: 1906 aus deutschem Besitz für 1 920 000 Mark erworben. Die 1 450

ha wurden in 900 Stellen aufgeteilt.

2.) Buschkau:1886, z. T. 1890 aus polnischem Besitz für 448 710 Mark erworben.

Größe: a) 988 ha, b) 1,31 ha; ergab insgesamt 40 Siedlerstellen.

3.) Exin: 1911 von deutschem Besitzer für 66 000 Mark gekauft, die 22 ha

wurden in fünf Stellen aufgeteilt. Die Gruppe bildete keine eigene Gemeinde; sie

verblieb bei der Stadt Exin angeschlossen.

4.) Gurkingen: 1900 aus polnischer Hand für 730 000 Mark erworben. Die 685 ha

ergaben 41 Siedlerstellen, die eine eigene Landgemeinde bildeten.

5.) Hallkirch: 1899 für 520 000 Mark von Deutschen angekauft. Die 646 ha

ergaben 36 Stellen, die als eigene Landgemeinde zusammengeschlossen sind.

6.) Herzberg: 1909 aus deutscher Hand für 500 000 Mark gekauft.

Größe 248 ha, die 24 Stellen ergaben. Eingegliedert in die Stadt Exin.

7.) Hedwigshorst: War Domäne / Fiskus; erbrachte einen Preis von 467 114 Mark,

erworben 1907 und wurde Landgemeinde mit 26 Parzellen.

8.) Joachimsdorf: a) 1886 aus polnischer Hand für 240 000 Mark,

b) 1907 von Deutschen für 1 234 Mark erworben, Gesamtfläche ergab

31 Siedlerstellen, die mit der alten Gemeinde vereinigt wurden.

9.) Iwno: 1903 aus deutscher Hand für 566 000 Mark erworben. Größe: 745 ha;

aufgeteilt in 46 Parzellen. Mit alter Gemeinde vereinigt.

10.) Kowalewko: 1912 aus deutscher Hand für 317 000 Mark erworben.

Größe: a) 352 ha, b) 38 ha = 390 ha.

11.) Lankowitz: Zum Kaufpreis von 519 000 Mark aus deutscher Hand.

Größe: 417 ha. Aufgeteilt in 31 Parzellen und wurde eigene Landgemeinde.

12.) Malitz: 1905 von einem Deutschen für 687 000 Mark gekauft, 448 ha groß und in

37 Stellen aufgeteilt. Vereinigt mit dem zu Exin gehörenden Vorwerk Sachsen-

hof, nunmehr selbständige Landgemeinde.

13.) Schmalbach: Aus deutschem Besitz 1908 für 289 000 Mark erworben.

Größe: 292 ha, wurde in 12 Parzellen aufgeteilt und wurde eigene Land-

gemeinde.

14.) Thure: Deutscher Besitz, 1906 an die Kommission für 750 000 Mark ver-

äußert. Bei der Besiedlung mit dem zugeschlagenen kleinen Ort Ziegelei zu

einer Landgemeinde vereinigt. Ergab 25 Siedlerstellen bei Gesamtgröße von

803 ha.

15.) Wolitz: 1899 aus deutscher Hand für 420 000 Mark gekauft. Größe: 789 ha, die

30 Parzellen ergaben und wurde eigene Landgemeinde.

16.) Zinsdorf: Deutscher Vorbesitzer veräußerte den Besitz 1904 für 427 000 Mark

an die Kommission. Der Gutsbezirk wurde mit dem bereits 1903 erworbenen

Besitz Gut Smarzikowo (ebenfalls aus deutscher Hand) in Gesamtgröße von

625 ha und den aufgeteilten 39 Stellen zu einer eigenen Landgemeinde

umgewandelt.

17.) Zlotowo: 1906 aus deutscher Hand für 540 000 Mark erworben. Die 351 ha er-

gaben 26 Siedlerstellen. Das Gut wurde mit ansiedlungs-fiskalischen Flächen

der alten Gemeinde Zlotowo unter Namensumbenennung auf Schlottau eigene

Landgemeinde.

18.) Königsrode: Der polnische Besitz wurde 1899 in Größe von 1 040 ha für

785 000 Mark aufgekauft und in 61 Parzellen aufgegliedert, die nunmehr eine

selbständige Landgemeinde darstellten.

Im folgenden will ich über den Verkaufsakt des letztgenannten Gutes Krolikowo, welches nun in Königsrode umbenannt wurde, berichten, stellvertretend auch für die übrigen Ansiedlungen, deren Erwerb in gleicher Form, oder aber ähnlich vonstatten ging.

Die Verhandlung erfolgte in Schubin am 11. 01. 1899 vor dem Notar Walter v. Wertern.

Es erschienen verfügungsberechtigt

1.) Der Gutsadministrator Richard Kaskel, Smarzikowo (Klein- Zinsdorf)

2.) Der Supdirektor Wilhelm Döhring aus Posen (Gothaer Versicherungsgesellschaft)

Über den Nachlaß des im Dezember 1898 verstorbenen Rittergutsbesitzer

Eustasius v. Rogalinski ist der Konkurs eröffnet worden. Zum Verwalter ist der unter

1.) genannte Administrator Kaskel bestellt worden.

Zum Gläubigerausschuß waren bestellt

a) Der Kgl. Landrat Peistel aus Znin

b) Der Kaufmann Moritz Lippmann in Labischin als Gläubiger

c) Der Bevollmächtigte des Grafen Skorzewski in Labischin (Gläubiger)

Diese drei hatten den Konkursverwalter bevollmächtigt, das zum Nachlaß gehörende Rittergut Krolikowo zu verkaufen. Dieser verkaufte das Rittergut mit sämtlichem toten und lebendigen Inventar an Wilhelm Döhring. Ausgeschlossen wurden 230 Fettlämmer, Kutschenwagen mit Pferden und Geschirren, soweit dieselben dem Grafen Skozewski verpfändet waren. Der Kaufpreis betrug 750 000 Mark. Daraus sind auszuzahlen: 450 000 Mark, eingetragen für Lippmann und 44 000 Mark für den Grafen Skorzewski. Ein Betrag von 68 000 Mark wird an den Kursverwalter zur Regulierung anderweitiger Forderungen gezahlt.

Der verwitweten Claudina v. Rogalinska, geb. Gräfin Skorzewska, wird bis zum

01.04.1899 freie Benutzung des ganzen Wohnhauses eingeräumt.

Der Erwerber der Konkursmasse des Rittergutes Krolikowo, Wilhelm Döhring, verkauft dasselbe für 785 000 Mark weiter an die Ansiedlungskommission. Die neue Siedlung wurde selbständige Landgemeinde unter dem Namen Königsrode. Die Besiedlung begann im Frühjahr 1904. Zu Anfang des Jahres 1906 wurde sie mit Übergabe der letzten Parzelle an einen Siedler beendet.

 

 

Pfälzer im Kreise Schubin

n meinem vorausgegangenen Artikel ist über die Besiedlung unserer Posener Heimat seit dem 12. Jahrhundert berichtet worden. Dabei stellt sich die Frage, woher kamen die Menschen, die sich an dieser Besiedlung beteiligten? Diese Frage ist schon in vielen Abhandlungen beantwortet worden. Sie kamen aus fast allen Gebieten des deutschen Landes; sie kamen aus Süddeutschland, aus Westfalen und aus dem Hannoverschen, aus Pommern, Brandenburg und Schlesien. Man kann sagen, daß ziemlich alle deutschen Gaue vertreten waren. Gab es auch zeitweise Rückschläge im Strom der Besiedlung, so wurden diese Lücken in nachfolgenden Perioden durch erneut stärkere Einwanderungen wieder ausgeglichen.

Ein neuer Abschnitt der Besiedlung begann mit der Gründung der Königlich-Preußischen Ansiedlungskommission für Posen und Westpreußen. Diese kaufte überall in diesen Provinzen Güter auf, parzellierte sie und gab sie an Siedlungswillige gegen Leistung einer jährlichen Rente ab. In unserem Heimatkreis Schubin waren es 18 Güter, die in den Jahren 1886 bis 1912 von der Kommission erworben und parzelliert wurden. Unter diesen neuen Siedlern waren auch viele Pfälzer. Sie kamen aus dem österreichischen Kronland Galizien. In meinem Heimatdorf Königsrode, einer Ansiedlung aus dem Jahr 1904, waren beispielsweise von den 61 angesetzten Familien nicht weniger als 26 pfälzischer Herkunft; das sind etwa 42 %. Ein ähnliches Verhältnis war in der Nachbarsiedlung Zinsdorf, in Iwno und verschiedenen Orten anzutreffen.

Einen weiteren Zuzug von Pfälzern aus Galizien brachte die Umsiedlungsaktion von 1939 unter Adolf Hitler. Viele der dabei umgesiedelten Galiziendeutschen wurden auch im Kreise Schubin angesetzt. Sollte ihre Anwesenheit auch nur von kurzer Dauer sein.-von 1939 bis 1945 - so waren sie doch eine Zeitlang unsere Mitbürger. Alles in allem war es doch eine nicht zu unterschätzende Zahl von Pfälzern, die im Kreise Schubin ansässig waren. Wer waren nun diese Pfälzer?

Ihre Stammheimat war die Pfalz, das Gebiet zwischen Kaiserslautern und Bad Kreuznach, einschließlich einiger Nachbargebiete. Ich möchte hier erwähnen, daß mein Urahn Johann Adam Eilmes im Kreise Rockenhausen in der Pfalz beheimatet war und 1784 mit seinen Schwiegereltern nach Galizien auswanderte.

Blicken wir zurück in die Zeit um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Immer neue Kriege und Unruhen tobten über das Land an Neckar, Nahe und Rhein dahin. Mal waren es die Franzosen, dann wieder die Österreicher, die Bayern und nach diesen wieder andere Heerscharen. Wer war Freund, wer Feind? Gefürchtet waren sie alle, denn alle lebten sie auf Kosten der geschundenen Bevölkerung. Not, Hunger und Verwüstungen waren die Folge, die sich über die von Natur so schönen und fruchtbaren Gaue des deutschen Südwestens ausbreitete. Belastende Abgaben an Fürst und Hochadel, die ein Leben nach dem Muster von Versailles mit allem Luxus führen wollten, taten das Übrige. Die Misere erreichte den Höhepunkt, als Werber des Wiener Hofes ins Land kamen, um Bauern für die neuerworbenen Gebiete aus der Teilung Polens anzuwerben. Sie versprachen Glaubensfreiheit, Befreiung vom Kriegsdienst für zehn Jahre, aber vor allem Land für freie Bauern. Darin sahen viele Kleinbauern die Rettung aus der bestehenden Notlage.

Man drängte zu den Agenturen, um sich als Siedler für die genannte „Josefinische Siedlung" registrieren zu lassen. Ein Sammellager für die Angeworbenen wurde in der Nähe von Wien errichtet und von dort ging es weiter nach Galizien, dem Ziel der Siedlung.

So wurde man österreichischer Staatsbürger und Bauer im Kronland Galizien. Diese neuen Siedlungen, auch Kolonien genannt, brachten durch Fleiß und Tüchtigkeit ihrer Bewohner das Land zu beachtlicher Blüte. Den Hof erbte gewöhnlich der älteste Sohn, während die nachfolgenden Kinder zum Studium gingen, oder vielfach in den benachbarten ukrainischen Dörfern landwirtschaftliche oder handwerkliche Betriebe aufbauten.

In den volksfremden Orten hatten die dort vereinzelt lebenden Nachkommen der Erstsiedler oft keine Möglichkeiten, ihre Kinder in deutsche Schulen zu schicken. Als dann um 1900 die Preußische Ansiedlung Bauern in Posen ansetzte, waren diese Einzelsiedler oft gern bereit, diesem Rufe zu folgen, der ihnen das Problem der schulischen Unterrichtung ihrer Kinder lösen sollte.

So kamen viele Pfälzer aus Galizien in die Provinz Posen. Darunter waren auch meine Eltern, die 1904 in Königsrode so eine Siedlung übernahmen. Und dort bin ich auch geboren.

 

 

Fahrendes Volk im Posener Land

 

Bärenführer, Scherenschleifer,

Dudelsack und Flötenpfeifer,

Hof- und Straßenmusikanten,

Lumpensammler, Komödianten,

Leiermänner und Zigeuner,

arme Schlucker, alte Streuner,

Harfenjulen, müde Vettern-

die sich Herr der Straße nannten,

lahme Trödler, Akrobaten,

Kesselflicker und Kroaten,

menschenscheue Einzelgänger,

Jahrmarkts-Moritatensänger,

heimatlos vom Blut getrieben,

bis ihr Weg ein Ende fand,

irgendwo deckt sie der Sand.

Auf dem Holzkreuz steht geschrieben:

Name-Herkunft unbekannt-

Heimat unter Heckenrosen

ist das Grab der Heimatlosen.

Bärenführer, Dudelsackpfeifer, Leiermänner, Kesselflicker und andere fahrende Leute gibt es nicht mehr, sie sind ausgestorben. Nicht alle waren verlumpte und verkommene Gesellen, denen niemand gern auf einsamer Straße begegnete. Den einen und den anderen hat eine Jugendeselei von zu Hause fortgetrieben, wohin er nie mehr zurückfand. Anderen lag das unstete Leben im Blut, sie hungerten und froren lieber, als daß sie ihr tägliches Brot in einer festen Arbeitsstelle verdienten. Sie übernachteten lieber in ihrer schäbigen Kleidung in einem Strohschober oder in einer abgelegenen Scheune, als daß sie als seßhafte Bürger einer geregelten Tätigkeit nachgingen.

Alle Stände und Berufe waren unter ihnen vertreten: Ehemalige Offiziere und Beamte aller Dienstgrade, Handwerker und Kaufleute, Arbeiter und Angestellte, sogar ein ehemaliger Geistlicher, der während einer Silvesterandacht in der Trunkenheit von der Kanzel herabgefallen war. Einer, den ich in der Amtsverwaltung kennenlernte, fing sich wieder und wurde ein tüchtiger Gärtner.

Ein anderer Stromer, vormals Bürgermeister in einer kleinen Stadt im Posener Land, hatte sein zwar nicht hochbesoldetes Amt aufgegeben, um sich einer wandernden Schauspielergruppe anzuschließen. Ein weibliches Mitglied der Schmiere hatte sein Herz entzündet. Als aber das leichtfertige Mädchen seine Gunst einem anderen zugewandt hatte und mit diesem auf und davon gegangen war, löste sich auch der betrogene Bürgermeister von der Truppe, um von nun an ruhelos von Land zu Land jahrzehntelang zu wandern. Wegen Bettelei und anderer kleinerer Vergehen ist er nie bestraft worden. Ging sein Geld zu Ende, nahm er jede Arbeitsstelle an, die sich ihm gerade bot. Er konnte schustern und schneidern wie ein gelernter Handwerker, er beherrschte mehrere Sprachen, die er sich auf seinen Wanderungen angeeignet hatte. Mit dem Gruße: „Salve Kollegae" trat er nach jahrelangen Unterbrechungen zu Beginn der kalten Jahreszeit in der Armenverwaltung in Hohensalza in das Büro. „Ich bitte um Zuweisung einer einfachen Kammer, in der ich übernachten kann, und um Zuweisung einer Arbeit. - Was ich brauche, will ich verdienen, Geld also eine Armenunterstützung will ich nicht." Seine bescheidenen Wünsche wurden erfüllt. Einen Notgroschen in einem ledernen Beutel auf der Brust, in einer abgegriffenen Mappe lagen seine Papiere, ein Rasiermesser, Nadel und Zwirn und andere kleine Dinge. Gelegenheiten, eine feste Anstellung zu erhalten, hatten sich ihm oft geboten, so auch eine Stelle als Lehrer in einem einsamen deutschen Dorf in der Bukowina, wo der alte Lehrer gestorben war. Ersatz hatte die Gemeinde nicht erhalten, „Vagante", wie er sich selber nannte, war den Leuten, bei denen er um Arbeit nachsuchte, gerade recht gekommen. Nach einer Prüfung durch den in der fernen Kreisstadt wohnenden evangelischen Geistlichen wurde ihm das Amt des Lehrers anvertraut. Er muß ein guter Lehrer gewesen sein, das bewies das Zeugnis, das er dem Sekretär in der Armenverwaltung vorlegte. Als der Frühling vor der Tür stand, ließ er Schule Schule sein und wandert weiter. Keine Bitten der Deutschen des Dorfes und des Pastors vermochte es, ihn zu halten. "Das war falsch von Ihnen," sagte der Stadtsekretär Otto Forst, „es war Ihre Pflicht, bei den Deutschen auszuhalten, bis sie einen neuen Lehrer gefunden hätten." „Ich gebe das zu, „entgegnete der ehemalige Bürgermeister, „aber mich trieb es fort, auch wenn ich mich dagegen wehrte." Aus Hohensalza verschwand er, ohne sich von uns zu verabschieden; er war damals bereits 60 Jahre alt. Die alte Frau, bei der er eine sehr bescheidene Unterkunft gefunden hatte, meldete ihn ab. Ich habe ihn nie wieder gesehen.

Lumpensammler gab es noch, nur daß sich diese Leute nicht mehr Lumpensammler nannten, sie kaufen heute all die Dinge ein, die im Haushalt nicht mehr zu gebrauchen, aber doch noch in irgend einer Form zu verwerten sind. Alte Kleidungsstücke, Eisen und andere Metalle, alte Zeitungen und dergleichen.

Sie sind Händler geworden, die mit einem Lieferwagen ins Dorf kommen, sie haben in der Stadt ein Lager, vielleicht sogar einen Fernsprechanschluß und einen kleinen Laden. Aber sie geben für die Dinge, die sie erwerben, ganz wie es vor 50, 60 und noch mehr Jahren der Fall war, Tonwaren, Schüsseln, Gläser aus gepreßtem Glase.

Ein richtiger Lumpensammler kam vor 70 und mehr Jahren dann und wann nach Wirsitz, wo mein Vater als Beamter tätig war, mit einem Handwagen, vor den ein Hund gespannt war. Der Mann war im deutsch-französischem Krieg verwundet worden, sein linker Arm war steif und seine Hand verkrüppelt. Für das, was er erwarb, gab er einige Pfennige. Lechzte sein Hund nach Wasser, holte er es aus einem Hof- oder Straßenbrunnen in einer Blechschüssel. War es kalt, legte er für seinen Hund einen alten Sack auf die Straße. Zog er weiter, ergriff er die Wagendeichsel, um den Hund zu schonen. Gab ihm eine gute Frau ein Stück Brot, teilte er es mit seinem vierbeinigen Gefährten.

Aber es gab damals auch schon Händler, die mit einem Planwagen durch das Land fuhren. Der Mann ging nebenher, die Frau saß auf einem Brett, das den Kutscherbock ersetzte. Mit einer Handglocke kündete er sein Erscheinen an und rief : „Lumpen, Eisen, Felle, Knochen, Papier, der Lumpensammler ist hier!" In seinem Wagen führte er die verschiedensten Dinge mit: Garn und Wolle, bunte und einfarbige Bänder, Nadeln aller Art und Größe, Mundharmonikas und Blechflöten, auch Gläser, Tonvasen, Teller und Tassen und so fort. Von den Blechflöten gab es zwei Sorten; die eine bestand aus blankem Blech - sie kostete zehn Pfennige - die andere Sorte hatte einen bronzierten Überzug und war für fünfzehn Pfennige zu haben. Meine Mutter erwarb für mich eine einfache Blechflöte, ich hätte gern eine zu fünfzehn Pfennige gehabt. Mit dem Musiküben begann ich sofort. Aus der Küche, in der Mutter wirtschaftete, trieb sie mich hinaus, meine Übungen gingen ihr auf die Nerven. Also setzte ich mich auf die Holztreppe, die von der Küche zum Hof hinabführte. Ich übte das Lied „Alles neu macht der Mai". Als ich es meiner Meinung nach vortragen konnte, kehrte ich in die Küche zurück und pfiff es, immer wieder falsche Flötentöne öffnend, meiner Mutter vor.

„Was habe ich gespielt?" fragte ich. „Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben," sagte Mutter. „Ach wo, hör doch einmal genau zu." Wieder schrillten die Töne meiner Flöte durch die Küche. „Nun sag mal richtig, was ich gespielt habe", forderte ich Mutter auf. „Heil die im Siegerkranz", lachte die Mutter.

Verärgert kehrte ich zur Küchentreppe zurück und übte weiter. Bei einem Soldatenspiel wurde meine Flöte von einem feindlichen Krieger in der Hitze des Kampfes zertreten. Einen Ersatz für das kostbare Stück erhielt ich nicht.

Jüdische Händler, „Pündeljuden" genannt, von denen einer Aron Henoch hieß, kauften Hasen und Ziegenfelle ein oder gaben kleine Messer aus Blech und andere Dinge dafür in Tausch. Das Messerchen hatte eine dreieckige Form und steckte in einem bunten Holzgriff. Es bog sich nach hinten um, wenn man damit Holz schneiden wollte, es hatte die Bezeichnung Kniff oder Kneif. Wir Kinder nannten es auch Zydek. Wahrscheinlich hatten wir das Wort, das „Jüdchen" bedeutete, von polnischen Kindern übernommen. Das Leben dieser Händler war voller Entbehrungen, sie wurden oft verspottet und nahmen alle Demütigungen still hin. Ihre Mahlzeiten bereiteten sie sich selbst zu. Sie hungerten und litten, ohne zu murren, sie waren tiefgläubige Menschen, die nach den uralten Vorschriften ihrer Religion lebten. Dann und wann suchte ein kroatischer Töpfer- und Kesselflicker die kleine Stadt an der Lobsonka auf. Beschädigte Tonkrüge heilte er mit Brot, das er im Munde befeuchtete und über die Ränder der Scherben klebte. Der Rest des Brotes war seine Mahlzeit.

Slowaken kamen mit einem Bären, den sie an einer Kette führten, die an der Nase des Bären befestigt war. Der Bär tanzte nach der Musik, die ihm auf einem Dudelsack vorgespielt wurde, dazu brummte er. Die Entlohnung waren Pfennige, mitleidige Frauen gaben dem Bärenführer auch noch ein Stück Brot, das er mit seinem Bären teilte. Der Pfennig war damals nicht zu verachten. Ein Schächtelchen Streichhölzer kostete einen Pfennig. Um 1900 kostete eine Postkarte für den Ortsverkehr zwei Pfennige. Das Briefchen Nadeln war für fünf bis sechs Pfennige zu haben. Das Pfund Markenbutter kostete sechzig, auch fünfundsechzig Pfennige. Bevor die Hausfrau sie erwarb, kostete sie die Butter, indem sie mit einem 20-Pfennigstück ein wenig von ihr abschabte.

Ein Zentner Kartoffeln, „Dabersche" wurde eine sehr gesuchte Sorte genannt, verkaufte der Bauer für 1,25 Mark. Ein polnisches Huhn, das mit zusammengebundenen Füßen im Weidenkorb lag, kostete fünfzig bis sechzig Pfennige, Rindfleisch kostete das Pfund 1890 etwa vierzig Pfennige, Kalbfleisch war noch billiger zu haben, das kleine polnische Hühnerei kostete zwei Pfennige, das deutsche Ei drei bis vier Pfennige. Für einen Zentner oberschlesische Steinkohle wurden neunzig bis zweiundneunzig Pfennige gezahlt.

Zigeuner, die mit Vorliebe kleinere Städte und Dörfer aufsuchten, waren keine seltene Erscheinung. Hielten sie auf einer Wiese vor der Ortschaft an und zeigten sich Zigeunerinnen auf der Straße, riefen die Mütter ihre Kinder nach Hause. Wohl jede Zigeunerin war eine Wahrsagerin, die aus den Handlinien voraussagen konnte. Es waren gewöhnlich zwei Weiber, die ein Bauerngehöft oder eine Stadtwohnung aufsuchten. Während die eine „wahrsagte", suchte die andere häufig in Hof, Keller und Küche nach Geld, Schmuck und dergleichen. Ein Huhn war dann sehr oft vom Hofe mitgegangen.

Akrobaten zeigten ihre Künste auf der Straße, auf die sie einen zerschlissenen Teppich legten. Sie konnten ihre Glieder unglaublich verrenken, sie bogen den Körper so weit zurück, daß sie den Teppich berührten und ein darauf liegendes Tüchlein mit dem Mund aufnahmen.

Die Leiermänner sind leider auch von den Straßen und Höfen verschwunden. Mit einem Choral begann der Musikvortrag, es folgte ein lustiges Stück, ein damaliger „Schlager", den die Mädchen in der Küche mitsangen. Die Fenster wurden geöffnet, die Kinder standen um den Leiermann, der zu den Fenstern emporschaute, von denen aus ihm kleine, in Papier gewickelte Münzen zugeworfen wurden.

Vor 80 Jahren und auch später noch durften die Drehorgelspieler auch an Sonn- und Feiertagen, aber nicht während der Zeit der Gottesdienste, ihre Musikstücke vortragen. Als ich an einem Sonntagnachmittag geboren wurde, spielte ein Leiermann das Lied „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren" auf dem Hof hinter dem kleinen Haus, in dem meine Eltern damals wohnten. Straßenmusikanten waren eine seltene Erscheinung in einer kleinen Stadt. Eine Kapelle bestand zumeist aus zwei oder drei Mann, Einzelgänger waren noch seltener. Eines Musikers sei gedacht, der mit seinen zwei Söhnen durchs Land zog, er hieß Arndt. Seine kleine Kapelle war nach allgemeiner Ansicht gut.

Arndt war ein ehemaliger Militärmusiker, er und seine beiden Söhne trugen eine graue Uniform und eine Schirmmütze. Die drei Musikanten warteten nicht, bis ihnen jemand einige Pfennige zusteckte, sie gingen von Haus zu Haus, um den ihnen zustehenden Lohn einzusammeln. Nie wurde einer von ihnen angetrunken gesehen. Noch nach 1900 waren sie in den Kleinstädten des Posener Landes und Westpreußen anzutreffen. Gedacht sei auch eines Mannes, der im Armenhaus in Hohensalza vergessen und verlassen starb. Der Mann hieß Wilhelm Teufel und war früher Kapellmeister der Kurkapelle, die zweimal in der Woche während der Saison im Musikpavillon des Solbades mit etwa einem Dutzend - meist ehemaligen Militärmusikern, Konzerte gab. Kapellmeister Teufel war ein Künstler, der jedes Instrument, von der Flöte angefangen bis zur Baßtrompete beherrschte. Der „schwarzhaarige Mann", der auch schwarze Augen hatte und dessen Gesicht ein gepflegter schwarzer Bart umrahmte, war ebenfalls Militärmusiker gewesen. Jahrmärkte und Schützenfeste in einer kleinen Stadt waren Ereignisse, die nicht nur die Bürger, sondern auch die Landbevölkerung in Aufregung setzten. Am Tage vor ihrem Beginn wurden die Verkaufsbuden aufgebaut. Schuhmacher, Kleiderhändler, Leinwand-, Hemden- und Blumenhändler, Bonbongießer, Topf- und Geschirrhändler, polnische Händler mit Heiligenbildern und Gipstafeln, auf denen die Ermordung des Bischofs Adalbert von Prag durch die alten Preußen dargestellt war, zogen aus allen Himmelsrichtungen herbei, um zu verkaufen und um alte Freunde anzutreffen. Sie brachten auch Glanzbilder mit, die die entsetzlichen Qualen der in der Hölle schmorenden und kochenden Sünder zeigten. Sie führten Gebetbücher mit und reich mit Gold verzierte Heiligenbilder für diese Bücher, ferner Rosenkränze, auch Papierblumen und versteckt sogar weiß-rote Rosetten.

Bunte Luftballons wurden vom Winde hin und her bewegt. Thorner Pfefferkuchen und andere Leckerbissen wurden angeboten. Ach, es war ganz prächtig. Es wurde gehandelt und gefeilscht, aus den Kneipen scholl der Lärm der Händler und Käufer auf Markt und Straßen. Für Schieß-, Würfel- und sonstige Buden war immer Platz vorhanden. Das war ein Gedudel und Gekreisch der Drehorgeln, daß es eine Lust war, auf dem Marktplatz sich herumtreiben. In einer Schießbude konnten Zigarren gewonnen werden, man konnte sie auch kaufen, drei Stück für zehn Pfennige und dabei verdiente der Verkäufer noch gut, denn im Laden des Kaufmanns Pelz am Markt war eine Zigarre schon für 2,5 Pfennige zu haben. Diese prächtige Zigarre führte den Namen „Besenzigarre", die sich beim Brande auseinanderspreizte wie ein alter Birkenbesen.

An diesen ereignisreichen Tagen war auch eine Harfenjule in der Stadt zu sehen. Sie klimperte auf ihrer schweren Harfe, die sie durch die Straßen schleppte, und sang mit brüchiger Stimme dazu. Sie war eine Säuferin und wurde, neben ihrer Harfe liegend, irgendwo am Straßenrande tot aufgefunden. Ihr Konkurrent an den Markttagen war der Moritatensänger, der schreckliche Bilder zeigte und erklärte. Seine Frau saß auf einem dreibeinigen Hocker, spielte auf einer Ziehharmonika und sang dazu. Die Bilder flößten uns Angst ein, denn sie zeigten meist Mörder und ihre Opfer. Hatte der Moritatensänger seinen Vortrag beendet, zog er von Zuschauer zu Zuschauer, um Blätter zu verkaufen, auf denen die Geschichte der Moritat zu lesen war. Ein Lied begann:

 

„Drum Soldaten und Studenten rief er mang das Publikum,

tut das eine nur bedenken, bringt ja keine Leute um.

Dieses war sein letztes Wort; schwapp, trug man den Leichnam fort."

Zahllose andere Moritatenlieder waren nicht besser als dieses.

An den Jahrmarktstagen hatte der Polizeiwachtmeister viel zu tun, unterstützt wurde er vom Nachtwächter, dessen eigentlicher Beruf der eines Schneiders war. An diesen Tagen trug er ein Blechschild auf der Brust. Händler und Gastwirte konnten mit ihren Einnahmen zufrieden sein; die polnischen Kleinbauern und Gutsarbeiter torkelten in ihre Dörfer oder zu den Gütern zurück und sangen traurige Lieder. Ihre Frauen trugen den wertvollen Einkauf auf dem Rücken in einem Sack.

Ein Zirkus, der an einem Mitsommertag nach Wirsitz kam, war zwar ebenfalls ein nicht zu unterschätzendes Ereignis, doch reicht seine Bedeutung an die eines Jahrmarktes nicht heran.

Auf einem Pferde kam ein Mann in die Stadt geritten, der sehr vornehm angezogen war. Er hatte einen schwarzen Anzug an und trug auf dem Kopf einen Zylinder. Mit einem Zylinder ging auch mein Vater an den Sonn- und Feiertagen zur Kirche. Neben dem vornehmen Mann saß auf einem Kamel ein junges Mädchen, das ein mit silbernem und goldenem Flitterzeug besetztes Kleid trug. Dann und wann hielt der Herr sein Pferd an, blies auf einer Trompete und hielt seine Ansprache, die besagte, daß am folgenden Tage der Zirkus hier eine Vorstellung geben werde. Wir Kinder, „Straßenkinder" wären wir in einer größeren Stadt genannt worden, rannten nebenher und staunten das Kamel an. Zu Hause erzählte ich, was ich gesehen und gehört hatte. Vater entschied: „Wir sehen uns den Zirkus an". Das war sehr schön. Die ganze Jugend von Wirsitz, deutsche, polnische und jüdische Kinder, war am folgenden Tag auf dem Markt versammelt, um den Aufbau des Zirkus zu betrachten.

Es gab nicht viel zu sehen. Hinter dem Wohnwagen kam noch ein Gerätewagen, auf dem alles lag, was zum Aufbau erforderlich war. Wir Jungen waren selbstverständlich sofort bereit, hier mitzuhelfen, aber wir wurden nicht gebraucht. Das bloße Zusehen wurde langweilig und ich ging nach Hause, wo ich mich mit zwei prall gefüllten Säckchen, die „Cue" genannt wurden, beschäftigte. Diese Säckchen wurden von den Damen hinten aufgeschnallt, so daß das Kleid hoch zu stehen kam. Ich mußte wissen, was in diesem Säckchen war, nahm eine Schere und bohrte unten ein kleines Loch hinein. Es war Sägemehl, was beide Säckchen enthielten. Dann legte ich die beiden Dinger wieder dort hin, woher ich sie genommen hatte.

Mutter machte sich fertig, um Einkaufen zu gehen, ich ging sehr gerne mit. Ahnungslos band sie sich die beiden Säckchen um den Leib, das Kleid kam darüber, und wir zogen los. Als wir ein Endchen gegangen waren, griff Mutter nach dem Kleide, um es höher zu ziehen. Das half nicht lange, hinten wurde es immer länger. Mutter blieb stehen und sah sich um. Auf dem Wege, den wir bisher zurückgelegt hatten war ein feiner Streifen Sägemehl zu sehen. Wir gingen nach Hause zurück, Mutter war sehr ärgerlich, zog sich um und ging allein in die Stadt.

Abends erzählte sie meinem Vater, was ich angerichtet hatte. Vater lachte, ich war der falschen Meinung, mitlachen zu müssen. Die Quittung war eine treffsicher angebrachte Backpfeife. Die angedrohte Strafe, nicht mit zum Zirkus gehen zu dürfen, wurde auf Bitten meiner Mutter nicht vollzogen. Vater hatte Sperrsitze genommen, so bezeichnete er die Sitze ganz vorne. Neben uns saß der Brauereibesitzer Kunz mit Frau und Tochter Else, die fast so alt war wie ich. Auch der Kaufmann Pilz war erschienen.

Die Vorstellung begann. Auf das, was alles geboten wurde, kann ich mich nicht mehr besinnen. Herr Pilz steckte Else dann und wann einen Bonbon zu. Wenn die Leute mit den Händen klatschten, dann taten wir das auch, ich so sehr, daß meine Handflächen brannten. Die Glanznummer der Vorstellung war das Auftreten des jungen Mädchens, das auf einer Holzkugel stehend, in die Mitte des Zirkus rollte. Mit großer Schnelligkeit bewegte es die Füße und lenkte die Kugel bald nach dieser, bald nach jener Seite. Plötzlich sprang es in die Höhe, überschlug sich in der Luft und stand dann wieder sicher auf der Kugel. Jetzt brach ein großer Beifallsturm los. Herr Pilz warf die Tüte mit den Bonbons dem Mädchen zu. Vater und Herr Kunz und andere Leute warfen ihm Geldstücke zu, die es in der Luft auffing.

Die junge Künstlerin machte Knickse nach allen Seiten, der Herr Direktor und seine Frau machten Verbeugungen und dann war die Vorstellung zu Ende. Auf dem Nachhauseweg erzählte Herr Kunze meinem Vater, daß er dem Zirkusmann zwei Bündel Heu und zwei Bündel Stroh versprochen habe.

Ich habe seitdem manche Zirkusvorstellung gesehen, die viel großartiger war als die in der kleinen Stadt an der Lobsenka, aber das, was das kleine Mädchen vor vielen Jahrzehnten mit ihren Vorführungen zeigte, habe ich nicht mehr erlebt. Drum ist es mir auch so in Erinnerung geblieben.

Die fahrenden Leute der damaligen Zeit sind schon längst gestorben, irgendwo liegen sie vergessen in der Erde. Beruflich hatte ich in Hohensalza und Kulmsee mit ihren Nachfolgern viel zu tun. Was sie bei ihren Vernehmungen erzählten, war vielfach erdacht und erlogen. Ich hörte nur die Aussagen an und schrieb nur das nieder, was ich für glaubwürdig hielt. Es kam auch vor, daß ein unbekannter Mann tot aufgefunden wurde. So auch eine Gräfin, deren ehemaliger Mann eine sehr hohe Beamtenstelle im Ausland bekleidete. Sie war mir bekannt, sie hatte in Begleitung eines Mannes, der bei der Vernehmung angab, Schriftsteller zu sein, einmal die Hilfe der Armenverwaltung in Anspruch genommen. Sie und ihr Begleiter waren großspurig aufgetreten, was aber nicht den geringsten Eindruck auf mich machte.

In einem schwarzen Spitzenkleide lag sie tot am Straßenrande, die Augen waren weit geöffnet. In den Händen hielt sie ein abgegriffenes Lichtbild, das zwei schöne Kinder zeigte. Es waren wohl ihre Kinder, die nicht wußten,. wo ihre Mutter geblieben war. Das Bild wurde ihr ins Grab mitgegeben.

 

 

Als es noch Wölfe in Polen gab

 

s war im Jahre 1675. Der Teil von Großpolen, in dem die Gemeinde seit etwa 1660 erstanden war, hatte unter der Regierung Michael Korybut weniger gelitten als das übrige Polen. Bis in die Grünfließniederungen waren die Türken nicht gekommen und auch zu dem Tribut, der alljährlich an die Kasse des Diwans in Konstantinopel abgeführt werden mußte, brauchten die Deutschen nicht beizutragen. Man achtete noch die Steuerfreiheit, die den Eingewanderten von König Johann II gewährleistet worden war. Aber mit Polen war es überhaupt besser geworden. Johann Sobieski war ein energischer König. Er war der Schrecken der Türken. Alle Provinzen, die sie unter Michael Korybuts Regierung erobert hatten, hatte er ihnen wieder abgenommen. Da zahlte man natürlich auch den Tribut nicht weiter.

Soweit wäre es den deutschen Einwanderern nicht schlecht gegangen. Ihr anhaltender Fleiß, ihre sparsamen Gewohnheiten hatten sie auch schon weitergebracht. Das Land war urbar gemacht, die Blockhäuser waren warm, das Vieh hatte sich gemehrt, und von dem Hunger, der die Fließbewohner einst von Pommern nach Polen getrieben, spürte man auch nichts mehr. Diese blühende Kolonie war Waldrode, von den Polen Wodzek genannt. Da war aber auch ein Mann, der sich sehen lassen konnte. Er hieß David Freter. Das war so ein kleiner König seiner Kolonie. Im deutschen Bauern steckt zweierlei, das nur recht entwickelt werden muß, wenn es Segen bringen soll: „Zähigkeit und Sparsamkeit." Freilich bisweilen wird auch Eigensinn und Geiz daraus. David Freter aber war zähe, ohne eigensinnig zu sein. Was er sich vorgenommen hatte, das führte er auch aus. Als er 1660 nach Waldrode kam, oder genauer gesagt in den Wald gekommen war, war er noch ein junger Bursche von zwanzig Jahren gewesen. Seine Eltern waren schier verzagt, als sie den großen Wald sahen, den sie roden, und den Sand, den sie urbar machen sollten. Der Vater hatte gemeint, auf dem Hungerboden wachse nie etwas, das einzig Gute sei nur, daß man im Winter wegen des Holzes nicht zu frieren brauche. Mutter Fretern jammerte aber darüber, daß sie einmal sterben solle, wo Wölfe heulten und man keinen Menschen zu Gesicht bekäme. David aber hatte gelacht und gesagt: „Vater, wo die Erde so lange geruht hat, wird sie schon Frucht bringen. Ich bin morgens auch am fleißigsten, wenn ich die Nacht gut ausgeschlafen habe." Zur Mutter aber sprach er: „Die Wölfe sollen uns schon nichts tun. Dagegen gibt es Holz, Axt und Flinte, und wenn die Nachbarn, die mit uns aus Pommern gekommen sind, auch weit weg wohnen, im Notfall können sie uns doch helfen und wir ihnen auch." Aber David sprach nicht nur, er arbeitete auch. Hei, wie die Späne flogen, wenn er einen Baumstamm zum Balken zurecht hieb, und wie tief pflügte er in die Erde hinein!

Dabei war David ein schmucker Bursche, groß gewachsen, mit blonden Haaren und freundlichen blauen Augen. Was Wunder, wenn er bald eine Frau bekam, Bölers Jette, deren Eltern Freters nächste Nachbarn waren, hatte nichts dawider, David Freter zum Mann zu haben. Da waren dann die beiden - und auch die Eltern - nach Thorn gewandert, und in der Marienkirche, die damals noch evangelisch war, hatte der Pfarrer Pfefferkorn die beiden zusammengegeben.

Nun hatten die alten Freters aber gemeint, jetzt könnten sie ausruhen, da der David eine Wirtin habe, und waren in das kleine Stübchen neben der großen Wohnstube gezogen. Das waren die ersten Altsitzer in Waldrode. David wirtschaftete jetzt erst recht gut. Es war eine Freude zu sehen, wie bei ihm alles gedieh. Alle Jahre schenkte ihm seine Frau ein Kind, aber alle Jahre schaffte er seinem Gute auch einen neuer Acker hinzu. Sein Vieh gedieh, und selbst ein Pferd, damals ein großer Reichtum, konnte angeschafft werden. Natürlich konnte David Freter auch in der Gemeinde ein großes Wort mitsprechen. Die Nachbarn waren zum Teil nicht so glücklich gewesen. Keiner hatte schon so viel Waldboden urbar gemacht, keiner hatte so viel Vieh wie David. Darum hatten sie auch großen Respekt vor ihm. Und als er dreißig Jahre alt geworden war, traten alle Nachbarn von Waldrode zusammen und wählten ihn zum Vorsteher der Gemeinde. Da hatten sie nun einen Schulzen und ein Schulzenhaus. Denn hier war der Sammelplatz aller Nachbarn, hier wurde über viele Dinge klug gesprochen und die Gemeinde Waldrode fühlte sich erst so recht zusammengehörig, als sie ein Schulzenhaus hatten.

Aber auch in anderer Beziehung war es ein Segen. Bisher hatte man in einzelnen Häusern wohl eine Predigt gelesen, auch ein Lied gesungen, aber es war doch keine rechte Gemeinschaft. Denn nach Thorn zu wandern zu einem evangelischen Gottesdienst war sehr beschwerlich. Höchstens einmal im Monat war es möglich und im Winter auch dann nicht einmal. Da machte David Freter den Nachbarn den Vorschlag, man solle sonntäglich in seinem Hause, dem Schulzenhause, zusammenkommen, um sich gemeinsam zu erbauen. Das war den Nachbarn recht und vor allem den Frauen.

Aber wer sollte die Predigt vorlesen und wer sollte vorsingen? Dazu waren alle zu bescheiden. Zu Hause ginge das schon, meinten sie, aber so vor allen Nachbarn - dazu seien sie nicht gelehrt genug.

Da trat Davids Vater auf und sprach: „Nachbarn, mit Vergunst! Ich kann mit den Händen nicht mehr viel arbeiten, aber mit dem Mundwerk geht es noch. Ich habe mein Predigtbuch so oft gelesen, daß ich’s fast auswendig kann. Singen aber kann der Heinrich Hammermeister. Ich hab ihn einmal im Wald singen hören, daß ich meinte, der Wolf heulte. Der wird schon was vorsingen können."

Damit waren die Nachbarn sehr zufrieden, und man beschloß, schon am nächsten Sonntag gemeinsam Gottesdienst zu halten. Es war aber auch recht notwendig, daß man sich aus Gottes Wort stärkte. Damals waren die Jesuiten in Polen, und denen war es ein Dorn im Auge, daß es noch evangelische Gemeinden gab.

Nicht weit weg von Waldrode liegt das Städtchen Gniewkowo. An der dortigen Kirche war ein Geistlicher (Pleban) angestellt, der von den Jesuitervätern im Markowitzer Kloster gänzlich beeinflußt wurde. Nicht weit von Gniewkowo war das Gut Kaczkowo, dem großen Woiwoden Demski gehörig.

Dieser Edelmann hatte nicht nur die Verwaltung, sondern eigentlich die unumschränkte Herrschaft über die große Woiwodschaft. Denn Warschau war weit, und wann fragte wohl auch ein reicher polnischer Edelmann viel nach dem König in Warschau. Der Woiwode war ein grimmiger Mann. Menschen galten ihm weniger als seine Hunde, deren er eine große Zahl verschiedener Arten hatte. Wenn er zur Saujagd oder zur Wolfshetze mit seiner Meute im Walddorfer Forst erschien, riefen die Mütter die Kinder ins Haus und die Väter schoben hölzerne Riegel vor die Tür. Wehe aber dem deutschen Bauern, der dem Woiwoden begegnete und sich nicht eilig auf die Knie warf, um dem gnädigen Herrn die Steigbügel zu küssen! Er ritt ihn ohne Gnade nieder und ließ ihn auch noch bei Wasser und Brot in den Keller zu Kaczkowo einsperren.

Hinter diesem Edelmann hatte sich der Gniewkower Pleban gesteckt und ihm versichert, er käme nimmer ins Fegefeuer, sondern direkt in den Himmel, wenn er dafür sorge, daß die ketzerischen Deutschen in seiner Woiwodschaft in den Schoß der alleinseeligmachenden Kirche zurückkehrten.

Da hatte der Woiwode in seinen Bart gelacht und gesagt: „Pleban, das ist meine Sorge. Gutwillig oder widerwillig soll und muß das verfluchte deutsche Hundeblut selig werden." Nun hatte der Pleban gehört, daß man sogar ketzerischen Gottesdienst in Waldrode halte. Flugs zeigte er dieses dem gestrengen Herrn an, und dieser fluchte und schwor, daß er die Ketzerei mit Stumpf und Stiel ausrotten wolle.

Die Deutschen wußten nichts von dieser aufsteigenden Gewitterwolke und freuten sich des Gotteswortes, das ihnen der alte Freter sonntäglich vorlas. Aber plötzlich schlug es ein. Es war im Sommer 1676, als die kleine Gemeinde eines Sonntags im Schulzenhof zusammen war. Das Evangelium handelte von der Speisung der Viertausend. Der alte Freter las eine recht erweckliche Predigt vor, und alle hörten andächtig zu. Am Fenster stand ein erhöhter Stuhl für den Alten, neben demselben ein niederer für Hammermeister mit der Wolfsstimme. Die Nachbarn mit Frauen und Kindern saßen auf rohgezimmerten Bänken. Es war ein lieblicher Anblick bei aller Beschränktheit. Vater Freter mit seinen weißen Haaren, im dunklen langen Rock, sah gar geistlich aus, und der Vorsänger Hammermeister, ein untersetzter, kräftiger Mann hatte sich schier kirschrot gesungen. Die anderen aber saßen oder standen gar andächtig in der Stube.

Da donnert es auf einmal an das Fenster. Die beiden Alten drehten sich um. Vor dem Haus hält der gestrenge Wojewode mit allen seinen Hunden. Zorn lag auf seinem Angesicht. „Aufgemacht, ihr Hundeblut", schrie er. Da stürzten einige zur Haustür, um sie zu öffnen. „Kommt alle heraus" rief der Woiwode. Sie gehorchten. „Was treibt ihr für Teufelszeug?" fragte er. „Wir singen und beten." „Teufelszeug treibt ihr", rief der Woiwode und schlug dem alten Freter mit der Reitpeitsche über das Haupt. „Ich werde es euch vertreiben, Hussa, hetz, hetz!" trieb er seine Hunde an, und diese flogen in die Reihe der Fliehenden. Da wurde mancher Rock zerrissen, manche Frau niedergerissen, aber ein großes Unglück kam nicht vor. Die Hunde waren weichherziger als ihr Herr. Mit den Worten „Ihr kommt alle ins Loch, wenn ihr wieder zurückkommt", ritt der wütende Woiwode davon. Da war viel Trauer bei den Freters und in allen Häusern Waldrodes. Bei Tage wagte man an den Sonntagen nicht mehr zusammen zu kommen, aber abends kamen sie doch alle in das Fretersche Haus. Man wollte Gott mehr gehorchen, als den Menschen.

Wie rühmte sich doch der Woiwode vor dem Pleban seiner Großtat, Der lobte ihn sehr, gab ihm mancherlei Ablaß und versprach ihm, daß er ohne viel Fragen in das Himmelreich kommen würde. Dafür würde St. Josef sorgen, der ihm eigenhändig, um seiner Verdienste willen einen Himmelsstuhl zimmern werde, noch größer und schöner als sein Lehnstuhl in Kaczkowo sei. Des freute sich der Woiwode von ganzem Herzen und schenkte an St. Josef eine große Wachskerze in die Gniewkower Kirche als ein besondere Extragabe.

Im Winter 1676 war viel Schnee gefallen. Halt, dachte der Woiwode eines Tages, heute kann ich im Walde das Wildschwein spüren und einen fetten Braten nach Hause bringen. Er pfiff seinen beiden Saupackern und ritt allein in den Waldroder Wald.

Nun gab es damals aber nicht bloß Wildschweine, sondern auch viele Wölfe, und diese waren böse Gesellen, namentlich, wenn sie hungrig waren. Das sollte der Woiwode erfahren. Er hatte den Vormittag gejagt, auch ein starkes Schwein geschossen. Das sollte ihm ein Waldroder Bauer nach Koczkowo schleifen. So ritt er dem Freterschen Hause zu. Nun mußte er aber durch einen engen Hohlweg reiten, die „Hölle" nennen ihn noch heute die Fließbewohner. Es war gar ein schmaler Pfad, auf dem man nicht umdrehen konnte. Als der Woiwode ein paar Schritte geritten war, sieht er die feurigen Augen eines Wolfes vor sich. Die Hunde wimmern und kriechen zurück. Da rief der Woiwode seinen Schutzheiligen an und drückt sein Gewehr ab. Aber der Schuß verwundet den Wolf nur und tötet ihn nicht. Wütend stürzt er auf das Pferd los. Da fällt von oben herab ein Schuß. Der Wolf stürzt zusammen, und der Woiwode kann über ihn hinwegreiten.

Wer hatte ihn vom Tode gerettet? Ein Gefühl großer Dankbarkeit kommt ihm ins Herz. Fast wollte der Woiwode erschrecken, denn er erkennt in seinem Retter den jungen Freter. Ei, dachte er. Der Mensch konnte mich vom Wolf zerreißen lassen oder von oben herab mich totschießen. Ich hätte es wahrscheinlich mit meinem Feind gemacht. Der Deutsche hat es nicht getan. Da müssen die Deutschen wohl besser sein und ihr Glaube heiliger, als mir der Pleban sagte.

Darum grüßte der Woiwode den deutschen Mann recht freundlich, ja, er läßt sich sogar herab, ihm zu danken: „Du hast mir das Leben gerettet"; sagte er, „bitte dir eine Gnade aus."

Da weiß Freter gleich das rechte Wort. „Ew. Gnaden wollen erlauben, daß wir Sonntags zusammen beten können."

„Zugestanden!" sagte der Woiwode, „mag der Pleban auch brummen! Er hat nicht den Wolf geschossen, sondern du"!

Aber es geschah noch mehr. Der gestrenge Herr ritt neben Freter her, dessen Hause zu. Er hatte gnädigst versprochen, einen Imbiß anzunehmen.

Nun saß er in der Bauernstube und unterhielt sich mit Vater Freter. Der konnte viel erzählen von Schweden und Brandenburgern, vom Krieg und Hungersnot. Das hörte sich aber in der Stube neben dem warmen Kaminfeuer gar schön an.

Der Woiwode ist öfter nach Waldrode gekommen und hat sich den jungen Freter immer zur Jagd mitgenommen. „Du hast ein scharfes Auge", sagte er, „und zwei Flinten schießen mehr als eine. Wenn du bei mir bist, können auch die Wölfe im Hohlweg liegen".

So stellte sich ein freundlicher Verkehr mit dem Woiwoden und dem Freter heraus, und der Pleban mochte sagen, was er wollte, ihren Gottesdienst durften die Deutschen halten.

Das hatte der liebe Gott durch den Schulzen Freter bewirkt.

 

 

 

II. Posener Geschichte

 

Die deutsche Besiedlung von Posen-Westpreußen

nders als die Nachbargebiete Schlesien, die Mark und Pommern, die sich seit der mittelalterlichen Besiedlung fortschreitend zu rein deutschen Provinzen entwickelten, konnten die Lande Posen-Westpreußen viele Jahrhunderte hindurch volkstumsmäßig zu keiner Einheit gelangen. Es blieb hier bei einem Nebeneinander, zeitweise auch Miteinander, ja, mitunter auch Gegeneinander zweier Völker, dem deutschen und dem polnischen. Bei der Betrachtung einer Nationalitätenkarte aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg wird es deutlich, wie Deutschtum und Polentum hier in ganz besonderer Weise miteinander verzahnt sind. Überwiegend deutsch besiedelte Gebiete wechseln mit überwiegend polnischen wiederholt ab, in anderen Kreisen halten sie sich die Waage.

Dieses enge Nebeneinander zweier Volkstümer im gleichem Raum warf immer wieder aufs neue zu Zeiten des Nationalkampfes die Frage der Zugehörigkeit zu diesem oder jenem Volkstum der ganzen Landschaft auf und führte dazu, daß jede Seite ihren eigenen Anteil möglichst herausstellte. Langjährige Erfahrungen und bessere propagandistische Fähigkeiten des polnischen Volkes brachte dies oft in Vorteil. Die deutsche Seite erhob erst viel später und weit zurückhaltender ihre Stimme, dafür aber mit mehr sachlicher und begründeter Argumentation.

Konnte man polnischerseits auch die gebietsweise überwiegende deutsche Besiedlung nicht gänzlich leugnen, so wurde sie doch nur als eine vorübergehende Welle, die der staatlichen Eroberung gefolgt sei, dargestellt, die nach Aufhörung des staatlichen Schutzes auch wieder verebbte.

Es wäre ein müßiges Spiel, über diese Frage zu streiten. Die Geschichte des Deutschtums an der Warthe und der Weichsel zeigt vielmehr, daß auf Zeiten scharfer Auseinandersetzungen wieder solche friedlicher Gemeinsamkeit folgten und gerade diese waren es, die am Fruchtbarsten waren und das Land zu einer hohen Blüte führte. Sie zeigt aber auch, daß die Deutschen weder im Zuge völkischer Expansion, noch nur im Gefolge staatlicher Eroberungen in diese Gebiete kamen, sondern in den weitaus meisten Fällen dem Ruf des polnischen Adels und der Klöster folgten, die sich mit Recht von dieser Einwanderung Vorteile für sich und damit für das ganze Land versprachen. Sie alle aber dürfen dieses Land mit Recht ihre Heimat nennen, haben sie ihm doch stets etwas gegeben: Ihre Arbeit.

 

Die deutsche Besiedlung des Mittelalters

 

chon in der Frühzeit des polnischen Staates war deutscher Einfluß in diesem Lande zu erkennen. Mit dem Christentum kamen deutsche Geistliche, durch Verheiratung des polnischen Hochadels mit Fürstinnen aus deutschen Geschlechtern kamen mit diesen auch zahlreiche deutsche Ritter ins Land, aber bis zum Ende des 12. Jahrhunderts kann man noch nicht von einer deutschen Besiedlung sprechen. Erst später setzte ein Strom von Zuwanderung aus dem Westen in das auf bessere Erschließung in der Wirtschaft wartende Land ein.

Im ganzen Land tritt der deutsche Siedler des Mittelalters in vielerlei Gestalt auf: als Ritter, Klosterbruder, Städter oder Bauer. Sie wirkten in verschiedenen Aufgaben meist zusammen und zogen viele andere nach sich. Im Posener Land fehlte allerdings, abgesehen von einzelnen Fällen, in denen polnische Herzöge den Versuch unternahmen, deutsche Adlige mit Gütern zu belehen, der deutsche Ritter. Dieses absolute Fehlen deutschen Adels mag sich auf den Niedergang des mittelalterlichen Deutschtums im Posener Land nachteilig ausgewirkt haben.

Die ersten Pioniere deutscher Siedlung waren wie auch anderen Ortes deutsche Zisterzienser, die schon im zwölften Jahrhundert zwei Klöster im Land gründeten, und zwar Lekno und Lond. Diesen Erstgründungen folgten im 13. Jahrhundert noch weitere, meist im waldigen und sumpfigen Westen. So entstanden die Klöster Obra, Paradies, Filehne, Crone an der Brahe und viele andere. Ihnen allen wurde vom Landesherrn umfangreicher Grundbesitz verliehen, den die Mönche in diesem Ausmaß unmöglich selbst bewirtschaften konnten. Was lag daher näher, als nach dem Muster der Mitterklöster deutsche Bauern heranzuholen, von deren Arbeit und Fleiß beträchtliche Einnahmen erwartet werden konnten. Es waren durchaus nicht nationale Bestrebungen, daß man dem deutschen Bauern vor dem polnischen den Vorzug gab; es waren lediglich ganz nüchterne wirtschaftliche Überlegungen.

Die Deutschen kannten den eisernen Scharpflug und die Dreifelderwirtschaft, während die polnischen Bauern mit dem hölzernen Hakenpflug und mit dem üblichen willkürlichen Felderwechsel nur recht geringe Erträge erwirtschafteten. Noch ein weiterer Punkt sprach für den deutschen Bauern. Die neuen Dorfgründungen geschahen allgemein zu „Deutschem Recht", welches beiden Seiten große Vorteile bot. Die Unland kultivierenden Bauern waren persönlich frei. Ihre Angelegenheiten verwalteten sie selbst unter ihren Schulzen. Sie zahlten einen Zins in bar oder in Naturalien in einer festgesetzten Höhe für eine Hufe. Diese „Hufe" waren das allgemeine Landmaß der Siedler und umfaßte eine Fläche, die ein Bauer mit seiner eigenen Familie gut bewirtschaften konnte. Ihre Größe richtete sich also ganz nach der Bodengüte und konnte zwischen dreißig und neunzig Morgen schwanken. In den ersten Jahren, - gewöhnlich waren es sieben - blieben die Siedler abgabenfrei. Nach Ablauf dieser Freijahre erzielte der Grundherr eine regelmäßige Einnahme, um deren Eintreibung er sich nicht zu kümmern brauchte. Nebenher kam sein Land ohne sein Dazutun immer mehr in Kultur. Die polnischen Bauern, die nach dem herrschenden polnischen Recht auf den herrschaftlichen Höfen saßen, waren persönlich und frei, hatten keinen vererbbaren Boden zur Verfügung und konnten zu jeder Zeit des Grundstücks verwiesen werden, durften aber andererseits ohne Genehmigung der Herrschaft dieses nicht verlassen. Über die erwirtschafteten Erträge konnten sie nicht verfügen; diese gehörten dem Grundherrn. So waren sie auch an der Verbesserung des Landes und an der Hebung der Erträge uninteressiert. Der augenfällige Aufschwung, der mit deutschen Bauern besetzten Ortschaften der bereits erwähnten Zisterzienserklöster gab ein Beispiel, dem immer mehr polnische Grundherrn nacheiferten. Sie siedelten gern auf ihren Ländereien deutsche Bauern an. Über die Art der deutschen Ansiedlungen, sei es als Holländereien (auch Hauländereien genannt), oder als Schulzendörfer, ist schon wiederholt im Heimatboten berichtet worden, so daß von einer Wiederholung abgesehen werden kann.

Nur ein geringer Teil der mittelalterlichen Dorfgründungen ist auf die Dauer dem Deutschtum erhalten geblieben. Bei dem allmählich nachlassenden Zustrom deutscher Bauern wurden auch immer häufiger polnische Bauern zur Besiedlung herangezogen. Es kam zur Unterwanderung der deutschen Siedlungen. So trug die großartige deutsche Bauernsiedlung des 13. und 14. Jahrhunderts schon recht früh den Keim der späteren Polonisierung in sich.

Von nicht minderer Bedeutung als die deutschen Dörfer, wenn auch zahlenmäßig weniger, waren die deutschen Städtesiedlungen. Mit ihnen kam etwas gänzlich Neues in das bisher stadtlose Land. So waren nur wenige deutsche Städte auch von einem Kranz deutscher Dörfer umgeben, aus denen die Stadt Zugang und damit Erneuerung hätte erhalten können und denen sie ihrerseits Schutz gegen die bald einsetzenden Rechtsbrüche der Gutsherren zu bieten vermocht hätte. Viele der kleinen Städte verfielen dann auch bald, ähnlich den deutschen Siedlungen auf dem Lande der allmählichen Polonisierung.

Wenn auch für diese Zeiten keine Bevölkerungszahlen angegeben werden können, so läßt es sich aber mit weitgehender Gewißheit sagen, daß etwa um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Posener Städte fast rein, das Bauerntum aber zu einem beträchtlichen Teil, vielleicht bis zu einem Viertel, deutsch gewesen ist.

Anderthalb Jahrhundert später, am Ausgang des Mittelalters bietet sich ein völlig gewandeltes Bild. Von den Städten haben sich nur die größeren überwiegend deutsch erhalten können, während die kleinen zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken und ganz im Polentum aufgegangen waren.

Das deutsche Bauerntum hat sich nur am Westrand des Landes unter dem Schutz der Zisterzienserklöster halten können. Der Grund für diesen Niedergang war nicht vornehmlich der abflauende Zustrom aus dem Westen, auch nicht der immer wieder auflodernde Widerstand und der Haß gegen alles Deutsche. Derartige Episoden hatte das hier ansässige Deutschtum ohne größeren Schaden schon wiederholt überstanden. Viel entscheidender und einschneidender war der Verlust der rechtlichen Sonderstellung, dem zuerst der deutsche Bauer, dann auch der deutsche Bürger ausgesetzt war, und zwar durch den immer mächtiger werdenden polnischen Adel, der es verstand, die verbrieften Rechte langsam aber sicher bis zu einem Nichts abzubauen. Der seiner Selbstverwaltung bis zur Hörigkeit herabgedrückte Siedler sank so auf das Niveau des polnischen Landvolkes herab, deren Sprache und Sitten er mit der Zeit annahm und so im polnischen Volkstum aufging.

 

Die neue deutsche Einwanderung im 16. und 17. Jahrhundert

 

ir sahen, wie die Deutschen des Posener Landes zu Beginn der Neuzeit dem Niedergang und der Polonisierung ausgeliefert waren. Die Welle des vorrückenden Polentums schien die einzelnen Inseln des Deutschtums vollkommen zu überschwemmen. Ein wenig günstiger hat das Deutschtum in Westpreußen diese Zeiten überstanden, wenn auch hier erhebliche Einbrüche zu verzeichnen waren. Tatsächlich hat aber das deutsche Element in beiden Ländern noch im 16. Jahrhundert manche Verluste hinnehmen müssen, aber sie wurden durch die zweite große deutsche Einwanderung, deren letztliche Ursache mit der Reformation war, mehr als ausgeglichen. Die große Religionsbewegung hat ohnehin auf den deutschen Niedergang in Polen hemmend gewirkt, denn vor den drängenden religiösen Fragen traten die nationalen Gegensätze weitgehend in den Hintergrund. Das Gemeinsame und Verbindende kam im allgemeinen stärker zur Geltung als das Trennende. Die neue Lehre führte mit den neuen Verbindungen nach Deutschland auch viele deutsche Prediger ins Land. Polen galt als ein Hort der Religionsfreiheit und Scharen von ihres Glaubens wegen Verfolgter fanden in Polen eine neue Heimat. Noch lebhafter gestaltete sich die Einwanderung, hervorgerufen durch die Nöte, die durch den dreißigjährigen Krieg verursacht wurden. Vor allem waren es Schlesier und Märker, die massenweise die polnische Grenze überschritten und hier in Grenznähe Städte und Dörfer gründeten, die immer neuen Zugang erhielten. Ähnlich den Zeiten im Mittelalter entwickelte sich ein wahres Gründungsfieber bei den polnischen Grundherren, die erneut den Vorteil der Ansetzung deutscher Bauern erkannten. So erfaßte die neue bäuerliche Besiedlung fast das ganze Posener Land und bedeutende Teile Westpreußens. Wir begegneten ihr vom 16. bis ins 18. Jahrhundert, vor allem in den zwei Formen, den Holländereien und den Schulzendörfern.

 

Die deutsche Abwanderung im 18. Jahrhundert

bwohl die geschilderte Gründung neuer Siedlungen auch weiterhin fortgesetzt wurde, und wenn auch weiterhin eine ständige Einzeleinwanderung anhielt, brachte doch das 18. Jahrhundert dem Deutschtum im Weichsel-Wartheland auch sehr fühlbare Verluste. Diese sind auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Zunächst war das die neuauftretende und immer stärker fühlbare Intoleranz gegen den Protestantismus (und die Protestanten waren in diesem Land fast ausschließlich Deutsche), die ihren Höhepunkt im Thorner Blutgericht von 1724 erreichte, dann waren es die vielen Rechtsbrüche der Grundherren, die unter Mißachtung der Vereinbarungen Abgaben und Dienste ihrer angesetzten Bauern drastisch heraufsetzten und schließlich die Rechtsunsicherheit, die durch anarchistische Zustände im Lande immer mehr anwuchs, wo Raub und Überfälle an der Tagesordnung waren.

All das bewirkte, daß zahlreiche deutsche Bürger und Bauern sich zum Verlassen des Landes entschlossen und nach Preußen gingen, wo sie als fleißige und tüchtige, zumeist auch wohlhabende Wirte willkommen waren. Wie einst der Zug nach Osten die Parole war, nahm jetzt der Trend den umgekehrten Weg von Osten in den Westen, zum Leidwesen vieler Grundherren, die dadurch wertvolle Kräfte verloren. Von Kennern wurden diese Abwanderer auf mindestens 27.000 geschätzt, von denen der größte Teil auf das Posener Deutschtum entfiel. Dadurch erlitt das Deutschtum an Weichsel und Warthe noch kurz vor der Übernahme dieser Gebiete durch Preußen eine erhebliche Schwächung, die durch die Kolonisation Friedrich d. Gr. im Netzedistrikt durchaus nicht wettgemacht wurde. Diese erbrachte nur rund 7.000 Kolonisten, während die übrigen Siedler ohnehin Landeingesessene waren.

 

Die Nationalitätenverhältnisse zur Zeit der Teilungen

rotz der im vorigen Abschnitt geschilderten Verluste hatte das Deutschtum in Posen-Westpreußen immerhin noch eine beachtliche Stärke aufzuweisen, als diese Gebiete durch die Teilung Polens an Preußen kamen. Es ist freilich nicht möglich, diese zahlenmäßig genau festzulegen, denn bei den Landesaufnahmen wurde zwar die Wirtschaftskraft berücksichtigt, aber nicht nach der Muttersprache gefragt. Und Aussagen über die Konfessionen konnten kein klares Bild ergeben. Setzt man nämlich „evangelisch" gleich deutsch, was wohl allgemein zutrifft, so kann man aber umgekehrt nicht sagen „katholisch gleich polnisch".

So gab es in verschiedenen Gegenden, beispielsweise in der „Koschneiderei" um Konitz überwiegend deutsche Katholiken. Bei vorsichtiger Prüfung kann aber gesagt werden, daß die Städte Westpreußens ganz überwiegend deutsch waren. Auch das hart umkämpfte Thorn hatte noch immer eine deutsche Mehrheit. Nur in den kleinen Städten des Kolmer Landes war das Polentum stärker, aber auch hier war überall noch das Deutschtum vertreten. Weniger günstig sah es in Posen aus. Hier gab es immerhin eine Anzahl von Städtchen ohne deutsche Bevölkerung. Ihnen standen aber im Süden der Provinz die viel bedeutenderen Städte gegenüber, die eine starke deutsche Mehrheit aufweisen konnten und in anderen gab es starke deutsche Minderheiten, so auch in der Stadt Posen, wo die Bevölkerung zu je einem Drittel deutsch, polnisch oder jüdisch war. Im Ganzen gesehen kann gesagt werden, daß die Städte beider Provinzen überwiegend deutsch waren. Nicht so eindeutig waren die Verhältnisse auf dem flachen Lande. Wohl hatte Westpreußen geschlossene deutsche Gebiete im Werder und in der Weichselniederung, im Kulmer Land und in der Tucheler Heide hielten sich die Nationen die Waage, und in den übrigen stärker polnisch besiedelten Gebieten war überall ein deutscher Anteil anzutreffen, der nirgends geringer als zwanzig Prozent war. Im Posenschen ist zu den bereits seit dem Mittelalter deutschen Gebieten um Fraustadt, Meseritz und Schwerin durch die zweite bäuerliche Besiedlung das Land nördlich der Netze und im Winkel zwischen Warthe und Netze als überwiegend deutsche Gebiete neu hinzugekommen.

Waren darüber hinaus auch kaum größere geschlossene Bezirke mit überwiegend deutscher Bevölkerung anzutreffen, so waren doch die deutschen Holländerdörfer so zahlreich über das Land verstreut, daß es kaum einen Kreis gab, von dem man sagen könnte, er sei rein polnisch gewesen. Die in das neu erworbene Land versetzten deutschen Beamten waren erstaunt, überall in solch hohem Maße deutsche Bauern anzutreffen.

Selbst polnische Schätzungen kommen nicht umhin, den deutschen Bevölkerungsanteil um 1800 mit etwa dreißig Prozent anzugeben. Polen war stets bemüht, die Anwesenheit der Deutschen im Lande zu verschweigen, beziehungsweise möglichst niedrig anzugeben. Daher ist die Einschätzung hier durch die Polen eher zu niedrig als zu hoch zu bewerten. Somit wäre es nicht abwegig, einen höheren Prozentsatz einzusetzen.. Aber auch schon dieser Anteil ist bedeutend genug für ein deutsches Heimatrecht, zumal die Einwanderung ausschließlich auf friedlichem Wege vonstatten ging. Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, wenn angenommen wird, daß durch die deutsche Ansiedlungspolitik um die Jahrhundertwende in der Zeit der preußischen Herrschaft eine Zeit großzügiger Kolonisation und Germanisierung betrieben wurde. Eine Kolonisation hat Friedrich der Große nur im Netzegau betrieben.

Aber auch die entsprang lediglich wirtschaftlicher Überlegungen und war darauf angelegt, Wirtschaft und Kultur im Lande zu fördern. So hat er selbst Nationalpolen angesiedelt. Auch die so heftig kritisierte „Ansiedlungspolitik" hat nicht entfernt den Umfang angenommen, wie sie jahrelang in der polnischen Presse dargestellt wurde. Tatsächlich sind insgesamt 17.000 Familien mit etwa 80.000 Köpfen angesiedelt worden. Ein Drittel waren aber deutsche Rückwanderer aus Mittelpolen, Rußland, Galizien, z. T. auch Posener; also Leute, die schon teilweise seit Jahrhunderten im Lande ansässig gewesen sind und somit nicht eine Verstärkung des deutschen Elementes im Lande bedeuteten. Abwanderung und Neuansetzung im 19. Jahrhundert haben das Deutschtum in den beiden Provinzen an manchen Punkten geschwächt, an anderen wieder gestärkt.

Im Ganzen gesehen aber war es 1919, als nationalistische staatliche Verdrängungspolitik das Bild radikal zu verändern begann, die gleiche Stärke wie etwa zu Ende des 18. Jahrhunderts.

 

 

Die geschichtliche Stellung des Warthe- und Weichsel-

landes im Wandel der Zeiten

Leitlinien in der Landschaft

eichsel und Warthe, die unseren beiden Heimatgauen den Namen gaben, sind auch bestimmend für ihre Einordnung in den Zusammenhang der umgebenden Landschaften.

Im Norden bildet das Durchbruchstal der Weichsel die große Pforte zur See. Ihr Mündungsdelta ist ein Stück Marschland, wie es in dieser reinen Ausbildung nirgends sonst an der Ostseeküste vorkommt. In dem breiten Niederungstal der Weichsel dringen marschähnliche und meerverbindende Landschaftszüge weit ins Landesinnere, noch über Thorn hinaus.

Dann aber treten immer stärker die west-östlichen Leitlinien in den Vordergrund, die großen Urstromtäler (von Thorn-Eberswalde entlang der Weichsel, Netze und unteren Warthe) und von Warschau-Berlin (entlang Bruza, mittleren Warthe, Obrabruch und Oder), denen sich weiter südlich noch die Barschniederung anreiht.

Die großen Talzüge verbinden das Posener Land mit dem Westen wie dem Osten, ohne daß sich irgendwo eine klare natürliche Grenze zeigte. Auf kleinere Strecken hin durchbrechen freilich zahlreiche nord-südliche Flußläufe die Hügelketten zwischen den Urstromtälern, so die Drage, Küddow, Brahe und untere Weichsel im Norden, die Oder bei Frankfurt, die Obra bei Bentschen, die Warthe bei Posen und die obere Netze im Mittelstreifen, die Oder bei Neusalz, der Landgraben und die Prosna im Süden. Dadurch wird das Land gitterförmig in eine Reihe von Platten mit meist fruchtbaren Geschiebelehmboden zerlegt, die durch arme Talsandstrecken, durch Moore und Seen getrennt sind. Diese geographischen Grundlinien sind immer wieder auch für die Geschichte Westpreußens und Posens entscheidend gewesen. Vom Norden die Weichsel hinauf, von Osten und Westen her parallel zu den Urstromtälern kamen die Menschen und die formenden Kräfte. Der Wechsel dieser Richtungen in der jahrtausendelangen Auseinandersetzung von Germanen und Slawen scheidet die einzelnen Perioden der Landesgeschichte.

 

Gepidenau

 

u Beginn der für uns überschaubaren Zeit herrscht eindeutig die Nordrichtung. In immer neuen Scharen strömten Germanen in das Land. Seit dem ersten vorchristlichen Jahrhundert waren es die ostgermanischen Völker, Wandalen, Burgunder, Rubier, Gepiden, Goten, die von Skandinavien über die Ostsee kommend und im Weichselgebiet Fuß fassend. Nach dem Stamm der Gepiden hießen die Weichselwerder über längere Zeit lang „Gepidenau"- Von hier aus zogen sie großenteils in späteren Zeitläufen weiter in südliche Richtungen. Mit dem Abzug der Germanen und der Einwanderung der Slawen seit dem sechsten Jahrhundert begann ein neuer geschichtlicher Abschnitt. Nun wurden die aus dem Osten kommenden Kräfte herrschend. Aber auch die von Norden kommenden Nordgermanen machten ihren Einfluß geltend. Das Ergebnis all dieser Bewegungen war die Entstehung zweier selbständiger Staaten, beziehungsweise Völker, der Polen und der Pomoraner, also der „Feldleute", deren Zentrum im fruchtbaren Kujawien südlich Weichsel und Netze lag, und der im Norden ansässig gewordenen „Am Meere" wohnenden. Die Grenze bildete ursprünglich das nördliche Urstromtal der Netze und verschob sich in dauernden Kämpfen weiter nach Norden.

 

Die deutsche Ostmission, Mönche, Hansen und Ritter

 

rstmalig trat im zehnten Jahrhundert in diese Welt des Ostens und Nordens der Westen ein, das neuentstandene Deutsche Reich als Bannerträger des Christentums.

Der Wendepunkt war die Annahme des abendländischen Glaubens durch den Polenherzog Meszko und der Gründung des Bistums Posen im Jahre 968. Von da an begann der Zustrom deutscher Aufbaukräfte in Polen. Dieser Strom wurde nur zeitweise geschwächt oder unterbrochen durch die kirchliche Verselbständigung Polens um das Jahr 1000 oder durch heidnische Reaktionen. Aber immer aufs Neue begann der Zustrom und mit ihm die Erschließung des Landes der westlichen Kultur.

Die Ostgrenze des deutschen Sprachgebietes lag zu dieser Zeit noch an der Elbe. Polen und Pomoranen standen noch nicht mit den Deutschen in nachbarlicher Berührung, denn dazwischen lag die breite Zone der zum Großteil noch heidnischen Elbslawen mit ihren Kleinvölkern. Darum war das Herkunftsland - vornehmlich war es die Geistlichkeit und der Adel - die alten kulturellen Mittelpunkte der Salier und Staufenzeit im Süden und Westen. Schon vom ersten Posener Bischof Jordan wird westliche Herkunft vermutet.

Die Mönche des 1070 gegründeten Klosters Lubin, südlich Schrimm, stammten wahrscheinlich aus dem Lütticher Gebiet, Erzbischof Heinrich von Gnesen aus der Eichstätter, die Posener Bischöfe Franco und Ederamm aus der Regensburger Diözese. Die beiden ältesten Zisterzienserklöster Polens, Lekno-Wongrowitz und Lond, östlich Peisern (beide 1143) wurden direkt vom Stammkloster Altenberg bei Köln begründet.

Seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts kam auch der große Ostzug deutscher Bauern und Bürger in Gang und rückte allmählich auf Posen zu. In diesen Rahmen fallen die Anfänge des deutschen Bürgertums im Weichsel-Wartheland. Wagemutige Kaufleute aus dem westlichen Raum gelangten bei ihren vielfältigen Handelsbeziehungen auch nach Danzig. Den Hansen trat auch in enger Fühlung der deutsche Orden an die Seite. Von dort aus ging der Zug zunächst dem Lauf der Weichsel folgend über Thorn und Kulm weiter in das ostpolnische Gebiet. Dieser Strom begründete auch die Anfänge des deutschen Bürgertums des Warthelandes. Aber auch anderweitige Einwanderungen aus dem Westen hatten Teil an diesem neuen Bürgertum. An Wallonische Zuwanderer erinnert der Name der Wallischei, einem Vorläufer der Stadt Posen. Der älteste urkundlich genannte Stadtgründer in Posen, Baldur, ist Träger eines für Flandern typischen Namens.

Während die deutsche Besiedlung im Norden nur langsam vorwärts ging, entfaltete sich im Süden, so in Schlesien, gefördert durch die Gunst einsichtiger Landesfürsten, mit ungeahnter Schnelligkeit. Bisher hatte das Deutschtum trotz allem vom entfernten Westen her nur verhältnismäßig wenig eingewirkt. Versuche zu deutscher bäuerlicher Besiedlung, von den polnischen Landesherren wiederholt unternommen und durch Landschenkung an die deutschen Klöster eingeleitet, waren oft schon an Mangel von Siedlungskräften nicht recht zum Zuge gekommen, jetzt aber strömte das junge deutsche Leben von Schlesien herein, erfüllte im Zeitraum eines halben Jahrhunderts das ganze Wartheland und wirkte von hier aus weiter in das übrige Polen. Ein deutlicher Einsatz dieser Entwicklung war 1253 die Gründung der Stadt Posen durch den Lokater Thomas von Guben.

Auch das ältere Siedlungswerk des Ordens an der Weichsel wurde nun von schlesischen Kräften unterbaut. In Thorn findet sich schon 1257, also vier Jahre nach der Gründung Posens, ein Konrad von Posen. Im dreizehnten Jahrhundert waren die Bürger von Thorn in überwiegender Zahl Niederschlesier und Lausitzer. So wurde das Warthe- und Weichselland, mit Ausnahme des unmittelbaren Küstenstreifens, ein Teil des großen schlesischen Kraftfeldes. Aber auch die Nordeinflüsse traten nicht völlig zurück. Die Siedlungen des Deutschen Ritterordens liefern hierfür einen klaren Beweis und mit ihnen war eine norddeutsche Brücke zum Mutterland geschlagen.

 

Die Krise des 15. Jahrhunderts

 

iese Brücke zum Westen stürzte aber wieder ein, als der Ritterorden 1410 bei Tannenberg besiegt, im zweiten Thorner Frieden 1466 Westpreußen und Ermland an Polen abtreten mußte und als sich im politisch erstarkten polnisch-litauischen Doppelreich die Reaktion gegen das Deutschtum erhob und als gegen Ende des Mittelalters der Menschenüberschuß der deutschen Dörfer von Seuchen mehr und mehr auch vom Zuge in die Stadt aufgezehrt wurde und damit die Ostwanderung versiegte. Ja, im 15. Jahrhundert standen in allen teilen Deutschlands in den Dörfern wüste, von den Menschen verlassene Höfe und viele Orte gingen für immer ein. Der große schlesische Stammesraum schrumpfte auf das Kernland zusammen. Vor allem ging auch im Posener Land das Deutschtum erschreckend zurück, so daß auch hier allerorts verlassene Dörfer, die zuvor von deutschen Bauern besiedelt waren, anzutreffen waren. Als im sechzehnten Jahrhundert das deutsche Volk die große Siedlungskrise überwunden hatte und eine neue Ostwanderung einsetzte, die endgültige, auf die der Großteil des hier bis zu den beiden Weltkriegen ansässigen Deutschtums zurückgeht, da lagen die Kräfteverhältnisse ganz anders als im Mittelalter. Das ostdeutsche Bauerntum hatte viel von seinen einstigen Freiheiten eingebüßt und damit auch seine Stoßkraft verloren. Es war eine Abhängigkeit von der sich schnell entfaltenden Gutsherrschaft vorhanden und sogar eine gewisse Hörigkeit erkennbar.

Damit ging auch die früher so selbstverständliche Überlegenheit teilweise verloren. Siedlungsmäßig waren zunächst die Lücken der Wüstenzeit zu schließen. Anstoß hierzu gab es aus dem breiteren Westen, aber auch die bereits im Lande ansässig gewordenen Siedler trugen ihren Anteil zur Neubesiedlung bei. Im Norden hatte das niederdeutsche Bürger- und Bauerntum diese Krisenzeit besser überwunden als die Schlesier im Süden. Für das Hinterland hatte Danzig eine vorrangige Bedeutung. Der Warenbedarf Westeuropas war ständig im Zunehmen begriffen. Vor allem war es der Getreidehandel, aber auch Holz, Pottasche und andere Massengüter wurden in den Westen ausgeführt. Die Abwicklung dieses Handels geschah durchweg über Danzig. Holländische Kaufleute und Handwerker ließen sich in Danzig nieder und machten es zu einer Einfallspforte für westliche Kräfte

Diese engen Beziehungen führten schließlich zur Einwanderung holländischer Bauern in das Weichseldelta und von dort aus dem Flußlauf folgend in das Innere des Landes. Aus ihrer Heimat brachten sie nicht nur die Entwässerungstechnik, ihre moderne Land- und Weidewirtschaft, sondern auch neue Rechtsformen: die Freiheit des Bauern, Ablehnung aller Scharwerkdienste und die rechtliche Gleichberechtigung der „Nachbarn" in der Dorfgemeinde mit. Damit setzten sie ein Zeichen und wurden so ein Beispiel für die übrigen Siedler.

An der Netze trafen sie mit einem anderen Siedlerzug zusammen, mit Bauern pommerscher Herkunft. Diese lernten, durch Not getrieben, die Kiefernwälder auf den weiten Sandflächen südlich des Baltischen Höhenzuges zu roden und dem armseligen Boden wenn auch nur geringe Erträge abzuringen. Waren die Holländer die Pioniere der Niederungen und Sumpfgebiete, so wirkten die Pommern auf den leichten sandigen Böden, die sie durch Rodung erobert hatten. Diese Wäldler übernahmen von den Holländern großenteils die lockere Bauanordnung und die Selbstverwaltung in der Gemeinde. Von den Polen wurden die Siedlungen der ersteren als „Holländereien" (polnisch = Olendry) bezeichnet und da viele Gemeinsamkeiten mit den Waldsiedlungen bestanden, übertrug man diese Bezeichnung auch auf diese Gründungen. Aus Holländereien wurde aber hier sehr oft Hauländerei und so war später recht häufig der Zusatz zur eigentlichen Benennung die Beifügung „Hauland" anzutreffen, wie beispielsweise Sipiory-Hauland und viele andere. Bekanntlich gab es gerade in unserem Heimatkreis Schubin viele Hauländereien. Nun war es nicht so, daß die Siedler der vielen Holländereien auch wirklich Holländer waren. Lediglich die Methoden der Bewirtschaftung und Selbstverwaltung wurde von deutschen Niederungsbauern übernommen und damit ging auch die Benennung ihrer Dörfer auf diese Bezeichnung über. Andere Siedlungen behielten ihre Gewohnheiten bei. Sie unterstanden einem Schulzen, der vom Grundherrn eingesetzt und dem er auch verantwortlich war. So ergab sich die Gruppierung der deutschen Bauerndörfer: Schulzendörfer, Holländereien und wenn man so will, noch Hauländereien. Außerdem kennt man noch die als Kolonien bezeichneten Ortschaften, deren Besiedlung durch polnische Grundherren nach eigenem Ermessen durchgeführt wurden.

Neben dieser Bauernwelt entwickelte sich ein neues bürgerliches deutsches Leben. Nur waren es jetzt nicht mehr allgemeine Kaufmanns- und Gewerbestädte wie im Mittelalter, sondern einseitig spezialisierte Tuchmacherorte. Ihre Gründer kamen aus dem schlesischen und niederdeutschen Gebiet, aber an Zahl und kultureller Kraft waren die Schlesier weit überlegen. Sie wanderten nicht allein aus wirtschaftlichen Gründen ein wie die Pommern und Märker, sondern sie wurden durch die habsburgische Gegenreformation aus ihrer Heimat vertrieben und gingen hier an den Aufbau einer neuen Heimat. Dazu kam, daß die deutschen Tuchmacher in dem so gut wie industrielosen Polen ein weites, günstiges Feld für ihre Tätigkeit fanden. So blühten ihre Städte schnell auf. In unserem Heimatkreis war der Schwerpunkt der Tuchmacher in Labischin (Lüderitz), wo im Jahre 1816 112 Gewerkschaftsmeister der Tuchmacher zu verzeichnen waren. Aber auch in anderen Städten des Kreises und selbst auf dem Lande waren Tuchmacher anzutreffen. Dieser Zustrom neuer Einwanderer wirkte sich natürlich günstig auf das geistige deutsche Leben im Posener Lande aus.

 

Blickwendung nach dem Westen

 

isher war das Deutschtum im Warthe-Weichselgebiet ohne jegliche Hilfe des Staates geblieben, ja, es war wiederholt gezwungen, sein Kulturgut gegen diesen Staat zu verteidigen. Das sollte sich von Grund auf ändern mit den Teilungen Polens seit 1772 und mit der endgültigen Abgrenzung der nunmehr preußischen Provinzen Posen und Westpreußen gegen Rußland im Jahre 1815. Die staatliche Eingliederung in das westliche Kulturgebiet erforderte von diesen Provinzen eine tiefgreifende Umstellung und Anpassung. Die neue Grenzziehung führte einen Schnitt durch die Einheit Großpolens, traf aber auch die lebendigen Zusammenhänge des Deutschtums, denn viele Niederungsbauern und insbesondere die Tuchmacher aus den Städten waren aus den westlichen polnischen Gebieten weiter nach dem Osten gezogen. Dadurch wurden die starken kulturellen Bindungen empfindlich gestört. Die Provinzen Posen und Westpreußen richteten aber mehr denn je den Blick nach Westen.

Unter den staatlichen Förderungen gelangten diese Gebiete bald zu einem beachtlichen wirtschaftlichen Niveau und die so willkürlich gezogene Grenze wurde bald zu einer Kulturscheide. Aber auch die Kehrseite machte sich bald bemerkbar. Die Textilstädte sahen sich von ihren Absatzgebieten in Polen abgeschnitten. Im besonderen Maße traf das auf das Tuchmachergewerbe zu, nachdem Rußland den Import von Wolle und Tuch fast ganz einschränkte. Die Folge war, daß die deutschen Tuchmacher in großer Zahl nach Osten abwanderten. Sie legten jenseits der Grenze den Grund zur Lodzer Textilindustrie, die in kurzer Zeit in Europa eine führende Stelle einnahm. Dafür entstand diesseits eine neue deutsche Bürgerschaft durch die Zuwanderung von preußischen Beamten, Offizieren, Kaufleuten und Handwerkern. Die Städte Posen, Bromberg, Gnesen, Thorn, Hohensalza und Graudenz wurden wieder Mittelpunkt des Deutschtums. Weniger änderte sich im bäuerlichen Bereich. Wohl waren in der Übergangszeit auch bäuerliche Elemente abgewandert. Dieser Ausfall konnte aber durch die Kolonisation unter Friedrich II. zum großen Teil ausgeglichen werden.

Dagegen vollzog sich im Bereich des Großgrundbesitzes eine regelrechte Umschichtung. Vielfach konnten sich die adligen polnischen Gutsbesitzer auf die neue Situation und die rationellen Methoden in der Landwirtschaft nicht umstellen und gerieten in große Schwierigkeiten. Ein erheblicher Teil dieses Grundbesitzes wechselte durch Verkauf in deutsche Hände über. So bildete sich der neue Stand der deutschen Gutsbesitzer. Mit ihnen kamen als Helfer deutsche Gutsbeamte, Gutshandwerker, Schäfer, Förster ins Land. Die Landwirtschaft erfuhr eine Neuerung durch die Anwendung des Fruchtwechsels, Einsatz von Maschinen, Anwendung von Kunstdünger, Zuckerrübenanbau u.v.m. Das hatte die Errichtung von Betrieben zur Veredlung landwirtschaftlicher Erzeugnisse wie Mühlen, Brennereien, Molkereien, Zuckerfabriken usw. zur Folge. So wurden die neuerworbenen Provinzen zu Überschußgebieten, welche zur Ernährung der schnell wachsenden westlichen Großstädte viel beibringen konnten.

 

 

 

Geschichtliches über das Deutschtum in Polen

as alte Zarenreich Rußland war 1917 zusammengebrochen; der November 1918 brachte die militärische Niederlage der Mittelmächte Deutschland und Österreich. So waren die drei Teilungsmächte des alten polnischen Staates politisch ausgeschaltet und den Bedingungen der Siegermächte ausgeliefert. Der daraufhin abgeschlossene Versailler Vertrag brachte die Neuerstehung des polnischen Staates mit sich. Neben anderen starken Minderheiten in dem aus drei verschiedenen Staatsgebieten gegründeten neuen Staat gab es hier auch eine beachtliche deutsche Volksgruppe, die gegenüber anderen Gruppen in bisher völlig verschiedenartigen kulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen lebte.

Diese deutsche Gruppe entstammte zum großen Teil der um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts begonnenen Besiedlungswelle. Aus früheren Einwanderungen waren in Westpolen nur ganz vereinzelte Gruppen erhalten geblieben. In der Folgezeit ist der Zustrom deutscher Siedler bis in das neunzehnte Jahrhundert mit wenigen Unterbrechungen nie ganz abgerissen. In der Weichselniederung waren es anfänglich Holländer, die die Sumpfgebiete urbar machten; dann aber waren es Deutsche, die nach den Methoden der Holländer die Besiedlung weiterführten und so vom Danziger Werder bis in die Gegend von Warschau vordrangen. In unermüdlicher Arbeit haben sie den wilden Strom gebändigt und ertragreiche landwirtschaftliche Flächen geschaffen.

Bis zur Teilung Polens erstreckte sich die deutsche Siedlungstätigkeit auf die Gebiete an Warthe und Netze, große Teile Mittelpolens, ja bis in die Buggegend im polnischen Osten.

Im allgemeinen hat man den Siedlern keinerlei Schwierigkeiten in den Weg gelegt. Im Gegenteil; sie wurden vielfach in das Land gerufen und mit Privilegien ausgestattet, denn man erkannte den Wert ihrer Leistungen für das ganze Land. Waren es auf dem Lande die bäuerlichen Siedler und Kolonisten, so waren es in den Städten die Handwerker und Kaufleute, die einen höheren Lebensstandard herbeiführten. So ist es nicht verwunderlich, daß zur Zeit der Teilung Polens, insbesondere in den westlichen Gebieten, ein starker deutscher Bevölkerungsanteil vorhanden war. In verschiedenen Städten waren die Deutschen sogar in der Majorität. Nach der Teilung erfolgte verständlicherweise ein stärkerer Zustrom deutscher Menschen in das neu erworbene Gebiet. Der preußische Staat setzte hier Millionenbeträge zur Hebung und Verbesserung des Niveaus ein, was den Bürgern zum Vorteil gereichte.

Auch in Österreich war man bemüht, die neu gewonnenen Gebiete besser zu nutzen. Kaiser Josef II. erließ ein Ansiedlungspatent und sandte seine Werber vornehmlich nach Süddeutschland, und hier besonders in die Rheinpfalz und ihre Nachbargebiete, um Siedler anzuwerben, die er in Galizien anzusetzen gedachte (Josefinische Siedlung um 1780 - 1790). Allerdings standen diese Siedler unter schweren Bedingungen trotz mancher gewährten Privilegien, da der staatliche finanzielle Aufwand nur gering war.

So waren die dortigen Siedler vornehmlich auf sich selbst gestellt in einer für sie völlig fremden Welt, als winziger Volkssplitter zwischen artfremden Bauern und Kätnern. Die Verwaltung lag in den Händen polnischer Beamter und der Kaiser in Wien war weit. Diese Polen waren den Deutschen alles andere als wohlgesonnen. Daß diese Volksgruppe sich trotz aller Schwierigkeiten deutsch erhalten hat, ist nur dem Umstand zuzuschreiben, daß sie niemals, auch bei schwerster Belastung, auf ihre deutsche Schule wie auch auf den kirchlichen Zusammenschluß verzichtet haben. In dem an Preußen gefallenen Teilgebiet mußte aber die deutsche Siedlungsbewegung einen schweren Rückschlag hinnehmen, als Preußen in der Napoleonischen Ära zusammengebrochen war. Durch die neu entstandenen Verhältnisse entfiel auch der Einfluß und die moralische Unterstützung Preußens in diesem Gebiet. Insbesondere die nach der Teilung eingewanderten und daher an wenig Selbständigkeit gewöhnten deutschen Einwohner standen den Anforderungen in ihrem Bereich oft hilflos gegenüber. Dieser Zustand änderte sich erst wieder, als auf dem Wiener Kongreß 1815 die Grenzen der Teilgebiete endgültig geregelt wurden und die preußische Staatshoheit anerkannt wurde.

Durch die Aufteilung Polens zwischen Preußen, Rußland und Österreich wurden die deutschen Siedler in diesen Gebieten für über ein Jahrhundert zu drei voneinander getrennten Staaten- und Kulturbereichen geschlagen, demzufolge waren auch die weiteren Entwicklungen voneinander verschieden. Die Deutschen im preußischen Teilgebiet konnten sich nunmehr im Schutz des Staates entfalten. Auch in dem an Österreich gefallenen Gebiet war immerhin noch eine geringe Spur von staatlichem Schutz zu verspüren, wenn auch von einer ausreichenden Fürsorge nicht die Rede sein konnte. Dagegen waren die unter russischer Herrschaft gelangten deutschen Gruppen von allen Bindungen zum deutschen Muttervolk völlig abgeschnitten und ganz auf sich selbst gestellt.

Mit der Einführung der preußischen Verwaltung in den an Preußen gefallenen Gebieten kam auch ein Stab deutscher Beamter in das Land und in ihrem Gefolge auch deutsche Handwerker, Kaufleute und Unternehmer. Viele der heruntergekommenen polnischen Landgüter wurden von deutschen Landwirten aufgekauft: Handel und Wandel belebten sich und ein allgemeiner wirtschaftlicher Aufschwung machte sich bemerkbar.

Den Polen blieb der zunehmende Einfluß des Deutschtums im Lande nicht verborgen. Das weckte in ihnen den nationalen Geist und forderte den Widerstand heraus, der auch nicht ohne Erfolg blieb. So entwickelte sich ein polnischer Bürgerstand. Sie fanden den Weg in das Handwerk und man war bemüht, polnischen Grund und Boden möglichst in polnischer Hand zu halten, ja, es gelang ihnen sogar, teilweise deutschen Besitz zu erwerben. Den letzten Anstoß in dieser Richtung gab der Beginn der Tätigkeit der preußischen Ansiedlungskommission, die ebenso lautstark wie ungeschickt ihr Wirken begann. Das im Reichstag durchgesetzte Enteignungsgesetz tat noch das Übrige und beschwor nur noch härteren Widerstand der Polen herauf. Die praktische Nutzanwendung des neuen Gesetzes erbrachte dagegen nicht den geringsten Erfolg. Die durch die Ansiedlungskommission zur Besiedlung gekommenen Güter stammten zum weitaus größten Teil aus deutscher Hand. So wurden in den Jahren 1886 bis 1912 im Kreis Schubin siebzehn Ansiedlerdörfer errichtet. Von den siebzehn zu Besiedlung gestellten Güter kamen nur vier aus polnischem Besitz. Die restlichen hatten deutsche Vorbesitzer. Und die vier polnischen Güter wurden freihändig zu ganz ansehnlichen Kaufpreisen erworben. Eine Zwangsenteignung erfolgte im ganzen preußischen Teilgebiet lediglich in vier Fällen. Auch bei diesen handelte es sich um Güter, die von den Besitzern nicht gehalten werden konnten. Weit größere Erfolge zeigten die polnischen Bemühungen. Sie schlossen sich in Genossenschaften zusammen, deren Zweck es war, Landerwerb aus deutscher Hand zu finanzieren. Die Veränderung der Lage zugunsten der Polen erhellt folgende Tatsache:

In den letzten zwei Jahrzehnten vor Beginn der Tätigkeit der Ansiedlungskommission wurden beispielsweise durch Deutsche in freihändigem Erwerb 225 000 ha Land erworben, während in der gleichen Zeit 30 358 ha in polnische Hand gelangten. Die Ansiedlungskommission kaufte in der Zeit von 1886 bis 1913 insgesamt 438 560 ha Land aus deutscher Hand und nur 125 103 ha polnischen Besitz. Nach einer polnischen Quelle (vom Präsidenten des polnischen Ansiedlungsamtes Karasiewicz) vergrößerte sich der polnische Besitzstand in dem obengenannten Zeitraum um 105 400 ha. In diesem Zusammenhang muß man feststellen, daß die Tätigkeit der Ansiedlungskommission nicht im Stande war, den polnischen Grundbesitz zu schmälern, ebenso wenig, wie sie sich auf den Bevölkerungsanteil zu Gunsten des deutschen Volkstums merklich auswirkte. Dagegen stärkte sie den Widerstand der Polen gegen das Deutschtum und bot ihnen klare Angriffsflächen für eine antideutsche Propaganda.

Im russischen Teilgebiet erfuhr die deutsche Siedlungstätigkeit mindestens bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts von Seiten der Regierung keine Behinderung. Sie wurde teilweise von den polnischen Gutsbesitzern, die ihren Vorteil in der Ansetzung deutscher Bauern sahen, unterstützt und so kamen in dieser Zeit verschiedene neue deutsche Siedlungen hinzu. Neues Siedlungsgebiet bot sich in Wolhynien an und wurde von den deutschen Bauern auch wahrgenommen.

Die Neusiedler kamen hauptsächlich aus den Gebieten Mittelpolens und waren somit kein deutscher Einwanderungszuwachs von außerhalb der Ländergrenzen.

Zum Schluß soll in diesem Rahmen noch der Bedeutung der deutschen Weber und Tuchmacher Erwähnung getan werden. Zum großen Teil aus Schlesien kommend, ließen sie sich in der Gegend von Lodz und Petrikau nieder. Mit Fleiß und Ausdauer betrieben sie hier ihr Handwerk und bald entwickelte sich hier die erste Textilindustrie. Die Zahl der Deutschen in diesem Gebiet schnellte sprunghaft in die Höhe.

So waren im Jahr 1864 67% der Lodzer Bevölkerung Deutsche. Lodz entwickelte sich zum stärksten Textilmittelpunkt auf dem europäischen Festland. Dieses Ergebnis beruht auf der Tätigkeit der eingewanderten deutschen Tuchmacher, die sich hier niederließen

V. Gereimtes zur Heimat

 

1.) Das Vermächtnis des Vaters

2.) Heimat

3.) Die Sehnsucht ist nach Haus geflogen

4.) Sieh nicht zurück

5.) Bewaffneter Friede

6.) Heimkehr aus Rußland

 

Des Vaters Vermächtnis

ch hab mein altes Heimatbuch

heut` wieder aufgeschlagen.

Es steht darin manch guter Spruch,

Geschichten, Märchen, Sagen.

Ich wende langsam Blatt um Blatt

und heimwärts eilt mein Sinnen.

Ich bin in meiner Heimatstadt,

grüß Häuser, Türme, Zinnen.

Und wandere durch Wald und Bruch

durchs Land in weiter Runde. -

Dank dir, du liebes Heimatbuch

in dieser Feierstunde.

Still denke ich darüber nach,

wie wohl die Worte waren,

die einst mein Vater zu mir sprach

vor vielen, vielen Jahren.

Er sagte ernst und sah mich an:

„Merk, Junge dir die Lehre:

Die Heimattreue ehrt den Mann,

sie ist das Mark der Erde".

Ruft dich die Heimat, halte du

ihr Treue bis ans Ende.

Die Mutter nickte still dazu

und faltete die Hände. -

Die Eltern sind schon lange tot,

ihr Wort ist mir geblieben.

Die ferne Heimat leidet Not,

ich bin aus ihr vertrieben. -

Das letzte Blatt; von Vaters Hand

steht hier der Spruch geschrieben:

Du sollst dein Volk, dein Heimatland,

mehr als dich selber lieben.

Wie du es wolltest, Vater, will

ich dein Vermächtnis halten.

Ich schließ das Buch, die Hände still

hab drüber ich gefalten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Heimat

ie Heimat vergessen, das kann ich nicht mehr!

Das Leben in der Ferne, das fällt mir so schwer.

Ich denke so oft an die Heimat zurück.

Dort bin ich geboren und dort ist mein Glück!

Ich hab sie verloren, bin nun so allein,

in der Fremde, da kann ich nie glücklich sein.

Die Menschen sind anders, sie verstehen mich nicht,

und niemand hier weiß, daß das Herz mir schier bricht.

Sie wollen mich glücklich und lachend nur sehn,

doch meine Einsamkeit kann keiner verstehn.

Sie wissen nicht, wie’s im Herzen aussieht!

Die Sehnsucht, die Sehnsucht nach Hause mich zieht!

 

Die Sehnsucht ist nach Haus geflogen

 

ie Sehnsucht ist nach Haus geflogen

und weilt im fernen Kinderland.

Doch über Raum und Zeiten spannt

sie der Erinnerung blaue Bogen.

Im Garten stand der rote Flieder

und unter ihm die alte Bank.

Dort saßen wir und mit uns sang

die Mutter frohe Kinderlieder.

Und lag die warme Abendröte

mild über unserm Haus,

ging ich zum Bache froh hinaus

und blies auf meiner Weidenflöte.

Was ich geflötet und gesungen

war meine Heimatmelodie.

Es hat in meinem Leben nie

ein andres Lied so schön geklungen.

Vom Stall her klang der Rinder Brüllen

das weite Land war wohl bestellt.

Reich stand die Ernte auf dem Feld,

sie sollte unsre Scheunen füllen.

Das haben sie uns fortgenommen

und alles liegt nun schon so weit -

Am stillen Wege steht die Zeit

und wartet, daß ich wiederkomme.

 

Betrachtungen eines Igels zur Rüstungsfrage.

 

Bewaffneter Friede

 

 

anz unverhofft an einem Hügel

sind sich begegnet Fuchs und Igel.

„Halt!" rief der Fuchs. „Du Bösewicht.

Kennst du des Königs Order nicht?

Ist nicht der Friede längst verkündigt,

und weißt du nicht, daß jeder sündigt,

der immer noch gerüstet geht?

Im Namen Seiner Majestät:

Geh her und übergib dein Fell!"

Der Igel sprach: „Nur nicht so schnell.

Laß dir erst deine Zähne brechen!"

Und allsogleich macht er sich rund,

schließt seinen dichten Stachelbund

und trotzt getrost der ganzen Welt,

bewaffnet, doch als Friedensheld.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sieh nicht zurück

ieh nicht zurück:

Was gestern schwand, war schön;

aber das Schöne auch

muß einmal vergehn.

Sieh nicht zurück:

Was gestern sank, war schwer;

aber das Schwere auch

wiegt ja nicht mehr.

Sieh nicht zurück:

Was gestern starb, heischt Schmerz -

Aber im Heute

glüht dir ein Herz.

 

 

 

 

 

 

Heimkehr aus Rußland

unger im Leib und Sehnsucht im Blick,

Heimweh im Herzen, ich sehn mich zurück

nach dir, Heimat, mein einziges Glück!

Gefangen, verbannt in Rußlands Weiten,

im Traum nur erscheinen mir einstige Zeiten.

Hier leuchtet kein Stern, kein Himmel blaut,

nur Mauern und Draht mein Auge schaut.

Ein jeder Tag, ja, jede Nacht

hat aufs Neue Hunger und Not gebracht.

Kameraden siechen dahin, sie sterben.

Wohin ich auch blicke, nur Tod und Verderben;

und mit Grausen denk ich daran:

Wann holt er dich, der Sensenmann?

So schleicht die Zeit - zwei Jahre und mehr,

kein Hoffnungsschein, so einsam und leer - -

Doch da - wie ein Traum, so kommt es mir vor:

Es öffnet sich plötzlich das Stacheldrahttor!

Dem Herrgott sei Dank, der die Geschichte lenkt!

Heimat, ich werde dir wieder geschenkt!

Doch dort, wo einst meine Wiege stand

herrscht nun der Pole als Herr im Land.

Dort, wo ich als Kind gespielt, gelacht,

wo ich eine sonnige Jugend verbracht,

dort ist für mich keine bleibende Statt.

Ein Dämon mir meine Heimat genommen hat!

Flüchtling zu sein ist ein bitteres Los,

birgt Hunger und Not in seinem Schoß.

Flüchtling heißen ist ein böses Wort

und ein jeder wünscht ihn wieder fort.

Wo finde ich wieder Frieden und Rast

nach all dem Kummer, Jammer und Last?

Was ist die Schuld, die ich getan im Leben?

Wer will mir darauf die Antwort geben? --

Diese Zeilen schrieb ich auf meinen Irrfahrten im Hannoverland, als ich aus Gefangenschaft heimkehrte.

 

VI. Sonstiges

 

1.) Wir von der Weichsel und Warthe

2.) Der Versailler Vertrag und seine Auswirkungen für Ostdeutschland

3.) Worte des Gedenkens am Ehrenmal in Bergen

4.) Ein Leserbrief aus Sartschin

 

 

Wir von der Weichsel und Warthe!

renzland ist Gefahrenland. Besser als die geruhsame Mitte kennt Grenzland Flucht und Aufmarsch, Krieg und Stille der Gräber. In friedfertigen Generationen vergißt sich das. Die alten Leute, die einmal den Himmel voller Brände gesehen, den Flüchtenden in die fahlen Gesichter geblickt und die Augen der Gefallenen, gläsern in den grünen Himmel gerichtet, sahen, diese Alten waren gestorben.

Der Kriegsbeginn 1914 schüttete nur ein fernes, bedrohliches Wetterleuchten über die Ufer von Weichsel und Warthe. Das Kriegsende aber brachte die ebenso unerwartete wie ungerechtfertigte Verteilung Westpreußens und den völligen Verlust Posens. Das Grenzland ist es gewohnt, Kampffeld zu sein, ohne daß seine Kinder und Mütter immer wissen, warum die fremden Soldaten ziehen und warum eine andere Fahne weht. Aber das Grenzland weiß klipp und klar zu antworten, wenn man es befragt. Und diejenigen, die man zu fragen wagte, die Westpreußen des ältesten Ordenslandes um Marienwerder, die gaben 1919 die Antwort: deutsch! Aber die anderen, die meisten, fragte man nicht, keinen Danziger, keinen Posener, Thorner oder Bromberger, keine der vielen kleinen Städte, nicht die Bauern auf dem Felde der Weichselwerder und den weiten Ebenen an den Wartheufern.

Die Grenze bekam es als erste zu spüren, daß „Selbstbestimmungsrecht" etwas war, wobei die einen bestimmten, was den anderen Recht zu sein hatte. Und hier, in den großen, zwischen den Regierungen hin und her geschobenen Landschaften spürte man mit Grauen, war eigentlich geschehen war. Man ahnte, daß der einzige große geschichtliche Augenblick versäumt worden war, in dem es ohne ein Übermaß an Blut und Tränen gelungen wäre, eine klare Entscheidung zu schaffen, die so bunt ineinandergewürfelt waren wie eine kleine bäuerliche Feldmark. Dieser Augenblick ist 1918/19 versäumt worden, nicht an den Ufern der Weichsel, sondern am Ufer der Seine.

Bald, nachdem der erste Vergeltungsrausch verflogen war, kam es so, daß nicht nur die Leute an den Grenzen, sondern auch die aufmerksamen Betrachter in der Welt sich fragten, wie lange dies wohl gut gehen würde. Sie sagten : „Dangerpot of Europe" und meinten ein anachronistisches Zerrgebilde, das Freie Stadt Danzig hieß, wo die Straßen deutsch, aber die Eisenbahn polnisch waren, das unter polnischen Kanonen lag und dafür unter dem Schutz des Genfer Völkerbundes stand, das Großhandelsstadt war und das man wirtschaftlich in eine Zwangsvertragsjacke steckte. Sie sagten „Blutende Grenze" und meinten das Weltunikum eines Korridors, mit dem sich ein Staat trennend durch den anderen wühlte, meinten Tausende von durchschnittenen Fernstraßen, Feldwegen, Eisenbahnen und Flußläufen. Wenn je der Begriff der Grenze ad absurdum geführt wurde, dann dort, wo seit 1918 das Deutsche Reich aufhörte und das polnische begann. Wie lange es wohl gut gehen werde, sagten sie - und daß es überhaupt zwanzig Jahre gut ging, lag an den Deutschen und an den leider nur wenigen Polen.

Die uralte Übung der Nachbarschaftshilfe, als Selbstschutz der Niederungen gegen Wasser und Feuer gedacht und erprobt, sollte sich nun unter allen Deutschen in Polen gegen die gefährlichen Elemente des Volkstumskampfes bewähren. Auch Loyalität, strenge Grenzestreue, kann eine Waffe sein. Daß es nicht die schlechteste ist, erwies sich in Westpreußen und in Posen. Die Deutschen richteten sich in den neuen Verhältnissen ein, sie wählten und schickten ihre neunzehn Abgeordneten in den polnischen Sejm (bis man die Wahlgesetze änderte), sie gaben ihre Söhne in das polnische Heer und sie zählten dem polnischen Staat ihre auf Grund ihrer wirtschaftlichen Tüchtigkeit erheblichen Steuern. Trotzdem lag auf ihnen schwer die Geißel des Verfolgungskampfes. Nichts ist erschütternder als die Sprache der nüchternen Zahl. Die deutsche Bevölkerung in Pommerellen sank von 421 000 im Jahre 1910 auf 105 400 im Jahre 1931. In Posen fiel sie von 676 000 auf 193 100.

Und in der nackten Differenzsumme zwischen diesen zwanzig Jahren sind Hunderttausende schwere Schicksale und frierende Heimatlosigkeit verborgen. Das „Wie", das hinter den grauen Ziffern steht, mag unerheblich sein, gegenüber der Not von Millionen, die uns heute anstarrt. Aber es muß vor der Geschichte bekannt werden, daß die Verdrängung der Deutschen durch die Polen nicht mit Loyalität geschah. Es begann mit dem Blut der Posener Aufstände von 1918 und endete mit dem Blut des Jahres 1939. Dazwischen lag die Phase der Gesetze, wie z. B. das Agrarreformgesetz. Soweit es den polnischen Westen betrifft, wollte es nur zum Schein dem Landlosen geben und dem Reichen nehmen. In Westpreußen und Posen nahm es von den Deutschen und gab dem Polen.

Die Grenze ist hart, und manchmal schien es, als schaffe der Volkstumskampf eigene Gesetze, in denen das Recht nur beim siegreichen Volke liegt. Das Recht aber liegt in der Leistung, die aus der Arbeit wächst. Und Polen schnitt sich mit der Zerschlagung des deutschen Besitzes tief ins Fleisch des eigenen Reichtums. Wenn die Äcker auf den Ufern von Warthe und Weichsel nun nicht mehr soviel hergeben wollen wie zu deutscher Zeit........woran lag das?

Fast erscheint es heute wie ein Wunder an Zähigkeit, wenn unter dieser harten Faust dennoch ein deutsches Leben da war, wenn Kirchen, Schulen und Genossenschaften bewahrten, lehrten und arbeiteten. Es blieb auch ein Wunder, wenn sich trotzdem zwischen Deutschen und Polen so etwas wie eine gute Nachbarschaft entwickeln wollte. Denn daß im Alltag der Deutsche und der Pole keine unversöhnlichen Gegensätze waren, das sollten Jahrzehnte vor und Jahrzehnte nach 1918 bewiesen haben.

Jener Pole und jener Deutsche, die in Gnesen Haus an Haus, in Konitz Wohnung an Wohnung lebten, deren Besitz auf der Feldmark nur durch einen schmalen Rain getrennt war, sie haben in guten und bösen Tagen bewiesen, daß sie jene Nachbarschaft zu üben wußten, die friedlichen Menschen eignet. Erst in dem Augenblick, als die Regierungen das vertraten, was man völkischen Imperialismus nennt, wurden die Väter, Söhne und Mütter plötzlich zu Objekten, hin und her gerissen „Exponenten", vergiftet und aufeinandergehetzt durch Thesen und feindliche Worte. Nur Propaganda macht Völker zu Feinden.

Not schweißt zusammen. Immer stärker wurden den Deutschen in Danzig, Westpreußen und Posen bewußt, daß sie eine Schicksalsgemeinschaft bildeten, in der das deutsche Danzig mit seiner Erfahrung als Grenzstadt zu einer Art heimlicher Hauptstadt des Deutschtums wurde. Nicht, daß von dort Konspirationen ausgeheckt worden seien, Danzig erschien den Deutschen aus Polen als friedliche Oase. Dort fand man tätige und moralische Hilfe. Es bedeutete zwischen 1918 und 1939 viel, dort eine Stadt zu wissen, über deren Straßen man gehen durfte und ohne Furcht deutsch sprach, wohin man seine Söhne schicken konnte, damit sie zu Füßen deutscher Hochschullehrer studierten, wo man das Bewußtsein des Geduldeten verlor und wohin man in gefährlichen Zeiten zu flüchten vermochte.

War doch Danzig, als 1939 die ersten Wetterzeichen lohten, der sichere Hort vieler deutscher Frauen und Kinder von den Gütern, Dörfern und Städten in Westpreußen und Posen. Und es erwies sich, daß die Vorsichtigen recht gehandelt hatten.

Es trat zu Beginn des zweiten Weltkrieges ein Ereignis ein, das man den Bromberger Blutsonntag genannt hat. Westpreußen erlebte seitdem eine unermeßliche Zahl blutiger Alltage, daß das Gefühl für die Hunderte wirklich unschuldiger Opfer erstorben zu sein schien. Auch der Opfergang der Fünftausend nach Lowitsch läuft zu einem Rinnsal zusammen vor dem Strome geopferter Millionen aus allen Völkern.

Vergessen wir aber nicht, daß hier das Grauen seinen Anfang nahm, vergessen wir nicht, daß jeder Schritt aus der jahrhundertealten Bindung an jene Gesetze im Menschen, die nicht gedruckt und verbrieft zu sein brauchen, die alten Höllentiere von der Kette läßt: die Rache und Vergeltung!

Ist einmal der mörderische Kreislauf in Gang gesetzt, so hält kein ehrliches Wollen ihn wieder auf, und er begräbt Schuldige und Unschuldige, Männer, Frauen und Kinder. Und die, die an der Grenze wohnen, begräbt er zuerst.

Die Deutschen in Polen haben von diesem Gesetz gewußt, haben mit Ratschlägen und tätigem Eingriff davor gewarnt, das gefährliche und zermalmende Rad weiterzudrehen.

Sie stießen auf überhebliches Besserwissen und uniformierte Taubheit. Die Trecks der in Bewegung geratenen Volksteile sollten zum Beginn einer donnernden Lawine werden. Westpreußen und Posen sahen neue Menschen auf ihren Straßen und Äckern. Menschen, die alle irgendwo eine Heimat hatten, die versunken war; dahinten im Norden, im Osten und im Süden, dort, wo der Kampflärm tobte, wo von Siegesfanfaren, durch Millionen Lautsprecher gepeitscht, über das Land trompeteten. War es ein Wunder, daß viele taub wurden? Hörte man denn noch auf eine weinende Mutter? Dachte man, den Fanfarenlärm in den Ohren, an den polnischen Bauern, der einmal einen Hof besessen hat und nun in irgendeiner Elendsarmee marschierte oder verfaulte?

An mahnenden Stimmen hat es, weiß Gott, nicht gefehlt; wohl an Ohren, zu hören. Und so war es - schrecklich noch heute, sich dies vorzustellen - nur die anmaßende Taubheit weniger Verantwortlicher, die, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, Hunderttausende von Menschen in Danzig, Westpreußen und Posen und darüber hinaus im ganzen deutschen Osten, dem Verderben preisgab. Denn der Tod in Westpreußen zeigte sich erfinderisch zwischen dem 13. Januar und dem 13. Mai 1945. Er kam in Schnee, Frost und Eiswasser, er kam in brennenden Stadtteilen und phosphorüberschütteten Treckwagen. Er kam unter den mahlenden Ketten der Panzer und in den schwimmenden Särgen der Flüchtlingsdampfer. Er kam in seiner schrecklichsten Fratze, in dutzendfacher Schändigung aller Frauen und Mädchen, deren die Asiaten habhaft werden konnten. Er kam zu denen, die ihn als letzte Rettung vor der bestialischen Schmach herbeizwangen.

Man hatte die Erinnerung an die Mongolenstürme, an den Dschingis-Khan ferner Jahrhunderte beschworen. Wie blaß und gering ist dieser Schrecken dem Grausen der Millionenschändigung, die mit der teuflischen Systematik roter Ameisen jeden Winkel an den Ufern von Weichsel und Warthe nach einer etwa noch verschont gebliebenen Frau absuchte.

Im Norden Westpreußens wurde schließlich gekämpft, um Frauen und Kindern dieses Schicksal zu ersparen. Der friedliche Stand von Heubude und Stuhof wurde ein Blutstreifen, auf dem zusammengedrängt, sich noch Zehntausende bis zur Kapitulation hielten: hinter sich die hechelnden Mongolen, vor sich die eisige Ostsee, oder die Hoffnung auf ein Schiff und sei es ein lecker Fährpram.

Wer antwortet auf die Frage nach letzter Schuld, nach Sinn und Fügung. Die Heimat versank in einem Höllenstrom aus Schrecken, Brand und Tod. Und den Daheimgebliebenen öffnete sich, nach Wochen des Infernos, eine Kette von Jahren qualvolle Passion. Als norddeutsche Landschaften die Menschen von Weichsel und Warthe aufnahmen, zog ein Strom von Elendsgestalten in die Marsch- und Geestdörfer. Sie brachten brandig erfrorene Füße, tote Kinder in den Armen und ein winziges Bündelchen in der verkrampften Hand mit. Sie brachten das Wissen mit, daß Schicksal keine Grenze, keinen Stand und kein Geschlecht kennt. Sie brachten nichts mit und doch zuviel, als daß der Westen trotz allem Schweren, was an Bomben, Krieg und Not über ihn hereingebrochen war - sie verstehen konnte. Sie lernten begreifen, daß man sie nie ganz verstehen werde. Sie lernten, daß es gleichgültig geworden war, zu betonen, man sei ein Danziger, Thorner oder Posener. Not schweißt zusammen.

Sie lernten erkennen, daß nicht das zählte, was man „gehabt" hatte, sondern das, was man tat, wußte, war - und das, was die Hoffnung in die Herzen pflanzt.

Nach der ersten Trostlosigkeit und Verbitterung kam der Stolz. Seht, konnten sie sagen, das haben wir gebaut, geliebt, gelebt. Seht, wir waren dort nicht die Bauern aus Groß-Nebau oder Schubin, wir waren Deutsche, wir waren nicht nur Deutsche, wir waren Europäer, wir waren das Abendland. Und glaubt ihr, daß wir von der Weichsel und Warthe an jenen Ufern Zeit und Muße gehabt hätten, das zu beklagen. Wir haben immer nur für das Morgen gelebt. Gut, man hat uns um den Tag der Gegenwart betrogen. Aber was sagt das gegen das Morgen. Aus unseren Herzen, wenn auch einmal in fremder Erde zerfallen, wird es wachsen, aus unseren Kindern wird es hervorbrechen und eine neue Saat wird aufgehen, wird wachsen und gedeihen und wird Früchte tragen.

 

 

Der Versailler Vertrag und seine Auswirkungen für Ostdeutschland

 

er Krieg war zu Ende, Deutschland der Willkür der Siegermächte ausgeliefert.

Im Versailler Vertrag hatte man große Gebietsabtretungen beschlossen. Das neu erstandene Polen sah hier die Gelegenheit, seine Grenzen nach Westen hin auf Kosten Deutschlands ergiebig auszuweiten. Eine systematische weltweite Täuschungspropaganda wurde gestartet, wonach beispielsweise ganz Ostdeutschland „urpolnisches" Mutterland war. Die Bevölkerung dieser Gebiete wurde mit 70 bis 80 % als polnisch bezeichnet. Bei den in Versailles und im Völkerbund sitzenden Vertretern der Siegermächte war eine erstaunliche Unkenntnis der Bevölkerungsverhältnisse im ostdeutschen Raum festzustellen. Hier konnte die polnische Propaganda Wirkung erzielen. Zwar hatte man in feierlichen Worten das Selbstbestimmungsrecht der Völker proklamiert; das hinderte die Diktatoren aber nicht, ohne nähere Kenntnis der Sachlage und ohne Befragung oder Volksabstimmung der betroffenen Menschen, nur aufgrund polnischer Behauptungen, viele Gebiete des Deutschen Reiches Polen zuzusprechen; so den Großteil der Provinz Posen einschließlich der Gebiete um Bromberg, das Kulmer Land und Teile Ostpreußens.

Die Stadt Danzig mit ihrer ländlichen Umgebung mit der Weichselniederung wurde ein Freistaat unter dem Kuratorium des Völkerbundes, wo aber dem polnischen Staat besondere Privilegien eingeräumt wurden. Durch diese Schaffung des sogenannten „Korridors" wurde Ostpreußen vom Reich getrennt. Schon damals erkannten einsichtige Politiker des Westens die in dieser Maßnahme liegende Gefahr und die Wurzel für einen neuen Krieg. Diese genannten Grenzänderungen wurden ohne vorherige Abstimmung vollzogen.

Für weitere Gebiete wurde die Zugehörigkeit von dem Ergebnis einer durchzu führenden Volksabstimmung abhängig gemacht. Das betraf verschiedene Kreise des südlichen Ostpreußen wie Neidenburg, Sensburg, Ortelsburg, Johannisburg, Allenstein und noch einige andere.

Auf westpreußischem Gebiet waren es die Kreise Marienburg, Marienwerder, Stuhm und Rosenberg. Auch in Teilen von Schlesien und Schleswig-Holstein waren Abstimmungen vorgesehen. Doch sollen diese Gebiete hier nicht behandelt werden.

Das über den Verbleib der zuvor genannten Gebiete abgestimmt werden sollte, war allerdings nicht im Sinne der Polen, denn im Bewußtsein ihrer wahrheitswidrigen Argumentation über die völkische Zusammensetzung der Bewohner konnten sie nicht mit einem für sie günstigen Ergebnis rechnen. Da aber ihrem Wunsche gemäß eine unmittelbare Zuerkennung dieser Gaue nicht erfolgte, beantragten sie, diese Gebiete zunächst für 150 Jahre unter polnische Verwaltung zu stellen und erst nach Ablauf dieser Frist eine Volksabstimmung durchzuführen. Dieses Ansinnen war aber den sonst den Polen zugeneigten Westmächten doch zu weitgehend und wurde von ihnen nicht akzeptiert. Der Termin für die Abstimmung wurde auf den 11. Juli 1920 angesetzt. Damit aber deutscherseits nicht etwa unkontrolliert Deutschstämmige eingeschleust werden könnten, wurde die Grenze zwischen dem Abstimmungsgebiet und dem Reich hermetisch gesperrt, die Grenze nach Polen blieb dagegen offen.

Die Abstimmungsgebiete wurden unter Alliierte Kommissionen, bestehend aus Engländern, Franzosen, Japanern und Italienern gestellt, die deutsche Verwaltung aber ausgeschaltet, von deutschem Militär geräumt. Die Beteiligung polnischer Truppen wurde nach zähen Verhandlungen, die leitende Männer des „Ostdeutschen Heimatdienstes" führten, nicht zugelassen.

Abstimmungsberechtigt waren nach den einzelnen Bestimmungen alle Männer und Frauen, die bis zum 10. Januar 1920 das zwanzigste Lebensjahr vollendet hatten und die in diesem Gebiet wohnten, oder aber dort geboren waren. Soweit sie außerhalb dieser Gebiete ihren Wohnsitz genommen hatten, waren sie berechtigt, zur Abstimmung in ihre Heimat zu reisen. Diese Maßnahme geschah auf Veranlassung der Polen aufgrund ihrer fälschlichen Behauptung, in den vergangenen Jahrzehnten seien viele Polen zum Zwecke der Entpolonisierung nach dem deutschen Westen, vornehmlich in das Ruhrgebiet „deportiert" worden (bekanntlich sind viele Polen freiwillig und lediglich aus wirtschaftlich - finanziellen Gründen in den deutschen Westen abgewandert). Daß sich diese Bestimmung aber für Polen als Bumerang erweisen sollte, denn weit mehr Deutschstämmigen war damit die Möglichkeit zur Beteiligung an der Abstimmung gegeben als Polen, erkannten die Polen zu spät und sie versuchten nun krampfhaft, diesen Fehler wieder wettmachen, indem man versuchte, durch immer neue Schikanen den Zustrom der Deutschen zu drosseln. So wurde die Zahl der ursprünglich zugelassenen Sonderzüge durch den polnischen Korridor beschränkt, dazu verursachten sie Schwierigkeiten bei der Paß- und Gepäckkontrolle. Sich unter die Anreisenden mischende Agenten versuchten diesen ihre Berechtigungsscheine abzukaufen und derartiges mehr. Um diesen Behinderungen zu begegnen wurde der „Seedienst Ostpreußen" eingerichtet und Schiffe von Swienemünde nach Pillau eingesetzt. Geplant war für diesen Transport auf dem genannten Wege eine Personenzahl von etwa 45.000, es fuhren aber rund 91.000 Personen.

Dann kam der 11. Juli heran. Der Tag der Entscheidung. Das Ergebnis kam der Weltöffentlichkeit, die sich durch die irreführende polnische Propaganda täuschen ließ, mehr als überraschend.

Folgende Ergebnisse hatte die Abstimmung gebracht:

In Westpreußen hatten sich über 86 % an der Abstimmung beteiligt; in Ostpreußen waren es 88 %. Davon stimmten

in Westpreußen 96.895 für Deutschland -

7.947 für Polen,

in Ostpreußen 63.159 für Deutschland

7.924 für Polen.

Diese Zahlen reden eine unmißverständliche Sprache. Ein Kommentar dazu ist überflüssig. Eine klare Entscheidung war gefallen. Alle Benachteiligungen und Behinderungsversuche blieben dieser eindeutigen Willenskundgebung gegenüber ohne Erfolg.

Und noch eines zeigte dieses Ergebnis, nämlich, wie trügerisch eine falsche Propaganda ist; denn was ist aus der polnischen Aussage über den angeblichen polnischen Bevölkerungsanteil von 70 bis 80 % geworden?

Andere ostdeutsche Gebiete wurden nicht zur Abstimmung herangezogen. Sie wurden ohne Diskussion und ohne Befragung von westlichen Politikern, denen diese Gebiete völlig fremd waren, mit einem Federstrich an Polen gegeben. Es sei zugegeben, daß hier das polnische Element stärker vertreten war als in den Abstimmungsgebieten. Aber waren sie rein polnische Gebiete, oder gab es auch solche mit einer beachtlichen deutschen Bevölkerung?

Willy Eilmes

 

 

Worte des Gedenkens am Ehrenmal in Bergen

von Willy Eilmes sen.

 

Verehrte Anwesende, liebe Landsleute,

es ist, wie ich glaube, eine gute Sitte geworden, daß wir uns bei unseren alljährlichen Begegnungen auf dem Heimattreffen in diesem Ehrenhain des Bergener Friedhofes um das Ehrenmal zum Gedenken unserer toten Landsleute versammeln, um uns derer zu erinnern, die uns auf unserem schicksalsschweren Wege eine Zeitlang Weggenossen waren. -

Es war ein hartes Los, das uns, die wir an Weichsel, Warthe und Netze beheimatet waren, zuteil geworden war. Jahr um Jahr standen wir im Ringen um den Bestand unseres Volkstums. Schon damals hat dieses Ringen Opfer von uns gefordert, die sich von Jahr zu Jahr steigerten.

Blicken wir den Weg zurück, dann stehen sie wieder vor uns, die Toten von 1918 - 1919, als unser Heimatgebiet von polnischen Insurgenten, noch ehe die Entscheidung der in Versailles tagenden Friedenskommission gefallen war, gewaltsam dem Deutschen Reich entrissen wurde - die Gefallenen der Grenzschutzkämpfe, als junge Menschen versuchten, ihre Heimat zu verteidigen. Sie stehen wieder vor uns, die Erschlagenen des Bromberger Blutsonntags, die Ermordeten der Todesmärsche von Lowitsch und Kutno, - sie stehen wieder vor uns, alle, die in den damaligen schweren Stunden und Wochen in ihren Häusern, auf ihren Höfen, dem Haß zum Opfer gefallen sind. Und als wir im Januar 1945 unsere Heimat verlassen mußten, da wartete auf den Treckwagen in grausiger Winterkälte auf verstopften Straßen der Tod in verschiedenen Gestalten - aus feindlichen Maschinengewehren, aus den abgeworfenen Bomben der über die Fliehenden dahinbrausenden Tiefflieger, - in Form der alles zermalmenden Ketten der schweren Panzer - auf die flüchtenden, heimatlos gewordenen Menschen.

Aber auch nicht minder schwer war das Los der Daheimgebliebenen. Gehetzt, gejagt, zusammengetrieben wurden sie das Opfer der Torturen und Mißhandlungen der von Fanatikern aufgeputschten und verhetzten Menschen. Und die im Lager Potulitz ums Leben gekommenen, sie reden eine deutliche Sprache. - Wir gedenken in dieser Stunde aber auch der vielen Gefallenen der beiden Weltkriege, wir gedenken der in Bombennächten ums Leben gekommenen - der in Aufständen und Revolutionen Getöteten - der Toten in aller Welt und ihrer Völker, die Opfer von Kriegen, Unmenschlichkeiten und Morden durch Gewalt und Haß geworden sind.

Im ersten Weltkrieg starben von 1914 bis 1918 9.740.000 Menschen, davon als Soldaten 2.000.000 Deutsche, 2.250.000 Russen, 1.365.000 Franzosen und 1.000.000 Engländer. Weit größer noch waren die Opfer des zweiten Weltkrieges mit insgesamt 55 Millionen Menschenleben. Das sind offiziell bekanntgegebene Zahlen. Die Toten des Koreakrieges, des Vietnamkrieges - sie sind nicht gezählt. Und immer noch sterben in Asien, in Afrika und Amerika bei Aufständen und Bürgerkriegen durch Gewalt Menschen; keiner zählt die Toten. -

Und jeder dieser Toten war ein Einzelschicksal; jeder von ihnen hatte Vater und Mutter, Frau und Kinder, hatte Bruder, Schwester, denen ihr Tod bitteres Leid zufügte. Ist schon der natürliche Tod ein herbes Leid, um wieviel mehr wiegt dagegen der gewaltsame Tod. - Drängt sich uns da nicht die Frage auf:

Warum mußten sie sterben? Worin liegt der Sinn dieses so vielfachen Todes und wo liegt die Schuld daran? Man könnte sagen: das ist der Krieg. -

Und wie viele Menschen, die keine Waffe getragen haben, die an den Kämpfen nicht beteiligt waren und doch - oft auf grausame Weise - ihr Leben lassen mußten? - Das kann man nicht mit Krieg beantworten. Diese Antwort kann nicht gelten.

Natürlich ist jeder Krieg ein Verbrechen, ein Wahnsinn. Aber der Krieg entsteht doch nicht aus sich selber, der Krieg wird von Menschen gemacht. Und so müssen wir weiter fragen; wer ist Schuld an den Kriegen, zumal doch angeblich kein Volk, keine Nation den Krieg wünscht?

Über Schuld und Unschuld zu urteilen ist ein schwieriges Unterfangen. Wenn zwei Menschen sich streiten, wird gewöhnlich die ganze Schuld nicht auf der einen Seite zu suchen sein. Es mag sein, daß sie bei dem einen der beiden größer ist. Aber ob sie auf dieser Seite allein besteht? Ich glaube es nicht. Gewöhnlich hat jeder Streit eine zurückliegende Ursache und oft ist es eine Geringfügigkeit, die den letzten Anlaß gibt, der den Streit auslöst.

Was hier im Privatleben zutrifft, das gilt ebenso auch bei den Völkern. Auch Kriege haben ihre Ursachen, die auf beiden Seiten liegen können. Es ist dann dem Sieger ein Leichtes, den Unterlegenen zum Schuldigen abzustempeln. Hätte es 1918 in Versailles nicht den Gewaltfrieden gegeben, auf dem Deutschland allein als Störenfried in der Völkerfamilie und als Alleinschuldiger hingestellt worden ist, der folglich exemplarisch bestraft werden sollte, - man scheute sich nicht, auch krasse Ungerechtigkeiten zu begehen - so wäre es vielleicht nicht zum Zweiten Weltkrieg gekommen. Viele Politiker haben schon damals bekundet, daß die Abtrennung Ostpreußens vom Reich und der Zankapfel Danzig ein neuer Krieg vorproklamiert worden sei. Unrecht schafft Feindschaft, Unrecht stört die friedliche Zusammenarbeit, fördert den Haß und läßt Gedanken der Vergeltung aufkommen. Und so gebiert eine Untat die andere......

Das Deutsche Reich war nach dem Zusammenbruch 1945 politisch ausgeschaltet. Ist seither der Weltfriede eingekehrt? Mitnichten auch ohne Deutschland ist es nicht zum Frieden gekommen. Im Gegenteil. Man braucht doch nur die Zeitung aufzuschlagen oder die Nachrichten im Radio einzuschalten. Was vernimmt man?

In allen Enden der Welt wird gekämpft, geschossen, Krieg geführt. Heutzutage bedarf es keiner Kriegserklärung.

Und überall erfordert dieser Waffenstreit seinen Tribut, nämlich Menschenleben!

Und die Toten schweigen -

Und weil die Toten schweigen, beginnt alles wieder von vorn. Fragen wir uns: Muß das sein? - Wo liegt der Sinn dieses sinnlosen Sterbens?-

Wir stehen hier am Gedenkstein unserer Toten. Gegenüber, keine hundert Meter, legen wir alljährlich einen Kranz am Mal der Gefallenen der Stadt Bergen nieder. Ganz in der Nähe steht das Mahnmal von Bergen-Belsen. Fünf Kilometer in entgegengesetzter Richtung liegt ein englischer Soldatenfriedhof.

Schweigen diese Toten wirklich? Führen sie in ihrem stummen Mahnen nicht eine beredete Sprache, soll uns das nicht in den Ohren klingen? Achten wir doch einmal auf diese Zeichen und suchen wir doch einmal zu verstehen, was uns diese Toten zu sagen haben. Mahnen sie nicht: Höret auf mit dem gegenseitigen Haß, der immer wieder aufs Neue ins Verderben führt! Suchet den Ausgleich und die Verständigung! -

Beherzigen wir doch diese Mahnung. Es bleibt uns nicht mehr viel Zeit, Vertun wir diese Zeit nicht mit fruchtloser Verbitterung, mit Rechthaberei und Rachegefühlen, nicht mit Trauer und Wehmut um endgültig Verlorenes. Denken wir daran, die Zukunft friedlicher zu gestalten. Mag es uns auch unbedeutend erscheinen, als einzelner zu versuchen, die Welt zu verbessern. Warten wir nicht darauf, daß andere den ersten Schritt tun. Fangen wir bei uns selber an. Leisten wir, jeder an seinem Platz, seinen Teil zur Entspannung und zur Versöhnung der Völker, ehe es wieder zu derartiger Massenvernichtung kommt.

Damit können wir dem Mahnen der Toten am ehesten gerecht werden. Vor einigen Jahren ist an dieser Stelle ein Gedicht von Ina Seidel vorgetragen worden. Abschließend möchte ich dasselbe heute erneut zur Beherzigung zu Gehör bringen:

 

Söhne, besinnt euch!

Heute ist es vielleicht noch Zeit.

Söhne, besinnt euch,

sonst ist´s morgen wieder so weit.

Wenn es kommt, ist alles zu Ende;

Gott hat nicht ewig Geduld.

Versöhnt euch, reicht euch die Hände.

Wer ist schon ohne Schuld? -

Wir sind alt, wir werden sterben.

Wir wollen gerne gehn -

Aber ihr sollt nicht verderben!

Die Erde soll weiter bestehn!

 

 

Ein Leserbrief aus Sartschin

 

ir ist ein Leserbrief zugegangen, in welchem eine Landsmännin aus Sartschin, ein Ansiedlerdorf an unserer Kreisgrenze gelegen, ihre Erinnerungen an die Zeit der Vertreibung 1945 schilderte. Diesen Brief, liebe Leser, will ich Ihnen nicht vorenthalten.

Sie schreibt folgendes:

Beim Herannahen der Roten Armee mußten auch wir unsere Heimat und unseren Hof verlassen und auf den großen Treck gehen. Am 02. Februar 1945 kam ich mit zwei kleinen Kindern von 3 und 5 Jahren und meiner kranken Mutter auch durch Finowfurt. Das ist ein pommerscher Ort bei Eberswalde. In diesem Ort wohnte eine Tante meines Mannes und wir beschlossen, dort zu bleiben. Wir blieben dort ein gutes Jahr. Das ganze Elend dieser Zeit habe ich dort miterlebt. Erst die vielen Bomben der Tiefflieger, dann lag das Dorf eine ganze Woche lang unter Beschuß. Die deutschen Truppen, hauptsächlich Volkssturm, hatten sich hinter den Hohenzollernkanal abgesetzt, die Russen lagen hinter dem Finowkanal. Sämtliche Brücken wurden zuvor gesprengt. Wir lagen in der Feuerlinie. Beide Seiten schossen in unser Dorf hinein. Dann habe ich miterlebt, wie die Russen in unser Dorf eindrangen und ich mich verstecken mußte. Meine Kinder wußten nicht, ob ich noch lebte. Wenn die Russen fragten: „Wo ist Mama", dann sagten sie „Unsere Mama ist tot." Hätte ich damals nicht meine Mutter und meine Tante gehabt, wäre es mir schlecht ergangen und ich hätte das Schicksal vieler anderer Frauen teilen müssen, die von den Russen vergewaltigt wurden. Aber unser Gott im Himmel hat seine schützende Hand über uns gehalten. Bei meiner Tante ist uns der Hunger erspart geblieben und frieren brauchten wir auch nicht. Als wir bei Nacht aus der Heimat flüchten mußten, habe ich nicht geweint, auch nicht, als die Russen einzogen. Ich habe alles still ertragen. Nur einmal in dieser schweren Zeit habe ich Tränen vergossen. Es war am 20. April 1945, kurz bevor die Russen einzogen. Da bekam ich Befehl, daß ich mit meinen letzten Pferden nach Eberswalde kommen sollte. Ich ahnte nichts Gutes. Als unsere Knechte mit den Pferden ankamen, waren schon sehr viele Pferde da. Wir standen in Eberswalde auf einer Kreuzung und die Tiefflieger flogen über uns hinweg. Die Pferde wurden aufgerufen und gemustert „Max" und „Lotte", so hießen sie, wurden für tauglich erklärt. Sie wurden abgeschätzt und weggeführt. Als sie mir auch die beiden letzten Pferde nahmen, ging ich zu einem hohen Herrn, der viele Abzeichen trug und bat ihn, mir wenigstens ein Pferd zu lassen, mit dem ich mit meinen Kindern vor den Russen flüchten könnte. Da fuhr mich dieser Herr an und sagte: "Frau, seien Sie doch froh, daß ich die Pferde genommen habe, denn woher wollen Sie noch Futter für die Tiere hernehmen?" Tatsächlich war die Futterbeschaffung schwierig. Obwohl die Pferde täglich für den Einsatz beim Bau von Panzergräben geholt wurden, bekam ich keine Entschädigung. Hätte ich nicht von meinem Onkel ein wenig Heu und Hafer bekommen, hätten die Pferde verhungern müssen. Auch gegen Bezugsschein war nichts zu bekommen. Es war ja noch fast Winter und auf den Feldern war noch nichts gewachsen.

Als die Pferde vorgeführt wurden, hatte man sie nicht zusammengestellt. Sie wurden unruhig und wieherten laut. Die Männer konnten sie kaum halten. Da bat ich, man möchte doch die beiden Pferde zusammenstellen und gleich beruhigten sie sich. Wir hatten zu Hause zwar viele Pferde. aber diese beiden gingen immer in einem Gespann, vor dem Pflug wie vorm Wagen, auch auf der Flucht. Sie waren immer zusammen. Ich ging zu ihnen hin, legte meinen Kopf an ihren Hals und weinte bitterlich. Ich wußte nun, daß ich mein letztes Stück Heimat verloren habe.

Der Weg zurück nach Finowfurt, 9 Km, legte ich mit dem Fahrrad zurück. Links und rechts habe ich nichts gesehen; ich hatte die Augen voll Tränen. Geld habe ich für die Pferde nie bekommen, auch nicht für die, die ich schon im Frühjahr abgeben mußte. Es wäre auch kein Ersatz für die Tiere, die man so liebte und denen man so vertraut war, gewesen.

Diese Geschichte schreibe ich nur, um von der Treue und Anhänglichkeit der Pferde zu berichten, wie Tier und Mensch durch schwere Schicksalsschläge verbunden waren.

 

 

 

 

 

 

VII. Kartenskizzen

 

 

a) Königsrode

b) Der Kreis Schubin

Galizische Siedlung um 1782 - 84

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anmerkungen zu der vorliegenden Familienchronik

 

ei der Erstellung der Chronik sind teilweise Aufsätze eingebaut worden, die bereits einige Zeit zuvor geschrieben worden sind. Da sie aber in den Rahmen des Ganzen passen, habe ich sie auch im Originaltext übernommen. Dadurch erscheinen einige kurze Passagen in Wiederholung. Abänderungen hielt ich aber nicht für Vorteilhaft. Daher bitte ich um Nachsicht.

Ich habe versucht zu den gegebenen genealogische Daten auch die zeitgleiche Umweltgeschichte zu schildern, so daß auch ein geschichtlicher Überblick ersichtlich wird.

Bei zwei Artikeln handelt es sich um Fremdberichte, die nicht aus meiner Feder stammen und deren Verfasser mir nicht geläufig sind. Da sie aber die seinerzeitigen Gegebenheiten widerspiegeln, habe ich sie mit aufgenommen. Es handelt sich um die Berichte

a) Fahrendes Volk im Posener Land - und

b) Als es noch Wölfe in Polen gab

Bei der Aufstellung der Ahnentafel war mir der Sippenforscher der galiziendeutschen Volksgruppe Herr Ernst Hexel, Im Gries 20. 53 Bonn - Bad Godesberg, in dankenswerter Weise sehr hilfreich.

Ferner konnte ich einiges aus der Dornfelder Chronik von Dr. Fritz Seefeld „Pfälzer wandern", herausgegeben von der Heimatstelle Pfalz, Kaiserslautern, entnehmen.

Rat und Hilfe war mir auch der Briefwechsel mit Prof. Dr. Julius Krämer, Kaiserslautern, sowie Pastor Arnold Jaki, Bad Cannstadt.

Es ist mir eine besondere Freude, aus der Geschichte unserer Vorfahren einiges meinen Nachkommen zu hinterlassen.

 

Müden (Örtze), den 20. Januar 1996